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Mensch & Tier

Häufig gestellte Fragen zu Tierrechten

Tier im Fokus (TIF) fordert Grundrechte für Tiere. Wir haben dazu die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt.

Text: Hans W. Schill

Was sind Grundrechte?
Grundrechte sind eng mit der Idee der Menschenrechte verbunden, sie umfassen die basalen Freiheitsrechte der/des Einzelnen. Grundrechte bilden Schranken des staatlichen Eingriffs gegenüber den Mitgliedern einer Gesellschaft und sind daher sogenannte Abwehrrechte.

Grundrechte sind üblicherweise in den Verfassungen der Staaten formuliert, aber auch in völkerrechtlichen Verträgen, z.B. in der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) nennt basierend auf der Menschenwürde (Art. 7) eine Reihe von Grundrechten, so etwa die Rechtsgleichheit und das Diskriminierungsverbot, den Schutz vor Willkür, das Recht auf Leben und persönliche Freiheit, das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungs- und Informationsfreiheit, die Eigentumsgarantie, die Wissenschaftsfreiheit etc.

Was ist der Unterschied zwischen juridischen und moralischen Rechten?
Juridische Rechte sind die positiven, in staatlichen Rechtstexten niedergeschriebenen Rechte. Sie werden in Verfassungen und weiteren Gesetzestexten festgehalten und können auch wieder aufgehoben, abgeändert oder durch neue Gesetze ersetzt werden.

Moralische Rechte gründen im inhärenten Wert oder der Würde eines Individuums.

Wir meinen moralische Rechte, wenn wir im Alltag davon sprechen, dass wir ein Recht darauf haben, mit Respekt behandelt zu werden, nicht belogen zu werden, über unsere Sexualität selbst zu bestimmen, frei unsere Meinung zu sagen, an einen Gott zu glauben oder nicht zu glauben usw. D.h., der Ausdruck «moralisches Recht» formuliert einen nachdrücklichen moralischen Anspruch darauf, dass ein Wesen auf eine bestimmte Art behandelt werden soll bzw. nicht behandelt werden darf.

Moralische Rechte gelten bedingungsloser und grundsätzlicher als positives Recht, sie können den Individuen vom Staat nicht aberkannt, sondern höchstens von ihm verletzt werden. So basieren z.B. die Menschenrechte in moralischen Rechten.

Dass Tiere moralisch zählen, dass wir gewisse moralische Verpflichtungen ihnen gegenüber haben, ist für die meisten Menschen im Alltag selbstverständlich: Wir dürfen mit nicht-menschlichen Tieren nicht einfach machen, was wir wollen, der Tierschutzgedanke (und auch eine entsprechende Gesetzgebung) scheint Common Sense.

Anders sieht es aus, wenn von Rechten die Rede ist: Dass auch die anderen Tiere moralische resp. juridische Rechte haben sollten, ist noch wenig akzeptiert. Dies obwohl die juristische Diskussion um Tierrechte schon seit mindestens vierzig Jahren läuft und auch institutionalisiert ist (Tierrechte werden an juristischen Fakultäten unterrichtet).

TIF setzt sich dafür ein, dass auch nicht-menschliche Tiere juridische Rechte bekommen und damit zu Rechtssubjekten werden.

Was ist ein Rechtssubjekt?
Rechtssubjekte sind Personen. Nur Rechtssubjekte (Personen) können juridische Rechte und Pflichten haben, nur Rechtssubjekte sind sogenannt rechtsfähig. Die schweizerische Rechtsordnung kennt natürliche Personen (Menschen) und juristische Personen (Unternehmen, Vereine, Stiftungen).

Bereits hier ist zu sehen, dass Personen im rechtlichen Sinn (Rechtssubjekte) keineswegs einfach mit Menschen (Homo sapiens) gleichzusetzen sind. Dies gilt auch geschichtlich: Lange Zeit waren gewisse Menschengruppen keine Rechtssubjekte, z.B. Frauen, Indigene, Sklav*innen, Juden und Jüdinnen. Wem der Status der Person verliehen wird, dies ist eine gesellschaftlich-politische Frage und keine Frage von Geschlecht, Ethnie oder Spezies.

