Keine Haustiere auf dem Teller?
Haustiere werden umsorgt, verwöhnt, verhätschelt und nicht selten wie "Ersatzmenschen" behandelt. Und deshalb von uns grosszügig mit dem Etikett "nicht essbar" versehen. Doch Hand aufs Herz: Was hat eine Katze, das ein Schwein nicht auch hat? Von Klaus Petrus (tif).
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Schande über Beppe
Es ist noch nicht lange her, als der TV-Koch Giuseppe „Beppe“ Bigazzi beim italienischen Volk in Ungnade fiel.
Während rund einer Minute geriet der 77-jährige Mann vor laufender Kamera ob geschmorten Katzen ins Schwärmen. Die Moderatorin Elisa Esoardi gab sich sichtlich schockiert, eine Welle des Protests hob an landauf, landab, der Tierschutzverband Ente Nazionale Protezione Animali (Enpa) sprach von „Anstiftung zur Tierquälerei“ und nannte Bigazzi einen Kretin. Inzwischen wurde Beppe von der RAI freigestellt.
Etwa zur selben Zeit liess die Welternährungsorganisation (FAO) wieder einmal vermelden, dass der weltweite Konsum tierlicher Produkte bedrohlich zunimmt. Dies vor allem bei Menschen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, denen es besser geht und die sich eiligst dem „westlichen Ernährungsstil“ anpassen möchten, was bedeutet: mehr Fleisch, mehr Fisch, mehr Milch.
Bereits jetzt werden weltweit jedes Jahr über 50 Milliarden Tiere allein zum Zwecke der menschlichen Ernährung geschlachtet, Fische und andere Meerestiere nicht einberechnet.
Von Tauben und Tabus
„Wir essen schliesslich auch Hasen, Hühner und Tauben“, versuchte sich Bigazzi zu rechtfertigen. Und natürlich Rinder, Schweine und Schafe mitsamt ihren Kindern. Speziell in Italien kommen hinzu: An die 17 Millionen Singvögel jedes Jahr, die bisweilen illegal, in jedem Fall aber äusserst heimtückisch gefangen und getötet, in Kühltruhen gelagert und später in Mammas Töpfen angerichtet werden.
Was Bigazzi für einen Augenblick übersehen hatte: die einen sind Nutz- oder Wildtiere, Katzen aber sind Haustiere. Und Haustiere isst man nicht, basta. Denn Haustiere sind das Nächstbessere des Menschen. Sie werden umsorgt, verwöhnt, verhätschelt und nicht selten wie „Ersatzmenschen“ behandelt. „Sie zu verspeisen, würde das Kannibalismus-Tabu verletzen“, meint der Anthropologe Nick Fiddes in seinem hervorragenden Buch Fleisch: Symbol der Macht.
Wann ist ein Tier welches Tier?
Dabei ist nicht sonderlich klar, welche Tiere eigentlich in die Kategorie der „Haustiere“ fallen – und damit von uns grosszügig mit dem Etikett „nicht essbar“ versehen werden.
Kulturelle Unterschiede spielen offenbar eine Rolle. In Vietnam und Korea beispielsweise sind Hunde bekanntlich eine Delikatesse, sie werden entsprechend aufwändig zubereitet. In China sind sie darüber hinaus beliebte Pelzlieferanten. Katzen übrigens auch.
In uns, die wir immer noch aus der Neuen Welt stammen, erweckt das Abscheu und Widerwille. Derlei barbarischen Gepflogenheiten stellen wir die Raffinesse der industriellen Aufzucht, Mast und Schlachtung von Tieren gegenüber, die sich in ihren Empfindungen und Bedürfnissen in nichts von Katzen und Hunden unterscheiden. Anders als in Teilen Asiens, wo Hunde auf offener Strasse aufgeschlitzt und Katzen bei lebendigem Leibe gehäutet werden, verläuft hierzulande der Verwertungsprozess hinter verschlossenen Türen und steril im Akkord. Dass wir dabei auf grausamste Weise Tiere heranzüchten und ausbeuten, die beispielsweise in Indien als heilig gelten, scheint uns gar nicht mehr bewusst.
Manche Tiere sind gleicher
Aber kulturelle Unterschiede erklären ohnehin nicht alles. Wie sonst könnte es sein, dass auch hierzulande zum Beispiel Kaninchen für alles Mögliche herhalten müssen? Sie sind, je nach dem, Kuscheltiere, Pelztiere, Versuchstiere, Zirkustiere, Zuchttiere, Masttiere. Für die Tiere selbst – für die einzelnen Lebewesen also – macht es, nebenher gesagt, durchaus einen Unterschied, in welche dieser von uns fabrizierten Kategorien sie fallen.
