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Nutztierhaltung

Hauptsache Hühner-Idylle

Sie sind für die KonsumentInnen längst unsichtbar geworden. Als Eimaschinen fristen die "Legehühner" ein anonymes Dasein, von dem wir kaum etwas wissen. Umso leichter ist es für die Tierindustrie, in der Werbung an ihren Hühner-Idyllen zu basteln. Ein Beitrag von Klaus Petrus (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Chocolate, der neue Star

Das meistgelesene Familienmagazin der Schweiz macht Werbung für die Werbung des grössten Detailhandelsunternehmens im Lande.

Die Titelstory der Schweizer Familie (Nr. 17 vom 22. April 2010) handelt über die deutsche Henne Chocolate. Unter Anweisung der kroatischen Tiertrainerin Tatjana Zimek läuft sie schon früh morgens über Feld und Wiesen, sie passiert Tunnels, überquert Fussgängerstreifen, legt bei einer Filiale der Genossenschaft Migros das letzte fehlende Ei und zottelt dann wieder gemütlich nach Hause.

Der Werbespot funktioniert, wie die Migros-Sprecherin Monika Weibel bestätigt: Chocolate sei binnen kurzer Zeit zu einem „Sympathieträger“ geworden.

Ei-Konsum: „Schweizer Qualität“ und Tierquälerlei

Und offenbar auch zu einem Symbol. Denn Chocolate steht für die „glücklichsten Hühner“, die hierzulande in der Werbung regelrecht ausgeschlachtet werden. „Wer Chocolate wirklich mag, ist gegen Massentierhaltung und kauft nur Schweizer Eier“, notiert auch der Chefredaktor der „Schweizer Familie“ im Editorial.

Foto © tier-im-fokus.ch

Im Grunde ist eine solche Aussage für ein Blatt dieses Schlags ziemlich gewagt, ja geradezu subversiv. Denn würden die KonsumentInnen diese Aufforderung befolgen, hätte die Eierindustrie ein gewaltiges Problem.

So stammt fast ein Drittel der in der Schweiz jährlich verkauften Schaleneier nach wie vor aus dem Ausland. Zudem werden Eier nicht bloss als Ganzes konsumiert (als Drei-Minuten-Ei oder Spiegelei), sondern vor allem auch als sogenannte Verarbeitungseier in Teigwaren, Saucen, Omeletten, Zopf oder Gebäck. Von diesen Verarbeitungseiern stammen gerade einmal 4 Prozent aus der Schweiz, der Rest wird importiert. Man geht davon aus, dass jährlich bis zu 80 Millionen solcher „versteckten Eier“ von Hühnern stammen, die in tierquälerischen Käfigbatterien gehalten werden.

Dass diese Produkte in ein Land gelangen, das 1992 als weltweit erstes die Legebatterien verboten hat, wird auch in der Branche selbst als Problem, ja bisweilen sogar als Skandal empfunden – und also gegenüber den KonsumentInnen wo immer möglich gar nicht erst erwähnt.

Tiernutzung und die Macht des Wissens

Überhaupt wirkt Werbung – das ist eine Binsenwahrheit – am besten dort, wo Informationen fehlen und damit ein kritisches Korrektiv weitgehend ausbleibt.

Im Bereich der sogenannten „Nutztierhaltung“ ist dies fast zwangsläufig der Fall. Zu spezialisiert ist mittlerweile das Wissen um die fundamentalen Prozesse, die eine serielle Verwandlung von Tieren in reine Gebrauchsartikel überhaupt erst ermöglichen. Zumindest für durchschnittliche KonsumentInnen dürfte es schwierig sein, sich dieses Spezialwissen selbst anzueignen.

Man darf davon ausgehen, dass sich die Branche dessen bewusst ist – und dass sie dieses „Informationsdefizit“ auszunutzen versucht, oder zumindest: dass ihr nicht unbedingt daran gelegen ist, es zu beheben.

Das ist zunächst natürlich nur eine Vermutung. Doch sollte etwas daran sein, könnte sich an der Ignoranz gewisser Werbekampagnen auch ablesen lassen, wie sicher sich die AnbieterInnen darin sind, dass die KonsumentInnen es offenbar nicht besser wissen.

