Wenn Patentiere umziehen…
… dann wissen sie nicht, wohin die Reise geht. Das ist nicht ganz einfach für alle, die am Umzug beteiligt sind – für Tiere wie für Menschen nicht. Die Patentiere, für die der Verein tier-im-fokus.ch (tif) sorgt, sind am 29. und 30. April 2010 umgezogen. Von Roger Furrer und Martina Späni (tif).
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Lieber umherziehen statt umziehen
Tiere in freier Natur ziehen zwar umher, aber sie ziehen nie so um, wie das Menschen tun. Wenn Tiere einen neuen Lebensraum (auf)suchen, dann laufen, schwimmen oder fliegen sie, aus eigener Kraft und mit wachen Sinnen für ihre Umgebung.
Wie bittet man also freiheitsgewohnte Tiere, die während Jahren auf einem grossen Gelände jeder Witterung trotzten, in ein Fahrzeug? Wie überzeugt man sie, die Weite der Weide vorübergehend mit der Enge eines Transportfahrzeuges einzutauschen, um an einen Ort zu gelangen, der Vorteile verheisst?
Etwa den Vorteil eines grosszügigen Offenstalls, der unmittelbar an die Winterweide grenzt und der auch einem kranken oder alten Tier Schutz bietet; den Vorteil von Lebensgefährten, die bleiben und nicht, dem Rhythmus der Fleischproduktion gehorchend, kommen und bald wieder gehen. Ein neuer Ort, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch für Patinnen und Paten, Vereinsmitglieder und weitere Interessierte leichter zugänglich ist.
Aller Anfang ist leicht
Nun, die Menschen reservierten für den Umzug einen ganzen Tag in ihren Agenden: Alle möglichen Drehungen und Wendungen wacher, agiler Ochsen sollten sich an diesem Tag kräftig ausleben dürfen, inklusive gemütliche Transporttempi und Verkehrsstaus und etwelche Pannen.
Als wir, Leute des Vereins tier-im-fokus.ch (tif), wie vereinbart um 10 Uhr auf der Weide in der Romandie erschienen, befanden sich Odysseus und Minotaurus bereits im Anhänger. Der mächtige Odysseus schielte ruhig von oben auf uns Angekommenen herab. Die beiden seien – angelockt mit Kartoffeln und Maispellets – ohne Probleme eingestiegen, so Hans, auf dessen Hof die Patentiere umziehen werden.
Fast wären wir also zu spät gekommen, der Transporter um ein Haar entschwunden und auf dem Weg in die neue Heimat für die Tiere. Wenigstens konnten wir Baybora und Tamay noch beim Einsteigen zusehen!
Doch die beide schienen sich dazu entschlossen zu haben, diese gemeinsame Fahrt in ihrem Leben lieber auszulassen.
Ochse im Rapsfeld
Mit Kraft, Gewandtheit, Klugheit und Verweigerung wehrten sich Baybora und Tamay gegen diese drohende Gefangenschaft. Ein mobiler Zaun, der immer enger gesteckt wurde, brachte die Tiere schliesslich zum Einstieg, wobei sie ihrer Unsicherheit Ausdruck gaben: Baybora blieb während Minuten einfach auf der Laderampe stehen, bevor sie die letzten Meter in das Innere des Transporters nahm. Tamay entschloss sich dagegen zu einem Ausbruch und rannte ins quietschgelbe Rapsfeld, von wo aus er uns beobachtete. Ochse im blühenden Feld – ein schönes Bild. Aufgeben? Nein, die neue Heimat versprach Gutes und drei Tiere waren bereits reisebereit.
Wir Menschen wurden zu Fängern im Rapsfeld, bildeten eine Menschenkette aus offenen Händen und geleiteten Tamay entschieden zum Transporter zurück – und er stieg ein. Uff. Gut!
Mit 40 Stundenkilometern tuckerte der Transporter anschliessend auf Landstrassen der neuen Heimat entgegen und gelangte unversehrt zum neuen Ort im Emmental, wo Offenstall und Sommerweide auf die vier Ochsen warteten.
Neugierige vor Ort
Die Patenkuh Tisane beobachtete auf der Weide unter blühenden Obstbäumen gespannt das ankommende Gefährt. Dass Tisane schon einen Tag früher am neuen Ort eingezogen war, hatte seinen Grund. Sie war bisher in einer Herde von Charolais-Kühen nahe von Bern untergebracht, und es war schon lange unser Wunsch, sie mit unseren anderen Patentieren zusammen zu bringen. Zudem sollte Tisane, als einzige Dame, das neue „Revier“ als erste besiedeln dürfen.
Nun, ausgeladen waren die vier Gehörnten noch nicht. Alle am Umzug beteiligten Menschen waren denn auch gespannt, wie die Ochsen reagieren würden, wenn sie einen ersten Blick auf die neue Heimat werfen und ihren Huf auf das Neuland stellen konnten. Wie würde sich Tamay verhalten, der uns auf der alten Weide auf Trab gehalten hatte?
Zufriedenheit am Ende der Reise
Der Wagen wurde alsdann geöffnet, und der agile, sportliche Tamay ruhte gelassen im Stroh und beäugte uns. Er erhob sich, und locker trabte er die Rampe hinunter. Dann blickte er sich am neuen Ort um, schnüffelte hier und dort, schritt unter das Dach und legte sich scheinbar zufrieden ins reichlich eingestreute Stroh.
Ihm gleich taten es Minotaurus und Baybora; zögernd schliesslich Odysseus, der mit einem Büschel Heu noch etwas gelockt wurde. Am Ende der langen Reise gesellte sich auch Tisane von der Weide hinzu, zunächst aber noch durch ein Gestänge von ihren Artgenossen getrennt. Baybora näherte sich der Dame als erster. Mit einem Abstand von rund zehn Zentimetern beschnüffelten und beäugten sich die beiden Lebewesen – von Angesicht zu Angesicht; schnaufend, gleichwohl aber ruhig. Etwas später näherte sich auch Odysseus. Und auch er beschnupperte und beschaute Tisane, und sie schnupperte äugend zurück, und es geschah so, als begrüssten sie sich als neue Nachbarn.
Nein, ganz einfach war der Umzug nicht; nicht für die gehörten Vierbeiner, nicht für die Zweibeiner. Offensichtlich schadlos haben wir es alle überstanden und alle wirkten irgendwie zufrieden. Mögen sich die Patentiere am neuen Ort gut einleben. Alles spricht dafür.
Ortswechsel dank Patenschaften
Der Ortswechsel wurde möglich durch Patinnen und Paten der Tiere. Ein herzliches Dankeschön im Namen der Tiere.
Noch sind aber nicht alle Unterbringungskosten gedeckt. Der Verein sucht entsprechend weitere Patinnen und Paten. Wenn Sie an einem Projekt teilhaben wollen, das Raum schafft für einen ganzen, natürlichen Lebenszyklus ehemaliger Nutztiere, dann informieren Sie sich über eine Patenschaft.
© 2010 tier-im-fokus.ch
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