Von Rechtssubjekten unterscheiden sich Rechtsobjekte, die mit Sachen gleichgesetzt werden. Sachen können nicht Trägerinnen von Rechten sein, sie sind nicht rechtsfähig; es können jedoch Rechte an Sachen bestehen.

Tiere waren bis 2003 ausschliesslich der Kategorie Sachen zugeordnet, sie waren also Rechtsobjekte. Der Art. 641a Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) hält seither ausdrücklich fest, dass Tiere keine Sachen sind. Tiere stellen damit eine dritte Kategorie dar, sie haben eine Art Zwischenstellung zwischen Personen und Sachen. Allerdings hält Abs. 2 des genannten Artikels fest: «Soweit für Tiere keine besonderen Regelungen bestehen, gelten für sie die auf Sachen anwendbaren Vorschriften.» D.h. Tiere sind zwar keine Sachen, aber sie werden wie Sachen behandelt.

TIF setzt sich dafür ein, dass Tiere zu Rechtssubjekten werden, z.B. indem die neue Kategorie der tierlichen Person eingeführt wird.

Wieso sollten Tiere Rechte haben?
Weil Tiere keine blossen Objekte sind, keine Ressourcen, keine Werkzeuge, keine Dinge.

Tiere sind keine Sachen (wie Steine oder Schraubenzieher), sondern empfindungsfähige Wesen und haben damit ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse. Sie können Freude, Lust, Wut, Schmerz, Hunger, Langeweile, Stress, Angst usw. erleben und streben deswegen gewisse Dinge an, bevorzugen das Eine und meiden das Andere. Insbesondere wollen Tiere wie Menschen möglichst wenig Leid und Schmerz erfahren und ein Leben in Wohlergehen und Zufriedenheit führen.

Der US-amerikanische Philosoph Tom Regan, der sich für Tierrechte stark macht, schreibt nicht-menschlichen Tieren wie Menschen einen inhärenten Wert zu. Diesen gilt es zu beachten, unabhängig davon, was ein Lebewesen kann oder ist. Unabhängig davon, ob das Wesen ein Mensch oder ein anderes Tier ist.

In der Schweiz ist dieser inhärente Wert bzw. die Würde der Tiere sogar in der Bundesverfassung (BV) verankert, seit 1992 schützt Art. 120 Abs. 2 ausdrücklich die «Würde der Kreatur». Es gibt weltweit bislang keinen anderen Staat, der die Tierwürde auf Verfassungsebene regelt. Tierrechte könnten damit leicht in Übereinstimmung mit der Verfassung erlassen werden und es ist fraglich, ob weite Teile der heutigen Tiernutzung nicht als verfassungswidrig einzustufen sind.

Wenn Tiere Rechte bekommen, sollten sie dann nicht auch Pflichten haben?
Oft wird behauptet, dass Tiere keine Rechte haben könnten, da sich Rechte und Pflichten gegenseitig bedingen würden: Wenn eine Person X ein Recht gegenüber Y hat, dann hat die Person Y die Pflicht, sich entsprechend zu verhalten. Z.B. gibt es für die Enkelin eine Pflicht, das Geld unter der Matratze des Grossvaters nicht zu stehlen, auch wenn dieser nicht mehr lange zu leben hat – der Grossvater hat das Recht auf Eigentum. Dies wird auch Recht-Pflicht-Symmetrie genannt.

Jedoch gilt diese nicht absolut: Zwar ist jeder Mensch ein Rechtssubjekt (d.h. jede*r verfügt über Rechte), aber nicht alle Menschen sind z.B. schuldfähig oder geschäftsfähig (d.h. sie haben keine oder eingeschränkte Pflichten). Es sind sogar sämtliche Menschen zeitweise unfähig Pflichten zu übernehmen, nämlich als Säuglinge und Kinder. Und gewisse Menschen sind auch als Erwachsene für einige Zeit oder sogar lebenslang dazu nicht im Stande, etwa Komapatient*innen, Demente oder kognitiv schwer Beeinträchtigte. Daher gibt es grundsätzlich keinen Grund, Tiere von juridischen Rechte auszuschliessen.