Makaber und peinlich: Ein Hühnerpass für Henriette

Foto © GalloSuisse

So hat sich der Schweizerische Eierproduzentenverein jüngst etwas Besonderes einfallen lassen. Um die einzigartige Qualität von „Schweizer Eiern“ zu dokumentieren, hat GalloSuisse einen Schweizer Hühnerpass kreiert, einen Passaporto Gallina Svizzera. Darin können die KonsumentInnen nachlesen, woher das typisch schweizerische Huhn stammt, unter welchen Bedingungen es gehalten wird und was es alles braucht, damit am Ende das Schweizer Ei „nicht wie jedes andere“ ist.

Übrigens lautet der Pass – sozusagen exemplarisch – auf ein braun-weisses Huhn namens Henriette Hühnerwädel, geboren auf dem „Geflügelhof“ am 3. August 2004. Ausgestellt wurde er am 1. August 2006, gültig ist er bis zum 31. Juli 2016.

Vieles an diesem Werbegag ist makaber, einiges mutet geradezu peinlich an. So konnte Henriette schon deswegen nie im Besitz ihres Hühnerpasses sein, weil sie an jenem 1. August 2006, an dem er ausgestellt wurde, bereits vergast und entsorgt war.

Der Grund besteht darin, dass eine durchschnittliche Legehenne heutzutage gerade einmal 18 Monate lebt (zwischen Henriettes Geburtsdatum und dem 01.08.2006 liegen dagegen zwei Jahre). Dahinter steht ein penibel durchdachtes Timing, an das sich die globale Eierproduktion hält und dem sich auch Hühner in der Schweiz nicht entziehen können.

Nach eineinhalb Jahren kommen die Hühner nämlich in ihre erste Mauser, das ist eine mehrwöchige Phase, in der sie ihr Federkleid wechseln und keine Eier mehr legen. Aber natürlich nach wie vor Nahrung benötigen, und zwar mehr denn je. In der darauffolgenden Legeperiode werden die Eier nicht bloss rarer – es sind statt den früheren 320 im Jahr „bloss“ noch deren 250 –, sondern auch grösser und damit nicht mehr „konsumentengerecht“; sie müssten also billiger verkauft werden.

Mehr Futter, weniger Eier. Allein in der Schweiz gibt es jährlich 1.7 Millionen „Schweizer Hühner“, die aus Sicht der Lobby nicht mehr rentieren und daher bereits mit 18 Monaten zu den „Althennen“ gehören, wie sie auch genannt werden.

Da macht auch die GalloSuisse Vorzeige-Henne Henriette Hühnerwädel keine Ausnahme. Wie die übrigen überschüssigen Althennen, hat auch sie nach einer eineinhalb jährigen Legeperiode ausgedient. Sie wird vergast und dann entweder als Wärmesubstrat in der Zementfabrik verwendet oder als Rohstoff für Biogas-Anlagen eingesetzt oder zu Katzenfutter verarbeitet. Womöglich wurde Henriette aber auch, wie das die Selbsthilfeorganisation GalloCircle vorsieht, als „Suppenhuhn“ recycliert.

Von all dem ist im Schweizer Hühnerpass natürlich nicht die Rede. Ebenso wenig wird erwähnt, dass aus 52 Prozent der Eier – „Schweizer Qualität“ hin oder her – männliche Küken schlüpfen, die für die Mast aber ungeeignet sind, da sie zu wenig Fleisch ansetzen. Sie werden gleich nach ihrer Geburt aussortiert („gesext“) und vergast oder als Lebendfutter für Zootiere verwendet. Allein in der Schweiz sind das über 2 Millionen „Bibeli“ pro Jahr.

Walt Disney für „Nutztiere“: Aufklärung tut Not!

Stattdessen wird mit Chocolate, Henriette oder wie sie heissen mögen einmal mehr ein Disney-Bild von Tieren gezeichnet, die allesamt mit Persönlichkeit, Charakter und einer Portion Intelligenz ausgestattet sind und genügsam ihrer Arbeit im Dienste des Menschen nachgehen. Ein gutes Leben, perfekt in Szene gesetzt.

Die richtigen Legehühner sind für die KonsumentInnen hingegen unsichtbar geworden. Als Eimaschinen fristen sie ein anonymes Dasein, von dem wir kaum etwas wissen. Dass diese Tiere buchstäblich aus unserem Blickwinkel verbannt wurden, gehört ohne Zweifel zum System. Und kann der Tiernutzungsindustrie beim Basteln ihrer Hühner-Idyllen natürlich nur recht sein.

tier-im-fokus.ch (tif) berichtet über Hintergründe der sogenannten „Nutztierhaltung“. Helfen Sie mit, diese Informationen zu verbreiten. Denn: Aufklärung ist der erste Schritt!

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