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Mensch & Tier

Oasen der Gerechtigkeit

Normalerweise müssen Tiere nützen. Nicht so auf Lebenshöfen. Dort dürfen sie leben. Lebenshöfe verkörpern damit die vegane Vision. Von Tobias Sennhauser.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Fotos © Klaus Petrus

Wer Claudia Steiger besuchen will, kommt an den von ihr geretten Pferden nicht vorbei. Denn rund um ihr Haus liegt das Reich dieser Tiere. Auf 12 Hektaren können sie tun, was sie wollen und wann sie wollen. Einfach so.

Zusammen mit ihrem Lebenspartner, Christof Zimmerli, hat Steiger 1995 mit ihrem Einsatz für sogenannte Nutztiere begonnen und 2002 die Stiftung Stinah gegründet. Was mit zwei Pferden begann, ist heute gross. Rund 130 Tiere beheimatet die Stiftung, darunter 65 Pferde, 10 Kühe und Ochsen, 35 Hühner, zwei Schweine, sieben Schafe sowie Hunde und Katzen. Wenn Platz und Geld da ist, sind alle willkommen.

Pferde werden in der Schweiz meist in Einzelboxen gehalten. Doch Steigers Herde kann sich jederzeit frei bewegen. Nur so könnten die Tiere ihre sozialen Bedürfnisse ausleben. «Pferde entwickeln tiefe Freundschaften», so Steiger, «wenn man ihnen genug Zeit und Raum lässt». Pferde, die sich so gefunden haben, würden sich nie mehr trennen.

Das Leben würdigen

Dass ausrangierte Pferde vom Schlachter verschont werden, hat Tradition. Neu ist hingegen, dass vermehrt auch sogenannte Nutztiere gerettet werden. Mittlerweile finden sich schweizweit zahlreiche «Lebenshöfe», die Tieren eine zweite Chance geben.

Früher sprach man indes häufiger von «Gnadenhöfen». Die Publizistin Raffaela Göhrig erklärt im «Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen» die Namensänderung: «Wir [sind] den Tieren keine Gnade schuldig.» Vielmehr hätten nicht-menschliche Tiere ein Recht auf Leben und ein Recht darauf, dass ihre Bedürfnisse respektiert würden. Hühner, Schweine oder Rinder erhalten auf Lebenshöfen das zurück, was ihnen die Tierindustrie genommen hat: ihre Würde.

Anders als in der Industrie müssen Tiere auf Lebenshöfen nicht nützen. Dort «haben die Tiere nur eine ‹Aufgabe›, nämlich glücklich zu sein», so Göhrig. Tiere gehören sich selbst: «Sie brauchen keine Daseinsberechtigung, sie sind kein Mittel zum Zweck und müssen weder menschliche Bedürfnisse befriedigen noch einen bestimmten Sinn erfüllen.» Es gelte, die Tiere so zu akzeptieren, wie sie sind.

Es fehlt an Geld

Doch frei von Leid sind auch Lebenshöfe nicht. Ihnen allen fehlt es angesichts der dauernd anklopfenden Not an Geld. Die Kosten für Infrastruktur, Nahrung und Pflege sind hoch, ganz zu schweigen von tierärztlichen Behandlungen. Eine Kuh etwa kostet monatlich rund 200 Franken. Spenden alleine können das nicht decken, gerade wenn auf einem Hof viele Tiere leben.

Deshalb werden Lebenshöfe durch externe Lohnarbeit finanziert. Auch Claudia Steiger und Christof Zimmerli arbeiten beide vollzeit – sie als Anwältin, er als Steuerjurist. Sie tragen rund 80 Prozent des Stiftungsaufwandes, den Rest leisten Spenderinnen und Paten. Auch die Liegenschaft haben die Lebenshof-Pioniere aus eigener Tasche bezahlt und ausgebaut.

Neben ihrem Einkommen investieren die beiden jede freie Minute in die Stiftung und den Lebenshof. Alleine die Futterbereitstellung beansprucht sieben Stunden – pro Tag. «Wir müssen die Fütterungszeiten einhalten», erklärt Steiger, «sonst entsteht Unruhe». Auch gebe es unter den BewohnerInnen des Lebenshofes einige, denen aus körperlichen oder psychischen Gründen besondere Aufmerksamkeit gezollt werden muss. Seit 1995 seien sie deshalb nicht mehr verreist. Eine Futtermittelmaschine könnte helfen. Doch dafür fehlt das Geld.

Tierrechte sind keine Utopie

Vom Staat bekommt Steiger nichts. Dieser investiert unsere Steuergelder stattdessen in die Produktion von Fleisch, Milch und Eier. Er zementiert damit die unnötige und gewalttätige Instrumentalisierung von Tieren. Denn würde es nicht rentieren, würden auch keine Tiere getötet. Der Staat ist im Umgang mit Tieren alles andere als neutral. Er ist eine Institution, die die Würde der Tiere mit Füssen tritt.

In einer speziesistischen Welt braucht es Orte für Tiere, wo diese nicht um ihre Rechte bangen müssen. Diese Aufgabe übernehmen Lebenshöfe. Sie verkörpern die vegane Vision: Lebenshöfe schaffen den Raum, wo Menschen und andere Tiere sich auf Augenhöhe begegnen. Tierrechte sind keine Utopie, bloss Mangelware.

Sich kennenlernen

Neben ihrem Engagement für den Lebenshof hält Claudia Steiger auch Vorträge zu unserem widersprüchlichen Umgang mit Hunden und Schweinen, zieht Missstände vor Gericht und bietet Beratung, wo immer die Verbesserung des Tierwohls angestrebt wird. «Wir müssen mit allen Mitteln die Stellung des Tieres in der Gesellschaft verbessern», sagt Steiger.

Hierfür müssten sich Tiere und Menschen wieder begegnen, sich kennenlernen. «Unsere Gesellschaft hat die sogenannten Nutztiere aus unserem Leben verbannt und damit ihr Leid unsichtbar gemacht», meint Steiger. So blieben Respekt und Empathie auf der Strecke. «Nutztiere sind in der öffentlichen Wahrnehmung allzu oft keine fühlenden Wesen mehr.»

Lebenshöfe könnten dazu beitragen, das zu ändern. «Lebenshöfe bieten die ungezwungene Möglichkeit, Tieren um ihretwillen zu begegnen», so Steiger. Damit könne man sich aus erster Hand über die Bedürfnisse jener zu informieren, die im Alltag zu blossen Produktionsfaktoren herabgesetzt werden.

Dieser Artikel ist erstmals im Bulletin 02/2016 erschienen.

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