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Mensch & Tier

Ähnlicher als mensch denkt

Der Mensch gehört zur Gruppe der Trockennasenaffen. Dennoch versuchen wir uns seit Jahrtausenden von der Tierwelt abzugrenzen. Nun wackelt unsere Sonderstellung. Von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

«Was unterscheidet den Menschen vom Schimpansen?», fragte der Schweizer Liedermacher Mani Matter in seinem Klassiker «Hemmige». Er griff auf, was vor ihm schon viele Denker beschäftigte. Für Aristoteles fehlte ihnen die Sprache, für Descartes die Seele, für Kant die Vernunft und für Mani Matter eben die Hemmung. In der Tierphilosophie ist von der anthropologischen Differenz die Rede: Was unterscheidet den Menschen vom Tier, oder genauer: von anderen Tieren? Lange dachte man, dass nur Menschen Werkzeuge herstellen und nutzen können. Bis die Primatenforscherin Jane Goodall im Jahr 1960 Schimpansen beim Angeln von Termiten beobachtete. Sie hatten sich kleine Fischerruten gebastelt. Goodalls Entdeckung wurde mit dem mittlerweile berühmt gewordenen Satz quittiert: «Jetzt müssen wir entweder ‹Mensch› neu definieren oder ‹Werkzeug› neu definieren oder Schimpansen als Menschen akzeptieren.»

Wie Menschen

Kurz darauf fiel das Sprachargument. Demnach würden bloss Menschen über Begriffe verfügen, die für eine Sprache erforderlich sind. In den 1960er-Jahren wollte man Schimpansin Washoe eigentlich als Versuchstier verdingen. Doch es kam anders: VerhaltensforscherInnen entdeckten sie und brachten ihr die Taubstummensprache bei. Bald umfasste ihr Wortschatz 250 Begriffe. Zudem konnte Washoe verschiedene Begriffe neu kombinieren. Als sie zum ersten Mal einen Schwan sah, soll Washoe intuitiv «Wasser» und «Vogel» kommuniziert haben. 2007 verstarb sie 43-jährig. Washoe war das erste Tier, das eine menschliche Sprache beherrschte. Dennoch glauben bis heute viele, dass nur der Mensch vernunftbegabt sei und abstrakte Probleme lösen könne. Zu Unrecht: Japanische VerhaltensforscherInnen fanden 2007 heraus, dass sich junge Schimpansen eine beliebige Zahlenreihenfolge wesentlich besser merken konnten als ihre menschlichen ProbandInnen. Das Forscherteam schloss daraus, dass die Schimpansen offenbar ein besseres Kurzzeitgedächtnis haben und kognitiv den menschlichen Verwandten nicht grundsätzlich unterlegen sind.

Alle Tiere sind gleich

Bereits Charles Darwin meinte, dass sich Menschen und Tiere nicht prinzipiell, sondern lediglich graduell unterscheiden würden. Damit ist die Suche nach der anthropologischen Differenz zum Scheitern verurteilt. Es wird immer Tiere geben, die eine bestimmte Fähigkeit ebenso gut oder gar besser als Menschen beherrschen. Dennoch ziehen wir sowohl moralisch als auch juristisch eine scharfe Grenze: Menschen haben Rechte, Tiere sind Eigentum. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Schimpansen uns genetisch ähnlicher sind als den Gorillas. Der Tierethiker Peter Singer erklärt sich das so: wir betrachten Tiere generell als minderwertig. Weil Schimpansen keine Menschen sind, so das Vorurteil, dürfen wir sie einsperren oder an ihnen forschen. Singer bezeichnet dies als «Speziesismus», die Diskriminierung aufgrund der Artzugehörigkeit. Speziesismus führt zu einem Artenegoismus bzw. zur willkürlichen Privilegierung der eigenen Art. Der Begriff ist angelehnt an den Rassismus oder Sexismus, wobei ebenso willkürlich biologische Merkmale moralisch überbewertet werden. Aus Singers Theorie könnte bald politische Praxis werden. In Basel soll die Ungleichbehandlung von menschlichen und nicht-menschlichen Primaten ein Ende nehmen. Die Organisation «Sentience Politics» hat eine kantonale Volksinitiative eingereicht, die für alle Primaten das Recht auf Leben und Unversehrtheit fordert. Für die nicht-menschlichen Primaten hätte das fundamentale Konsequenzen. Sie würden bezüglich den beiden Rechten den menschlichen Primaten gleichgestellt. Ein Tieranwalt oder eine Vormundschaftsbehörde könnte ihre Rechte vor Gericht einklagen. Ein Novum: Erstmals wären in der Schweiz gewisse Tiere nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Zweck an sich. Wann die Abstimmung stattfindet, ist noch offen. Auch Mani Matter irrte, dass Schimpansen keine Hemmungen hätten. Freilich schadet es manchmal nicht, seine Hemmungen abzulegen. Was der moralische Status der Tiere anbelangt, könnten wir nämlich durchaus etwas lockerer sein. Dieser Artikel erschien erstmals im Magazin Zeitpunkt.
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Design © Jay Ladanie

Gemeinsam gegen Speziesismus

Menschen und Tiere sind nicht gleich, aber gleichwertig. Dafür gehen wir am 1. Juli 2017 auf die Strasse und protestieren gegen Speziesismus. Komm auch! (www.facebook.com/events/225138004633750/)

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