16
Interview

«Der Drache war zuerst da!»

Die Tier-Ethikerin und Lebenshof-Betreiberin Hilal Sezgin spricht über ihren neuen Roman «Feuerfieber» und warum sie diesen extra für Veganer*innen geschrieben hat.

Text: Tier im Fokus (TIF)

HANS W. SCHILL: Liebe Hilal, herzliche Gratulation zu deinem neuen Roman! Nun sind in den letzten Jahren einige Bücher erschienen, in denen Tiere und der ausbeuterische Umgang mit ihnen eine zentrale Rolle spielen – ich denke an Olga Tokarczuks «Gesang der Fledermäuse» oder «Wie die Schweine» von Augustina Bazterrica. Aber ich kenne keinen Roman, in dem Aktivist*innen selbst im Zentrum stehen. War auch dies ein Antrieb – quasi eine literarische Lücke zu füllen?
HILAL SEZGIN: Ja, aber mit am wichtigsten war mir eigentlich, dass es ein Roman ist, bei dem man sich beim Lesen auch «wohl fühlen» kann. Ich weiss, dass ist eigentlich nicht das Kriterium für «ernsthafte» Literatur, sondern für «Unterhaltung», und die wird als minderwertig angesehen. Aber wir Tierrechtler*innen lesen ohnehin tagein, tagaus ernsthafte, traurige, schockierende Nachrichten, Infos, Studien. Sich mit Grausamkeit und Ausweglosigkeit zu befassen, ist sozusagen unser täglich Brot. Und ich wollte gerne einen Roman schreiben, in dem nicht erneut das Schlimme untersucht, beschrieben und angeprangert wird – so wichtig das ist! –, sondern etwas, in dem wir uns auch einmal erholen können, lachen können, oder daraus vielleicht sogar bisschen Kraft schöpfen.

Es ist beim Lesen überraschend, ja fast lustig, die eigenen tierethischen Argumente so eins zu eins bei literarischen Figuren wiederzufinden – die Identifikation fällt einem dadurch sehr leicht. Das ist Absicht, nicht wahr?
Ja, das gehört zusammen. Denn Veganer*innen leiden ja zumeist auch sehr unter der Ignoranz ihrer Umgebung, unter der Allgegenwart und Selbstverständlichkeit des Ausbeutungssystems. Immer sind wir anders, immer sind wir Freaks, ständig müssen wir uns erklären – aber nicht in diesem Roman. Hier sind wir die «Normalität», keiner muss sich rechtfertigen.

Was für eine Erleichterung!
Ja, denk daran, wenn wieder mal jemand Fleischesser-Bullshit-Bingo spielen will («Aber der Löwe…»), dann rollen wir alle insgeheim mit den Augen und denken: Nicht schon wieder! Darum war mir allerdings von Anfang an klar, dass dieser Roman für Fleischesser*innen eher uninteressant ist. Das ist mir aber egal. Es darf ihn natürlich lesen, wer will – aber für Tierrechtler*innen ist er gedacht.

Und wie bist du auf die Idee gekommen, ein Fantasy-Element – nämlich einen Drachen – in die Handlung einzubauen?
Eigentlich war der Drache zuerst da, die Idee hatte ich seit vielen, vielen Jahren! Immer wieder habe ich mal eine Romanidee im Kopf bewegt, in der dieser Drache vorkam, aber nie wollte ich das wirklich durchziehen. Erst hier, hier hat er gepasst. Oder umgekehrt: Das ist der Roman für seinen Auftritt!

Liest du selbst Fantasy-Romane?
Nicht so viele, obwohl, ich lese eigentlich querbeet. Aber eigentlich verstehe ich «Feuerfieber» auch nicht als Fantasy im Vollsinne. Nicht die gesamte Welt ist fantastisch ausgestaltet, eigentlich ist wirklich alles komplett realistisch. Nur kommt dann halt dieser Drache! Und er verschwindet auch nicht wieder, er ist kein Traum, keine Metapher. Obwohl, auch bei ein paar anderen Stellen habe ich mir das Abgleiten ins Märchenhafte erlaubt… Es geht doch eh so viel schlecht aus in der Realität!

Gehe ich richtig in der Annahme, dass mensch «Feuerfieber» als All-Age-Roman bezeichnen könnte?
Ich nehme an, mensch kann den Roman auch mit 12 Jahren lesen, wenn mensch nicht zu zartbesaitet ist. Ein paar wenige Szenen, die die Lage in den Ställen betreffen, kommen schon vor. Ansonsten aber finde ich, das mit den Altersgruppen beim Lesen ist ein fliessender Übergang. Ich habe mit 12 Jahren Woolf und Dostojewskij gelesen, begeisterter und konzentrierter vermutlich, als ich es heute täte. Umgekehrt: Wieso müssen Erwachsene immer zu einem Jugendbuch greifen, wenn sie mal von einem Drachen lesen wollen? Das ist ja auch nicht ganz fair.

