Bio-Milch von Bio-Kuh, oder: Was die Werbung nicht alles verbirgt
"Und ganz plötzlich legten wir los. Wir rempelten einander an. Stiessen uns mit den Köpfen. Immer mal wieder ein aufgeregtes Muhen dazwischen. Und dann rauften wir weiter. Ein Spiel, ein lustiges Spiel." So schwärmt eine Bio-Kuh von Bio Suisse. Die ganzseitige Werbung für reine Schweizer Bio-Milch trägt den Titel "Helden der Natur". Mit der Realität hat dies nicht viel zu tun. Ein Beitrag von Klaus Petrus (tif).
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„Gesunde Lebensmittel von gesunden Tieren“. Ein Slogan, mit dem der Biolandbau immer wieder wirbt. Und dem die KonsumentInnen ganz offensichtlich vertrauen. Denn „Bio“ verspricht Qualität und, was tierliche Produkte angeht, „artgerechte Tierhaltung“. So auch im Fall der Bio-Milch von Bio-Kühen.
Dass die Wirklichkeit mitunter anders aussieht und mit der ökologischen Tierhaltung einiges im Argen liegt, räumen auch ExpertInnen ein. „Was die Tiergesundheit im ökologischen Landbau angeht“, so Professor Engelhard Boehncke vom Stölzinger Büro für ökologische Agrarkultur, „ist die Wahrheit offenbar in mancherlei Hinsicht bitter. Aber sie muss ausgesprochen werden“. [1]
Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass die Werbung dafür der geeignete Ort sei. Umso wichtiger ist der Blick hinter die computersimulierten Landschaften mit satten Wiesen und prächtig behornten Kühen.
Zwischen Anspruch und Realität
Seit Jahren weisen Studien auf eine Kluft zwischen Anspruch und Realität in der ökologischen Tierhaltung hin. So sind Erkrankungen wie Stoffwechselstörungen, Lähmungserscheinungen und Euterentzündungen (Mastitis) bei Bio-Kühen offenbar an der Tagesordnung – oder jedenfalls wesentlich verbreiteter als dies das Bio-Marketing vermuten lässt.
Man geht davon aus, dass trotz Laufställen und Weidegang immer noch 20 Prozent der Bio-Kühe Lähmungserscheinungen aufweisen. Rund ein Drittel ist von Mastitis betroffen – das sind genauso viele Tiere wie in konventionellen Betrieben. [2]
Damit sei nicht gesagt, dass es keine Rolle spielt, ob Tiere unter ökologischen oder herkömmlichen Bedingungen gehalten werden. Es gibt unbestritten Unterschiede.
Beispielsweise dürfen gemäss Bioverordnung des Bundes chemotherapeutische Medikamente nicht prophylaktisch an Tiere verabreicht werden. Auch verbieten einige Bio-Verbände den Einsatz des „Kuhtrainers“. In der Schweiz sind das neben Bio Suisse noch kagfreiland und Demeter. [3] Schliesslich trifft es auch zu, dass für Bio-Kühe regelmässiger Weidegang oder Auslauf in sogenannten Laufställen vorgeschrieben ist.
Ein grundsätzliches Anbindeverbot gibt es aber auch bei Bio nicht. Im Gegenteil: Die Anbindehaltung von Rindern ist auf Kleinbetrieben „unbefristet“ zulässig, das heisst: auf unbestimmte Zeit hinaus. In Deutschland betrifft das immerhin einen Drittel der ökologisch gehaltenen Milchkühe. [4] Damit verfügen sie gerade einmal über eine Fläche, auf der Hinlegen und Aufstehen die einzigen Bewegungen sind, die diese Herdentiere mit einem ausgeprägten Sozialverhalten ausführen können.
Apropos Sozialverhalten: Kühe und ihre Kälber
Den Kühen seien die Kälber das Liebste, weiss die Verhaltensforschung schon seit langem zu berichten. Und den Kälbern ihre Mütter. Kein Wunder also, dass die Mutterkuhhaltung als „tiergerechteste“ Variante im Umgang mit diesen Tieren gilt. Nur eben: Wird für Milch geworben, gibt das wenig her. Denn Mutterkühe werden nicht um der Menschen willen gemolken – ihre Milch ist, wie eigentlich vorgesehen, für die Jungen bestimmt. In der Schweiz leben 12 Prozent der Rinder in Mutterkuh- oder Ammenhaltung. [5]
Die restlichen der über 700.000 Kälber, die hierzulande jedes Jahr zur Welt kommen, durchlaufen ein Prozedere, ohne das eine serielle Fleisch- und Milchproduktion gar nicht möglich wäre: Die sozialen Bande zwischen Kühen und ihren Kälbern werden gezielt durchtrennt.