Die kanadischen Tierrechtstheoretiker Sue Donaldson und Will Kymlicka weisen darauf hin, dass gewisse Tiere, die eng mit Menschen zusammenleben, eventuell eine Art von Verpflichtung übernehmen könnten, nämlich gewisse Regeln zur Kooperation. Dies scheint insofern nicht abwegig, als dass viele Tiere – Haus- und Wildtiere – durchaus Verhaltensweisen wie Vertrauen, Empathie, Selbstlosigkeit oder Fairness zeigen. (Bekannt dazu sind die Forschungen des niederländischen Primatologen Frans de Waal.) Inwieweit Tiere zu Verpflichtungen in ausbeutungsfreien menschlich-tierlichen Gemeinschaften fähig wären und welche Tier-Individuen oder -Arten dazu im Stande sind, kann nicht abschliessend gesagt werden, solange wir solche Gemeinschaften nicht zu leben beginnen.

Aber in der Schweiz haben wir doch eines der besten Tierschutzgesetze der Welt?
Es mag sein, dass das Tierschutzgesetz der Schweiz (TSchG) im internationalen Vergleich etwas strengere Vorschriften enthält. Leider bedeutet dies nicht viel: Auch das Schweizer Tierschutzgesetz ist letztlich ein Tiernutzungsgesetz.

Zwar formuliert der Art. 1, dass der Zweck des TSchG sei, «die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen». Aber Art. 3 schränkt diesen Schutz gleich wieder massiv ein, indem er festhält, dass Eigenwert und Würde der Tiere nicht geachtet werden müssen, wenn dies «durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden» kann. Es liegt auf der Hand, dass unter «überwiegende Interessen» sämtliche menschliche Nutzungen fallen: Wir dürfen Tiere besitzen, züchten, künstlich besamen, ihnen die Kinder wegnehmen, ihre Sekrete, Haare, Eier, Hörner verwenden, sie verkaufen, einsperren, vorführen, dressieren, quälen, jagen, töten. Für ihr Wohlergehen haben wir nur zu sorgen, «soweit es der Verwendungszweck zulässt» (Art. 4 Abs. 1) und zugefügte Schmerzen und Leiden werden sogar explizit gerechtfertigt (Art. 4 Abs. 2). Auch in der Schweiz dürfen wir Tieren damit unermessliches Leid zufügen, ohne in Konflikt mit dem TschG zu kommen.

Tiere sind auch im TschG keine Rechtssubjekte, das Gesetz regelt zwar gewisse Pflichten von Menschen gegenüber Tieren, aber Tieren werden keine entsprechenden Rechte verliehen, sie bleiben Rechtsobjekte.

Damit besteht ein Widerspruch mit dem im Art. 120 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV) festgelegten Schutz des inhärenten Wertes des Tiers.

Welche Rechte sollten Tiere haben?
Tiere sollten als Rechtssubjekte (zumindest!) ein Recht auf körperlich-psychische Unversehrtheit, ein Recht auf Freiheit und ein Recht auf Leben haben. Dies sind drei basale Rechte, also Grundrechte für Tiere; und es sind Abwehrrechte, nämlich gegen menschliche Eingriffe.

Diese Grundrechte können überzeugend mit den Interessen der Tiere gerechtfertigt werden: Empfindungsfähige Tiere haben ein Interesse daran, dass sie nicht körperlich verletzt, nicht psychisch geschädigt, nicht eingesperrt und nicht getötet werden. Dies ist offenbar und die allermeisten Menschen würden nach Common Sense zustimmen: Das Verhalten der Tiere überzeugt uns davon.

Was bedeutet ein Recht auf körperlich-psychische Unversehrtheit?
Ein Recht auf körperlich-psychische Unversehrtheit bedeutet, dass Tieren kein Leid, keine Schmerzen und keine psychischen Schäden zugefügt werden dürfen.