Zumindest vor dem Gesetz stehen „Haustiere“ besser dar. Wer seinen Hund über Wochen oder Monate hinweg in eine dunkle Box sperrt und ankettet, gilt als „Tierquäler“ und muss mit Sanktionen rechnen. Wer dasselbe mit seinen Schweinen und Kühen tut, hat hingegen nichts zu befürchten: Sein Verhalten ist gesetzeskonform, es wird gesellschaftlich toleriert und obendrein staatlich subventioniert.
„Moralische Schizophrenie“
Für Gary L. Francione, Rechtsphilosoph an der Rutgers University, ist dies Ausdruck einer „moralischen Schizophrenie“, an der wir leiden: Während wir manche Tiere in besonderer Weise umsorgen, sie behüten oder gar vermenschlichen, verschwenden wir keinen einzigen Gedanken an jene Tiere, die wir sozial entfremden, einpferchen, mästen, schlachten und zu einem Stück Fleisch verarbeiten.
Dass es sich bei dieser Schizophrenie um eine Krankheit handelt, die sich binnen Wochen kurieren lässt, ist unwahrscheinlich.
Der amerikanische Philosoph Bernard Rollin empfiehlt, unsere persönliche Beziehung zu den Haustieren mitsamt den besonderen Verpflichtungen, die sich aus dieser Nähe ergeben, allmählich auf Nutztiere auszuweiten: Katzen & Co. als moralische Richtlinien für unseren Umgang mit Hühnern, Schweinen und Kühen.
Doch hat eine Ethik, die allein auf Gefühlen und persönlichen Beziehungen beruht, ihre Schattenseiten. Lockert sich das Verhältnis, schwindet auch die Verantwortung, sagen die Skeptiker. Und verweisen auf die steigende Zahl von Haustieren, die zunächst umsorgt, bald darauf aber in Tierheime abgeschoben, verschenkt oder ausgesetzt werden.
Ist das Schwein eine Katze?
Deshalb dürfe die Frage, wie wir mit Tieren umgehen, nicht bloss von unserer emotionalen Nähe zu ihnen abhängen. Entscheidend sei vielmehr, ob es sich dabei um empfindungsfähige Wesen handelt, meinen heutzutage viele TierethikerInnen.
Dann aber bestehen zwischen Haus- und Nutztieren keine nennenswerten Unterschiede mehr. Denn genauso wie Katzen, haben auch Schweine ganz offensichtlich Empfindungen, Bedürfnisse, Interessen. Und also gäbe es eigentlich keinen Grund, den einen gegenüber den anderen einen moralischen Sonderstatus einzuräumen.
Wer sich an den Äusserungen eines Bigazzi stört, wird sich umgekehrt also fragen müssen, weshalb unsere moralischen Beweggründe, Katzen vom Speiseplan zu streichen, nicht für alle empfindungsfähigen Lebewesen gleichermassen gelten.
Die Notwendigkeit, sich von ihrem Fleisch zu ernähren, kann in unseren Breitengraden schwerlich als Argument durchgehen. „Reden wir lieber vom Gemüse“, meinte auch die Moderatorin Elisa und versuchte damit Bigazzi vom Thema abzubringen. Aber vergebens. Was rechtfertigt das Leiden der Tiere? Ist es einfach der Genuss, die Gewohnheit oder Tradition?
Bigazzi jedenfalls stimmt zu: Im Val d’Arno, seiner Heimat, sei der Verzehr von Katzenfleisch ganz normal und die dort übliche Zubereitung „in umido“ nachgerade eine Delikatesse. Aber genau so würden auch die meisten von uns reden, wenn es um Kalbsnieren, Schweinebraten oder gegrillte Hähnchen geht. Ob am Ende doch ein kleiner Beppe der Nutztiere in uns schlummert?
Anzahl EinwohnerInnen in der Schweiz (2009): 7.8 Millionen
Anzahl Haustiere in der Schweiz (2008): 7.5 Millionen
• Katzen: 1.4 Millionen
• Hunde: 500.000
• Zierfische: 4.5 Millionen
• Stubenvögel: 600.000Anzahl Nutztiere in der Schweiz (2007): 12 Millionen
• Schweine: 1.5 Millionen
• Rinder: 1.5 Millionen
• Schafe: 450.000
• Hühner: 8.1 Millionen
Weitere Materialien und Links zum Thema
- Heimtiere (Haustiere), Info-Dossier 26/2009 von tier-im-fokus.ch (tif)
- Exotische Heimtiere, Info-Dossier 27/2009 von tier-im-fokus.ch (tif)
- Das geschrumpfte Wohl der Tiere, von Klaus Petrus (tif)
- Über kulturelle Widersprüche im Umgang mit Tieren, von Martina Späni (tif)
- Der Mensch: ein Tier wie sie?, von Klaus Petrus (tif)
- „Fleisch ist unnötig“, Interview mit Klaus Petrus (tif)
- Tiere muss man nicht lieben, Artikel von Ingolf Bossenz
- „Pets“, Artikel von von Gary L. Francione mit Podcast
- Heimtiere, Stiftung für das Tier im Recht (TIR)
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