Bio macht da keine Ausnahme. Zwar erhalten die Jungen, anders als in konventionellen Betrieben, keinen Milchaustauscher (ein äusserst fettreicher Milchersatz). Doch werden auch sie nach kurzer Zeit ihren Müttern weggenommen und nach Geschlechtern sortiert.
Die Stierkälber, die nicht für die Zucht vorgesehen sind, gelangen in die Mast und werden als Bullenkälber bereits nach sechs Monaten geschlachtet. Oder aber als Mastrinder nach rund einem Jahr.
Die „Färsen“ unter den weiblichen Kälbern werden nach rund 20 Monaten ein erstes Mal künstlich besamt, den Spender-Stier wählt der Bio-Landwirt aus den Katalogen von Zuchtfirmen. Die Tragzeit beträgt, wie beim Menschen, neun Monate. Nach weiteren vier oder fünf „Abkalbungen“ (= Geburten) wird die Kuh zum Schlachter geführt, häufig aus gesundheitlichen Gründen: Stoffwechselstörung, Lahmheit, Mastitis.
Übrigens liegt die natürliche Lebenserwartung von Kühen bei 20 und mehr Jahren.
100 Prozent Öko = 90 Prozent Swissness
Bereits heute produziert eine Bio-Kuh pro Jahr rund 6.000 Liter „reine Biomilch“. Das ist eine Menge, die mit Frischgras, Heu und Silage allein kaum zu erzielen ist. Tatsächlich ist es – entgegen einer weit verbreiteten Annahme – auch in ökologischen Betrieben nicht grundsätzlich verboten, Kraftfutter einzusetzen. Zwar muss es aus biologischem Anbau stammen. Doch ändert das nichts daran, dass dieses verarbeitete Futter der artgerechten Nahrung von Wiederkäuern nicht entspricht.
Zudem wird auch Bio-Kraftfutter zu einem Grossteil aus dem Ausland in die Schweiz importiert, wie die Sendung Kassensturz des Schweizer Fernsehen unlängst aufdeckte. Im Falle der Soja stammen offenbar 97 Prozent aus Argentinien und Brasilien.
Das betrifft auch Betriebe, die nach den Vorgaben von Bio Suisse unter der begehrten Knospe produzieren.
Ökologischer Unsinn? Für importiertes Futtermittel gelte ein striktes Flugverbot, betont Regina Fuhrer, die Präsidentin von Bio Suisse. Soja werde ausschliesslich per Schiff transportiert – und damit so ökologisch wie möglich. [6]
Auch der Futterimporteur Fenaco beteuert, man kaufe nur zertifizierte Soja, die nach strengen Richtlinien und nicht auf „kürzlich gerodeten Regenwaldflächen“ angebaut werde. [7]
Ganz „Swissness“ sind diese Produkte also nicht. Gegen einen Etikettenschwindel setzt sich Bio Suisse aber zur Wehr. Das Knospen-Label mit Schweizer Fahne garantiere zwar Produkte zu 100 Prozent Öko, aber nur zu 90 Prozent aus in der Schweiz angebauten „Rohstoffen“.
Was Regina Fuhrer am Beispiel von Schweinen oder Hühnern vorrechnet, lässt sich bequem auf die Bio-Milch übertragen: Die Milchkühe sind in der Schweiz geboren, ihre Eltern ebenso. Das Raufutter wird in der Schweiz angebaut, und wer unter Knospe produziert, muss seine Kühe mit mindestens 90 Prozent Raufutter füttern. Bleibt die Soja aus Lateinamerika. Alles in allem: Milchbuchrechnung.
„Gesenkter Kopf, spitze Hörner, es wurde ernst.“
Lovely von Swissmilk, unbestritten das bekannteste Vieh der Eidgenossenschaft, trägt natürlich Hörner auf dem Kopf und erst recht die Bio-Kuh aus der Bio-Werbung. Dass sie weit mehr sind als ein imposanter Schmuck, ist bekannt. Hörner helfen bei der Körperpflege, sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Sozialverhaltens und spielen beispielsweise bei der Festlegung der Rangordnung eine zentrale Rolle.
