27
Interview

„Wir müssen mit dem Wahnsinn aufhören!“

Klimawandel, Abholzung von Regenwäldern, Unmengen an Land und Wasser, die verbraucht werden: unsere Ernährung macht der Umwelt zu schaffen. Der österreichische Geophysiker und Lebensmittelwissenschaftler Kurt Schmidinger rät zu radikalem Umdenken. Ein Interview von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

TOBIAS SENNHAUSER: Der Hitzesommer 2012 dürfte in Erinnerung bleiben. Ist er eine Folge des Klimawandels?
KURT SCHMIDINGER: Ich denke schon. Es gibt eine deutliche Tendenz zu höheren Temperaturen in der Klimastatistik.

Daran sei auch die weltweite „Nutztierhaltung“ Schuld, ist immer häufiger zu lesen. Dabei kursieren zwei verschiedene Zahlen zur Treibhausgasbelastung der Viehwirtschaft: In der vielzitierten FAO-Studie Lifestock’s Long Shadow ist die Rede von 18 Prozent, das World Watch Institut hingegen spricht von 51 Prozent. Wie ist dieser grosse Unterschied zu erklären?
Ja, das ist interessant! Des Rätsels Lösung ist vielfältig: Es gibt sehr viele Schrauben in diesen Bilanzen, an denen man – durchaus auch absichtlich – drehen kann, um das Ergebnis in die eine oder andere Richtung zu lenken.

Ein Beispiel ist die Regenwaldbrandrodung mit ihren enormen Mengen CO2, die sie freisetzt. Ich kann nun sagen, die Ursache für die Brandrodungen sind Landspekulationen, und selbst wenn später dann das Land für Futtermittelanbau oder als Rinderweiden genutzt wird, laste ich das dem Fleisch in der Bilanz nicht an. Oder aber ich sage: Die Ursache für das CO2 aus der Regenwaldbrandrodung ist natürlich der Futtermittelanbau bzw. das Weideland, denn Landspekulation wäre ohne spätere Nutzung für diese Zwecke nicht möglich, und ich laste das entstandene CO2 der Fleischproduktion an. Aber auch dann stellt sich noch die Frage, über welchen Zeitraum ich diese Emissionen aus der Brandrodung auf die spätere Fleischproduktion verteile. Auch das ist ein Schräubchen, an dem man drehen kann.

Das ist nur ein Beispiel von sehr vielen, wie die CO2-Bilanz der Nutztierhaltung beeinflusst werden kann. Wer’s noch genauer wissen will: ich hab dazu einen Vortrag gehalten, siehe die Folien 14 bis 22.

Die globale Nachfrage nach Fleisch steigt, entsprechend nehmen die ökologischen Auswirkungen unseres Konsumverhaltens zu. Können wir uns den Fleischkonsum eigentlich noch leisten?
Der Fleischkonsum ist ein grosses Problem in der weltweit gängigen Intensivhaltung. Für 1 Kalorie Tierfleisch braucht man im globalen Schnitt etwa 7 Kalorien pflanzliches Futter. Und bei 65 Milliarden geschlachteten Nutztieren weltweit pro Jahr kann man sich vorstellen, wieviel wir da an Pflanzen verschwenden.

Tatsächlich ist es so, dass wir 40 Prozent der Weltgetreideernte und 85 Prozent der Weltsojaernte an Nutztiere verfüttern. Und was kommt dabei raus? Gut 5 von 7 Kalorien brauchen die Tiere für ihren eigenen Stoffwechsel und werden von ihnen als Exkremente ausgeschieden. 1 Kalorie wird zu Fleisch, knapp 1 Kalorie zu Schlachtabfällen, also Knochen, Haut, Innereien.

Ein vernünftiger Außerirdischer, der auf die Welt schaut, würde es nicht fassen können, wie die Menschheit einen großen Teil ihrer Nahrungsmittel in der Nutztierhaltung zu Exkrementen umwandelt, während ein Teil der Menschen hungert. Ein Wahnsinn, mit massiven Folgen für Welternährung und Umwelt! Diese Grafik zeigt den Irrsinn schematisch:

Fleischessen ist von der Energiebilanz her so, wie wenn ich einen Laib Brot nehme, einen Siebtel davon esse und sechs Siebtel wegschmeiße.

Jetzt war vom Fleisch die Rede. Wie ökologisch sind Milchprodukte?
Milchprodukte sind auch nicht ökologisch, was z.B. mit den Methan-Emissionen aus den Rindermägen zu tun hat. In den Ökobilanzen, den sogenannten Life Cycle Assessments (LCAs), schneiden sie in der Klimabilanz, beim Flächenverbrauch, der Wasserverschmutzung, beim Energieaufwand und in den anderen Kategorien durchwegs weit schlechter ab als beispielsweise Sojamilch oder Reismilch.

Kein Fleisch, keine Milch! Wie soll sich die Weltbevölkerung denn künftig ernähren?
Wenn wir aufhören mit diesem Wahnsinn und stattdessen die Nahrungskette kurz halten und vegan leben würden, dann könnten wir spielend die Menschheit ernähren, und zwar auf viel weniger Fläche als heute. Und die freiwerdenden Flächen könnten wir für andere dringende Aufgaben verwenden, und sei es nur als CO2-Senke durch die dort nachwachsenden Wälder, die wie ein Schwamm das CO2 aus der Atmosphäre binden und das Klima stabilisieren könnten.

