20Aug 12
Ernährung & Konsum
Wie der Detailhandel den Markt steuert
Die Nachfrage bestimmt das Angebot, auch in Sachen Ernährung. Tatsächlich? Das trifft nur dann zu, wenn die Grossverteiler aus diesem ganzen Spiel ausgeklammert werden. Genau die aber haben es in der Hand, sagt Tobias Sennhauser (tif).
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Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bildet ein wichtiges Element in der modernen Volkswirtschaftslehre. „Die Nachfrage bestimmt das Angebot“, hört man immer wieder. Auf den Nahrungsmittelsektor angewendet heisst das: die BäuerInnen produzieren im Grunde nur, was die KonsumentInnen wollen.
Diese Argumentation dient nicht selten als Rechtfertigung für die Ausbeutung und Instrumentalisierung der „Nutztiere“. Wer wirklich in der Pflicht steht, seien die KonsumentInnen, denn sie sind mit ihrem Konsumverhalten für das Angebot und die entsprechenden Produktionsbedingungen verantwortlich.
Unwissenheit und Propaganda
Die Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln haben die EndverbraucherInnen im Zuge der Modernisierung und der Globalisierung der Landwirtschaft aus den Augen verloren. Wo, was und wie produziert wird, entzieht sich unserer Kenntnis und findet zum Beispiel in der sogenannten Nutztierhaltung wortwörtlich im Dunkeln statt. Weder kennen wir die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft, noch die ökologische Bilanz der Verarbeitungsfabriken, noch wie die Tiere gehalten, transportiert und geschlachtet werden. Die KonsumentInnen sind nicht nur unwissend, sie werden darüber hinaus gezielt durch Propaganda desinformiert. Fleisch-, Eier- und Milchwerbung haben – sofern die dafür genutzten Tiere überhaupt zu sehen sind – mit der Realität nur selten etwas gemeinsam. Vielmehr wird in der Werbung mit angeblich exklusiven Vorteilen tierlicher Produkte geworben, und das kombiniert mit einer Idylle, die saftiges Grün mit einer Handvoll „glücklicher“ Tiere abbildet.Im Dickicht des Label-Dschungels
Neben der Werbung kennen die DetaillistInnen eine weitere Methode, um die Nachfrage zu beeinflussen: Labels. Mittlerweile gibt es alleine in der Schweiz über 20 Labels für Nahrungsmittel, die die Spreu vom Weizen trennen sollen. Die genauen Richtlinien sowie die Unterschiede zwischen diesen Labels bleiben meist unklar. Sie sind darüber hinaus oftmals nicht unabhängig, sondern dienen dem jeweiligen Verteiler als hauseigenes Qualitätssiegel. Nicht zuletzt sind Labels suggestiv: Sie können den KonsumentInnen ökologische oder faire Produktionsbedingungen vortäuschen, die in Realität häufig anders aussehen oder wichtige Teilabschnitte der Produktion – wie etwa Kastration, Lebensdauer oder Mutter/Kind-Trennung bei „Nutztieren“ – einfach ausklammern. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Bio-Programm der Migros Genossenschaft, dem grössten Detaillisten der Schweiz, ist von „tiergerechter Haltung“ die Rede. Das klingt zwar gut, kann tatsächlich aber für jedwelche Praxis mit sogenannten Nutztieren stehen, wie zum Beispiel das rein ökonomisch motivierte Enthornen der Rinder.Der Einfluss der Grossverteiler
Grossverteiler wie Aldi oder Lidl bilden die Schnittstelle zwischen Konsumenten und Produzentinnen. Vereinfacht gesagt, füllen sie mit den Waren der Produzentinnen ihre Regale, so dass die Konsumenten sie bequem und zentral beziehen können. Fast alle produzierten Güter machen also einen Umweg über die Grossverteiler statt den direkten Weg vom Produzenten zur Konsumentin. Grossverteiler füllen ihre Regale nach rein ökonomischen Interessen. Rentiert ein Produkt nicht, wird es nicht (mehr) eingekauft. Beispielsweise blieben im Zuge der EHEC-Hysterie die BäuerInnen auf ihren Gurken sitzen. Für bewusste KonsumentInnen ist der Preis jedoch nur ein Kriterium unter anderen. Herkunft, Fairer Handel, Biodiversität oder Ökobilanz sind weitere mögliche Gründe, um gewisse Produkte anderen vorzuziehen. Die Wahl der KonsumentInnen wird jedoch den ökonomischen Interessen der DetailistInnen untergeordnet, da diese zuerst das Angebot in den Regalen bestimmen. Mit anderen Worten schaffen Grossverteiler eine künstliche, ökonomisch motivierte Nachfrage und beeinflussen damit direkt die Produktion – die Nachfrage der KonsumentInnen wirkt dagegen bloss indirekt via Detailhandel.Die KonsumentInnen stärken
Bei der ökonomischen These „Die Nachfrage bestimmt das Angebot“ werden die Grossverteiler ausgeklammert, und das, obwohl sie zu den wichtigsten Playern gehören. Sie sind es, die bei den ProduzentInnen eine direkte Nachfrage erzeugen und mit manipulativer Werbung sowie suggestiven Labels auf die KonsumentInnen Einfluss nehmen. Ein erster Schritt, um die KonsumentInnen zu stärken, wäre zweifelsohne die Verbreitung von unabhängigen Informationen über die Nahrungsmittelproduktion. So zum Beispiel über die Schweizer Nutztierhaltung.Weitere tif-Materialien zum Thema
- Die Werbung macht’s, von Tobias Sennhauser
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