Ebenfalls erwiesen ist, dass die Enthornung für die Tiere mit massiven Schmerzen verbunden ist. Gemäss Art. 32 der Schweizerischen Tierschutzverordnung darf sie im Grunde „nur in den ersten drei Lebenswochen“ vorgenommen werden.
Im Tierschutzgesetz ist auch nachzulesen, dass niemand einem Tier „ungerechtfertigt“ Schmerzen zufügen darf (Art. 4 Abs. 2 TschG). Gerechtfertigt werden die qualvollen Amputationen in aller Regel mit dem „Risikofaktor“, den behörnte Rinder untereinander und für die Bauern darstellen.
So argumentiert auch der Dachverband Bio Suisse, der Enthornungen durchaus zulässt. Gerade in Laufställen sei die Verletzungsgefahr besonders hoch. [8]
Von fachkundiger Seite wird dies allerdings bestritten. Entscheidend sei ein den Kühen angepasstes Hof-Management, was im Klartext heisst: ausreichend Platz und stetes Futterangebot. Das bestätigt auch eine Studie über „Laufställe für horntragende Milchkühe“, die Claudia Schneider im Auftrag des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) unlängst durchführte. [9]
Bio Suisse nennt noch ein weiteres Argument, das derartige Verstümmelungen rechtfertigen soll. Man wolle, so heisst es, den Bio-Landwirten nicht weitere Hindernisse in den Weg legen. Denn erstens seien Kühe beim Zukauf in einen Bio-Betrieb häufig schon enthornt. Und zweitens sei der Marktwert enthornter Kühe um einiges höher als von Tieren mit Hörnern. [10] Dass infolge dieser ausschliesslich ökonomischen – und keinesfalls das Wohlbefinden der Tiere betreffenden – Überlegungen sogar ausgewachsene Kühe enthornt werden, sei indes die Ausnahme.
Grundsätzlich ausgeschlossen ist es aber nicht. Immerhin lässt die Bioverordnung des Bundes selbst die Enthronung von ausgewachsenen Tiere in Ausnahmefällen ausdrücklich zu – wenn auch nicht in den Monaten Mai, Juni und August. [11]
Bio Suisse, 1981 gegründet, ist der Dachverband der Schweizer Knospe-Betriebe. 2008 arbeiteten 5.589 Unternehmen nach den Richtlinien von Bio Suisse; das sind 95 Prozent aller Bio-Höfe in der Schweiz und fast 11 Prozent der gesamtschweizerischen Betriebe. Wie in anderen Ländern, wächst der Bio-Markt auch in der Schweiz rasant weiter. 2008 stieg der Umsatz mit Bio-Produkten um 11.2 Prozent auf 1.44 Milliarden Franken. Rund 75 Prozent der Produkte wurden von den Grossunternehmen Coop (circa 50 Prozent Marktanteil) und Migros (24 Prozent Marktanteil) verkauft. Für weitere Infos siehe Medienmitteilung von Bio Suisse vom 24.03.2009.
Fussnoten
[1] E. Boehncke, Tiergesundheit fällt nicht vom Himmel, in: Ökologie & Landbau 4/2005 sowie ders., Dem eigenen Anspruch gerecht werden! Tiergesundheit im Ökologischen Landbau, in: Der kritische Agrarbericht 2006.
[2] Vgl. z.B. J. Brinkmann & C. Winckler, Status quo der Tiergesundheitssituation in der ökologischen Milchviehhaltung: Mastitis, Lahmheiten, Stoffwechselstörungen, in: Ende der Nische, hrsg. J. Hess & G. Rahmann, Kassel 2005 sowie W. Zollitsch et al., Vorsprung für Bio in der Tierhaltung, in: Biologische Landwirtschaft (1. Bio Austria-Zukunftstagung), Wien 2006.