Wie steht es mit pflanzlichen Produkten wie zum Beispiel Tofu? Gibt es bei diesen „Fleischalternativen“ in ökologischer Hinsicht Unterschiede?
Es gibt dazu einige Untersuchungen. Auch in einer aktuellen Studie, die ich gemeinsam mit der Niederländerin Elke Stehfest verfasst habe, wird die Klimabilanz von Fleisch und pflanzlichen Fleischalternativen untersucht. Hier das Ergebnis grafisch:

Man sieht, die Unterschiede zwischen den Fleischalternativen sind eher gering – und allesamt schneiden sie viel besser ab als Fleisch.

Hans-Ulrich Grimm, ein Kritiker von industriell gefertigten Lebensmitteln, rät uns, den Konsum von verarbeiteten Produkten möglichst zu reduzieren. Auch die Supplementierung von Vitaminen und Mineralien, beispielsweise Vitamin D und Kalzium, sieht er kritisch. Und tatsächlich scheint eine vegane Welt ohne Chemiesierung der Lebensmittel nicht möglich zu sein. Was ist von Grimms Kritik zu halten?
Ein hoher Rohkostanteil ist sicher positiv, Vitamingehalte und der Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen sind da ideal. Eine gezielte Supplementierung halte ich aber im Gegensatz zu Grimm für eine gute Maßnahme, eine sehr gute Ernährung noch zu optimieren. Gut, wenn jemand ohne Zusätze gut auskommt, wunderbar. Aber wenn nicht, dann ist Supplementierung sicher besser als Mangel!

Eine vegane Ernährung spart dem Körper oder reduziert zumindest viel Negatives wie Nahrungscholesterin, Arachidonsäure, gesättigte Fettsäuren, Purine, freie Radikale und so weiter. Wenn ich dann noch auf Rohkost und Vollkorn achte, und damit in bezug auf diverse Vitamine, sekundäre Pflanzenstoffe und Ballastsstoffe optimal unterwegs bin, dann wäre es fatal, wenn dann z.B. ein Vitamin B12-Mangel alles zunichte macht. Bei vielen Menschen, die sich vegan ernähren, ist zumindest eine Vitamin B12-Supplementierung angebracht.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wird die in-vitro-Produktion von Muskelzellen den „Fleischkonsum“ retten können?
In-vitro-Fleisch ist noch eine Vision. Die Idee ist, aus ein paar Zellen in Nährlösungen Fleisch zu züchten, ganz ohne das Tier. Krokodil-Känguruh-Fleisch mit viel Omega-3-Fettsäuren und kaum Cholesterin: so was wäre dann denkbar, ohne dass Tiere sterben müssen! Aber es gibt viele Herausforderungen, technische, ökonomische und nicht zuletzt die Akzeptanz durch die Menschen. Ganz viel dazu steht im 12. Kapitel meiner Dissertation. So oder so: Die größte Frage aus meiner Sicht ist, ob in-vitro-Fleisch je so billig produziert werden kann wie Tierfleisch. Denn das wäre eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Erfolg dieser Idee.

Kurt Schmidinger ist promovierter Geophysiker, Lebensmittelwissenschaftler, Softwareentwickler und arbeitet auch für Tierschutz- und Vegetarierverbände. Zudem betreibt er das Portal www.futurefood.org.

Weitere TIF-Materialien zum Thema

Beteilige dich an der Diskussion

2 Kommentare

Kurt Schmidinger
vor 11 Jahre

Ja, die Energiebilanz kann man erst dann genau angeben, wenn das Produkt mal produziert wird, aber wenn die Energiebilanz nicht viel besser ist als die von konventionellem Tierfleisch, dann ist ja auch die Vorgabe „ökonomischer als Tierfleisch“ nicht machbar, und in-vitro-meat wird nie Realität. Zu den Alternativen zum fetalen Kälberserum und Detailfragen siehe mein Kapitel 12 in der Dissertation http://www.futurefood.org/DissertationSchmidinger.pdf.

Esther Kamphausen
vor 11 Jahre

wie sieht denn das mit der energiebilanz des in vitro fleisches aus? inkubator, nährlösungen? normalerweise braucht man zum züchten von zellen in vitro wachstumsfaktoren (zum beispiel in form von fetalem kälberserum), die bis jetzt tierischen ursprungs sind. gibt es im bereich in vitro fleisch diesbezüglich alternativen?

Ähnliche Beiträge

«Die Schule ist kein Ort, um Werbung zu machen»
Weiterlesen

«Die Schule ist kein Ort, um Werbung zu machen»

Weiterlesen
«Die Tierschutzbewegung stilisierte einige Tiere als Kriegshelden»
Weiterlesen

«Die Tierschutzbewegung stilisierte einige Tiere als Kriegshelden»

Weiterlesen
«Werft unsere Geschichte nicht weg!»
Weiterlesen

«Werft unsere Geschichte nicht weg!»

Weiterlesen
«Der Drache war zuerst da!»
Weiterlesen

«Der Drache war zuerst da!»

Weiterlesen
Vegan tut gut
Weiterlesen

Vegan tut gut

Weiterlesen
Veganer*innen kaufen Qualität
Weiterlesen

Veganer*innen kaufen Qualität

Weiterlesen
«Der Schutz der Würde wird nicht durchgesetzt»
Weiterlesen

«Der Schutz der Würde wird nicht durchgesetzt»

Weiterlesen
«Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft»
Weiterlesen

«Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft»

Weiterlesen
«Die Initiative wäre der Start einer Veränderung»
Weiterlesen

«Die Initiative wäre der Start einer Veränderung»

Weiterlesen