Was bedeutet ein Recht auf Freiheit?
Ein Recht auf Freiheit bedeutet, dass Tiere in ihrer Bewegungsfreiheit, in ihrem artgemässen Verhalten nicht eingeschränkt werden dürfen. D.h. sie sollen ihr Bewegungs-, Sexual- und Sozialverhalten frei ausüben können.

Ein Recht auf Freiheit muss nicht jedes Zusammenleben von Menschen und anderen Tieren verbieten: Warum nicht Schafherden, die sich frei bewegen können, aber dennoch zeitweise Schutz vor Kälte oder Hunger in der Nähe von Menschen suchen? Oder Siebenschläfer, denen ein kaum benutzter Dachstock überlassen wird? Alte Kühe, die in einem Pflegeheim von Menschen betreut werden? Rehe auf Friedhöfen?

Was bedeutet ein Recht auf Leben?
Ein Recht auf Leben bedeutet, dass Tiere nicht getötet werden dürfen.

Ob die Tötung schmerzfrei oder schmerzhaft ist, unter grossem Stress und grosser Angst erfolgt oder für die Tiere überraschend kommt (z.B. auf der Wiese aus dem Hinterhalt), spielt dabei keine Rolle.

Da am Leben zu sein die Vorbedingung dafür ist, überhaupt Wohlergehen, Zufriedenheit oder generell positive Empfindungen zu erfahren, dürfen wir Tiere nicht töten. Am Leben zu sein, das ist das überhaupt grösste, das fundamentalste Interesse von empfindungsfähigen Lebewesen; die schwerste Schädigung, die wir einem Wesen zufügen können, ist es deshalb sein Leben zu beenden.

Das Recht auf Leben ist sowohl in unserer Moral wie auch im Rechtssystem das höchste Gut, das Tötungsverbot auch in unserem moralischen Alltagsempfinden tief verankert. Dies gilt auch für Tiere: Die allermeisten Menschen empfinden tiefe Ehrfurcht auch vor dem tierlichen Leben und eine absichtsvolle oder auch versehentliche Tötung löst bei ihnen Erschütterung und Trauer aus.

Könnten Tiere nicht noch weitergehende Rechte bekommen?
Doch, das ist vorstellbar. Die aktuelle Tierrechtstheorie geht davon aus, dass es nicht ausreicht, auf tierliche Abwehrrechte (also negative Rechte) zu fokussieren: Schliesslich leben Menschen seit Jahrtausenden eng mit anderen Tieren zusammen und daraus haben sich komplexe moralische Beziehungen entwickelt. Und auch wenn tierliche Grundrechte in Kraft treten, werden (hoffentlich!) nicht einfach sämtliche Tiere aus unserem Leben in die Wildnis verschwinden: Es sind nicht nur unsere Katzen und Hunde, sondern auch Krähen, Füchse, Schwäne, Marder, Mäuse, Eidechsen usw., die urbane Zonen besiedeln und die wir moralisch-rechtlich zu berücksichtigen haben. Und auch mit den heute sogenannten «Nutztieren» – Schafe, Kühe, Schweine, Gänse, Hühner etc. – könnten Menschen zukünftig unter anderen Vorzeichen (ohne Ausbeutung) weiterhin zusammenleben.

Die Kanadier Sue Donaldson und Will Kymlicka haben deshalb eine Theorie entwickelt, in der sie weitergehende Rechte für Tiere davon abhängig machen, in welchen Beziehungen diese zur menschlichen Gesellschaft stehen: Sie definieren dabei drei unterschiedliche Gruppen von Tieren: (1) domestizierte Tiere (2) Wildtiere (3) Grenzgänger-Tiere.