[3] Beim „Kuhtrainer“ handelt es sich um einen unter Strom stehenden Metallbügel, der circa 5 cm über dem Rücken der Kuh angebracht ist und das Tier zwingt, beim Koten und Harnen einen Schritt zurückzutreten, damit es die Notdurft nicht auf dem Standplatz, sondern über dem Mistkanal verrichtet. Tritt die Kuh nicht zurück, so wird ihr ein Stromschlag versetzt, da sie naturgemäss beim Koten und Harnen ihren Rücken krümmt und so den Metallbügel berührt. Bereits früh haben verschiedene Studien nachgewiesen, dass über 80 Prozent der Bügelberührungen nicht im Zusammenhang mit Koten und Harnen stattfinden, sondern mit anderen natürlichen Verhaltensweisen; vgl. z.B. T. Oswald, Der Kuhtrainer, Eidgenössische Forschungsanstalt für Betriebswirtschaft und Landtechnik, Heft 37/1992.
[4] Vgl. B. Hörning et al., Status Quo der ökologischen Rinderhaltung in Deutschland, in: Ende der Nische, hrsg. J. Hess & G. Rahmann, Kassel 2005.
[5] Gemäss Angaben von Mutterkuh Schweiz.
[6] Kassensturz SF1, Bio-Schwindel: Ökologisch unsinnige Importe, Sendung vom 06.10.2009.
[7] Kassensturz SF1, Unsinnig: Import-Futter für Schweizer Fleisch, Sendung vom 01.09.2009.
[8] Vgl. Hans Peter Roth, Enthornung und andere Unsitten: Bio-Kühe „oben ohne“: ist das bio-logisch?, Pro Tier, Schweizerische Gesellschaft für Tierschutz.
[9] Vgl. Milchkühe können im Laufstall leben und ihre Hörner behalten, Medienmitteilung Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) vom 20.01.2009.
[10] Siehe Fussnote 8.
[11] Vgl. Anforderungen im Biolandbau: Kurzfassung 2009, Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) unter dem Eintrag „Zootechnische Massnahmen“.
Weitere Info-Dossiers und Materialien zum Thema
- Info-Dossier Milch, von tier-im-fokus.ch (tif)
- Info-Dossier Kühe und ihre Kälber (25/2009), von tier-im-fokus.ch (tif)
- Ein Leben in Schwangerschaft, von Klaus Petrus (tif)
- Mutterlose Kälber am Tag der Milch, von tier-im-fokus.ch (tif)
- Die Werbung macht’s, von Tobias Sennhauser (tif)
- Tier-Porträt Das Hausrind, von tier-im-fokus.ch (tif)
3 Kommentare
Nur zwei kleine Details:
Es gibt in der Schweiz einige wenige Milchwirtschaftsbetriebe, auf denen die Kälber bei den Müttern oder bei Ammentieren saugen und diese parallel dazu gemolken werden (vgl. entsprechendes fibl Merkblatt).
6000 kg Milch pro Kuh & Jahr aus dem hofeigenen Grundfutter sind heute in der Schweiz (je nach Lage) durchaus möglich. Problematischer als bei den Kühe ist der Bio-Kraftfuttereinsatz sicher bei den Schweinen und Hühnern, die Kuh kann viel eher mit Schweizerfutter gefüttert werden.
@Sandra: Probieren Sie doch mal Soja-, Reis-, Hafer-, Nuss,…, -milch aus. Soja-Reis-Milch schmeckt meiner Meinung nach der Kuhmilch am ähnlichsten.
Mutterkuhhaltung dürfte in der Milchwirtschaft äußerst selten sein (meines Wissens nach gar nicht möglich, sondern wird nur bei Kühen durchgeführt, deren Lebenssinn es ist, neue Kälber zu gebären, die dann zur Fleischgewinnung verwendet werden, und deren Milch nicht verwendet wird (außer um das Kalb zu säugen), aber ich kann mich täuschen).
Pflanzenmilch aus biologischem Anbau ist in jedem Fall die tier- und umweltfreundlichere Alternative, auch deshalb, weil selbst die Mutterkuhhaltung die vielen anderen Missstände nicht eliminiert(Enthornung, Anbindehaltung, frühe Schlachtung etc.; geht aus dem Text eigentlich recht gut hervor), insofern würde selbst die Mutterkuhhaltung nicht alles Übel beseitigen.
Aber das ist ja nur meine Meinung…
können sie mir sagen, welche milch man nun trinkrn kann? welche milch stammt aus mutterkuhhaltung?
vielen dank sandra fritsche