Domestizierte Tiere, also Tiere, die wir in die menschliche Gemeinschaft gezwungen, aktiv gezüchtet und für unsere Zwecke genutzt haben, sollen zu Staatsbürger*innen werden. Sie hätten damit etwa Anspruch auf staatliche Unterstützung (z.B. vom Gesundheitssystem oder der Altersvorsorge) oder staatlichen Schutz (d.h. strafrechtliche Vorkehrungen gegen Schädigung). Wildtiere hingegen, also Tiere, die vom Menschen separat in eigenen Lebensräumen existieren, bekämen den Status der Souveränität zugesprochen. D.h., sie hätten Rechte auf den Schutz ihrer Lebensräume und ihrer Unabhängigkeit. Und Grenzgänger-Tiere, also Tiere, die ihren Lebensraum mit Menschen teilen und sich an diesen angepasst haben – Stadttauben, Ratten, Eichhörnchen, Spatzen, Fledermäuse und viele andere –, hätten nach Donaldson/Kymlicka einen Status vergleichbar mit jenem von Migrant*innen oder Menschengruppen, die sich der Idee der Staatsbürgerschaft aktiv verwehren (z.B. Amish).

Welche Rechte können Tiere nicht haben?
Der Tierrechtsbewegung wird bisweilen unterstellt, sie fordere ein Lebensrecht für Kopfläuse / eine Schulpflicht für Kälber / ein Wahlrecht für Schimpansen oder Ähnliches. Damit wird versucht, die Argumentation für Tierrechte generell ins Lächerliche zu ziehen. Die Forderung nach unveräusserlichen Grundrechten meint jedoch keineswegs, dass Tiere über sämtliche Rechte verfügen sollten, die Menschen zukommen: Viele Rechte und Pflichten, die Menschen (natürliche Personen) innehaben, sind für andere Tiere aus offensichtlichen Gründen sinnlos. Deswegen ist es angebracht, neben natürlichen und juristischen Personen die dritte Kategorie der tierlichen Person einzuführen.

Welche Tiere sollten Rechte haben?
Es gibt eine ungeheure Vielfalt an Tieren: vom Schwamm bis zur Elster, von der Amöbe bis zum Amazonasdelfin, vom Bachflohkrebs bis zum Polarfuchs. Es gibt nicht einfach «das Tier» auf der einen Seite und von diesem durch einen unüberbrückbaren Graben getrennt «den Menschen» auf der anderen Seite. Offensichtlich ist z.B. ein Berggorilla viel näher mit dem Menschen (Homo sapiens) verwandt als mit einer Seeanemone. Eine Differenzierung beim Gattungsnamen «Tier» ist also dringend nötig.

Die Begründung von Tierrechten stützt sich auf vorhandene tierliche Interessen und Bedürfnisse und damit vor allem auf Empfindungsvermögen. Nach aktuellem naturwissenschaftlichem Forschungsstand kommt dieses mindestens allen Wirbeltieren zu (also Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren). Jedoch ist sich die Wissenschaft unsicher, ob nicht auch gewisse Mollusken (etwa Oktopoden) oder Gliederfüsser (etwa Hummer) Schmerzen empfinden können, sodass es richtig scheint, tierliche Personen möglichst weit zu fassen. Grundsatz: in dubio pro animalia.

Aber Rechte müssen doch geltend gemacht werden können!
Dieser Einwand wird regelmässig vorgebracht: Tiere wären doch gar nicht in der Lage, ihre Rechte geltend zu machen! Also können sie auch keine Rechte bekommen! Das Argument ist jedoch nicht schlüssig: Wie oben beschrieben verfügen auch Kleinkinder, Komatöse oder Demente über Rechte (sie sind Personen), jedoch können sie diese ebenfalls nicht selber einfordern; ihre Rechte werden durch andere vertreten.

Welche Folgen haben Tierrechte für unseren Umgang mit ihnen?
Wenn Tiere die Grundrechte auf Unversehrtheit, Freiheit und Leben bekommen, müssen wir unseren Umgang mit ihnen fundamental verändern. Tiere wären nicht länger nur für uns Menschen da, sie könnten nicht länger als reine Mittel für menschliche Zwecke gebraucht werden.

D.h., wenn wir für Tierrechte eintreten, kann es nicht nur um tierschützerische Forderungen bezüglich besserer Haltung oder ähnlich gehen – etwa vorgeschriebene Mindestflächen oder ‹humanes› Schlachten –, es geht eben um die Rechte der Tiere.

Ausgeschlossen wäre es also, Tiere wie heute weiterhin in Tierfabriken zu halten, ihre Körper im Hinblick auf Milch, Eier, Wolle, Fleisch zu deformieren, sie auszubeuten und zu töten, sie zu jagen, sie zur Unterhaltung einzusperren und vorzuführen (Sport, Zoos, Zirkus), sie zu quälen (Tierversuche).

Grundrechte für Tiere bedeuten jedoch nicht, dass jedes weitere Zusammenleben mit ihnen per se ausgeschlossen wäre – im Gegenteil ist eine demokratische, friedvolle, partizipatorische Mensch-Tier-Gesellschaft anzustreben.

Wie können wir Tierrechte erreichen?
Hier ein paar Beispiele:

Seit 1993 existiert das Great Ape Project (GAP), eine internationale Initiative, die Grundrechte auch für die anderen Menschenaffen fordert (ausser dem Menschen sind das: Schimpansen, Bonobos, Gorillas, Orang-Utans). Das Projekt geht geht auf das Buch The Great Ape Project: Equality Beyond Humanity zurück, herausgeben von den Tierethiker*innen Paola Cavalieri und Peter Singer. Das GAP versteht sein Engagement für die Menschenaffen als einen ersten Schritt hin zu Grundrechten für alle empfindungsfähigen Tiere, quasi als Türöffner: Dies, weil die anderen Menschenaffen unsere nächsten Verwandten sind – die genetischen Unterschiede von Mensch (Homo sapiens) und Bonobo (Pan paniscus) belaufen sich z.B. auf 1.23% – und ihre Fähigkeiten, Sensibilität und Intelligenz augenscheinlich sind. Das GAP existiert heute in zehn Ländern, z.B. in Argentinien, Cote d’Ivoire, Deutschland, Großbritannien, Japan oder Spanien, und es betreibt mehrere Asyle für befreite Menschenaffen.

Eine andere Initiative ist das Nonhuman Rights Project des amerikanischen Anwalts und Rechtswissenschaftlers Steven Wise. Wise hat sich darauf spezialisiert, sogenannte Habeas-Corpus-Klagen für Menschenaffen, Elefanten, Delfine und Wale einzureichen, die in den USA in Gefangenschaft gehalten werden. (Habeas-Corpus-Klagen können im anglo-amerikanischen Recht gegen ungerechtfertigten Freiheitsentzug vorgebracht werden.) Die Organisation hat zum Ziel, durch solche Einzelklagen Gerichte zu zwingen, den Personenstatus und damit das Freiheitsrecht der jeweiligen Tiere anzuerkennen – was längerfristig eine grundsätzliche Anerkennung von Tierrechten zur Folge haben soll. So ist es der Organisation z.B. gelungen, die Schimpansen Hercules und Leo aus einem universitären Tierversuchslabor zu befreien. Die zuständige Richterin hat dabei den Personenstatus der Schimpansen anerkannt.

In Basel hat Sentience Politics 2016 die kantonale Volksinitiative «Grundrechte für Primaten» lanciert. Da Primaten ein fundamentales Interesse an Leben und psychisch-körperlicher Unversehrtheit haben, soll die Verfassung des Kantons Basel-Stadt diese Grundrechte garantieren. Nachdem die Initiative zunächst vom Grossen Rat für ungültig erklärt worden war, hat das kantonale Verfassungsgericht dies im Januar 2019 aufgehoben: Auch nicht-menschliche Primaten können nach dem Urteil Rechtssubjekte sein. Im Moment ist eine Beschwerde vor Bundesgericht hängig. Es besteht also die Chance, dass erstmals in der Schweiz unveräusserliche Grundrechte auch anderen Spezies zugesprochen werden!

Im Juni 2020 hat Tier im Fokus (TIF) die Petition Grundrechte für Schweine gestartet.

Gibt es Länder, in denen Tieren bereits Rechte zugesprochen wurden?
Ja, die gibt es! Im Folgenden einige Beispiele:

Als erster Staat hat 1999 Neuseeland Menschenaffen besondere Rechte verliehen und ihren rechtlichen Status dahingehend geändert, dass diese nicht mehr in Tierversuchen eingesetzt werden dürfen. Dies auf Initiative des Great Ape Projects (GAP).

Im Jahr 2008 sprach sich das spanische Parlament dafür aus, Menschenaffen erweiterte Rechte zuzusprechen und das GAP zu unterstützen.

2012 erklärten die Bewohner*innen der kleinen japanischen Insel Toshima die in den umliegenden Gewässern lebenden Delfine zu Mitbürger*innen. 2014 erhielten Delfine in Indien die staatliche Anerkennung als nicht-menschliche Personen; in der Folge mussten sämtliche Delfinarien ihren Betrieb einstellen und die Grundrechte von Delfinen müssen berücksichtigt werden.

2014 sprach ein Gericht in Argentinien der 26-jährigen Orang-Utan-Frau Sandra den Status der Person zu und Sandra musste in der Folge aus dem Zoo freigelassen werden. 2016 geschah dasselbe mit der Schimpansin Cecilia, die aus ihrem trostlosen Käfig in Mendoza (Argentinien) entlassen werden musste und seither in einem Sanctuary des GAP in Brasilien lebt.

Im Mai 2020 hat der Oberste Gerichtshof Pakistans «ohne jegliches Zögern» die Rechte von nicht-menschlichen Tieren bestätigt und insbesondere die Freilassung des Elefanten Kaavan aus dem Zoo angeordnet.

Quellen

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV). https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html

Bekoff, Marc / Pierce, Jessica: Sind Tiere die besseren Menschen? Kosmos 2017.

De Waal, Frans: Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können. Hanser 2009.

Donaldson, Sue / Kymlicka, Will: Zoopolis. Eine politische Theorie der Tierrechte. Suhrkamp 2013.

Francione, Gary L.: Animals as Persons. Columbia University Press 2008.

Ladwig, Bernd: «Politische Theorien der Tierrechte». In: Ach, Johann S. / Borchers, Dagmar (Hg.): Handbuch Tierethik. J. B. Metzler 2018.

Lohmann, Georg / Mohr Georg: Pro und Contra: Gibt es moralische Rechte? https://philosophie-indebate.de/2924/pro-und-contra-gibt-es-moralische-rechte/

Petrus, Klaus: «Rechte-Ansatz». In: Ach, Johann S. / Borchers, Dagmar (Hg.): Handbuch Tierethik. J. B. Metzler 2018.

Petrus, Klaus: Tierrechtsbewegung. Geschichte, Theorie, Aktivismus. UNRAST 2013.

Raspé, Caroline: «Tiere im Recht». In: Ach, Johann S. / Borchers, Dagmar (Hg.): Handbuch Tierethik. J. B. Metzler 2018.

Regan, Tom: «Von Menschenrechten zu Tierrechten». In: Schmitz, Friederike: Tierethik. Grundlagentexte. Suhrkamp 2014.

Regan, Tom: «Wie man Rechte für Tiere begründet». In: Wolf, Ursula (Hg.): Texte zur Tierethik. Reclam 2008.

Rollin, Bernhard E.: «Moraltheorie und Tiere». In: Wolf, Ursula (Hg.): Texte zur Tierethik. Reclam 2008.

Schweizer Tierschutzgesetz (TSchG). https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20022103/index.html

Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB). https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19070042/index.html

Sezgin, Hilal: Artgerecht ist nur die FreiheitEine Ethik für Tiere oder warum wir umdenken müssen. C. H. Beck 2014.

Stucki, Saskia: «Rechtstheoretische Reflexionen zur Begründung eines tierlichen Rechtssubjekts». In: Michel, Margot u.a.: Animal Law – Tier und Recht. Entwicklungen und Perspektiven im 21. Jahrhundert. Dike Verlag 2012.

Wild, Markus: «Tierrechte durch Interessen. Zur ethischen Beziehung zwischen Mensch und Tier». In: Ethik & Unterricht 4/2016.

Wolf, Ursula: Ethik der Mensch-Tier-Beziehung. Klostermann 2012.

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