Die Hauptfiguren, die lebenspraktische Uta und der sensible Jayan, wachsen einem bei der Lektüre ziemlich ans Herz – waren Sie auch deine Lieblingsfiguren?
Das freut mich, dass sie euch gefallen! Also vor Uta und ihrer immensen Wut habe ich durchaus Respekt, weiss nicht, ob sie mein «Liebling» ist. Wenn sie allerdings so starke positive Gefühle hat, da fühle ich mich ihr sehr nah. Jayan dagegen erinnert mich sehr an mich selbst. Er ist ja arg introvertiert, das bin ich nun nicht, aber er grübelt so viel und nimmt sich alles so zu Herzen… Ich hoffe, er wird Philosophie studieren, wenn er mit diesem Wirtschaftswissenschaftsquatsch durch ist. Das kann ja so nicht weitergehen, also ehrlich!

Im Roman macht die Bewegung fast märchenhafte Fortschritte, (natürlich leerstehende) Mastanlagen und Tiertransporter brennen ab und die Bevölkerung kümmert sich plötzlich rührend um Schweine, die nicht länger transportiert und geschlachtet werden können. Ist es auch eine Geschichte, die der Tierrechtsbewegung Mut machen soll?
Ja, da ist es, das Märchenhafte, zu dem ich mir ab und zu Abstecher erlaubt habe… Ich finde, manche Romane können wie ein Tagtraum sein: Was wäre, wenn? Und irgendwie müssen wir ja alle hoffen und weitermachen – mit halb geschlossenen Augen. Denn wir wissen doch: All den Tieren, die jetzt in die Ställe eingesperrt sind, die jetzt zum Schlachthof gekarrt werden – denen gibt niemand ihr Leben zurück! All das Leid, das wir beobachten, es geschieht und wird nie ungeschehen.

Und trotzdem machen wir weiter…
Ja, genau. Wir sagen uns, dass es dennoch den Versuch wert ist, für die nächste Generation Tiere zu kämpfen. Wir haben so gesehen einen sehr starken «Glauben» – nicht in dem Sinne, dass wir überzeugt sind, dass wir die anderen für unsere Sache gewinnen können. Sondern wir glauben fest daran, dass jede noch so kleinste Chance genutzt werden muss. Und da hab ich mir beim Schreiben erlaubt, unsere Chancen ein bisschen zu vergrössern.

Gibt es für dich eigentlich Unterschiede beim Schreiben von Sachtexten und literarischen Texten? Was bereitet dir mehr Freude?
Das sind schon unterschiedliche Arten zu schreiben. In der Fiktion hast du viel, viel mehr Möglichkeiten, wie du alles anlegen willst, wahnsinnig viele Stilmittel, du kannst und musst endlos rumprobieren.  Bei Sachbüchern ist mehr durch den Gedankengang, die Argumentation, das Thema vorgegeben, für das du dann das passende Tempo und die Ausdrucksweise wählst. Aber auch da gibt es natürlich Unterschiede, ein philosophisches Buch über etwas wird anders konzipiert und geschrieben als ein langer Essay. Ehrlich gesagt, bereiten beide Formen von Schreiben viel Freude – und auch viel Qual, wenn es nicht so läuft, wie man sich das wünscht.

Hättest du diesen Roman auch geschrieben, wenn du kein Crowdfunding für deinen Lebenshof initiiert hättest?
Hhm, ich überlege eher umgekehrt manchmal, ob ich nicht mehr Bücher schreiben würde, wenn ich nicht die vielen Schafe und Katzen und Gänse hätte, die ja auch Arbeit machen und um die ich mich furchtbar sorge, wenn sie krank sind. Wenn irgendwas mit den Tieren ist, setzt fast alles andere aus, vor allem so ein längeres Projekt wie das Bücherschreiben wird unterbrochen. Andererseits wäre ich ohne die Schafe nicht der Mensch, der ich bin, ich hätte mich nicht so viel mit Tieren befasst, nicht so viel über sie und von ihnen gelernt … Und ja, es kann schon sein, dass mir diese Situation – dass ich sozusagen ein «Dankeschön» fürs Crowdfunding brauchte – den nötigen Schubs gegeben hat, ihn dann endlich mal zu schreiben, den Roman mit dem Drachen.

Die deutsch-türkische Doppelbürgerin Hilal Sezgin (*1970) ist Philosophin, Tier-Ethikerin, Schriftstellerin, Feministin, Journalistin. 2014 hat sie das einflussreiche und berührende Buch «Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für die Tiere» veröffentlicht – sie hat aber auch Kriminalromane, Bücher über einen liberalen Islam und politische Ethik publiziert. 2007 ist sie in ein Dorf in Lüneburg gezogen und hat dort vom Nachbarn eine 45-köpfige Schaf- und Ziegenherde übernommen.

Seither betreibt sie einen Lebenshof, zu dem auch ein altes Gänsepaar und drei zugelaufene Katzen gehören. Inzwischen sind die Schafe und Ziegen älter geworden, brauchen viel Betreuung, spezielles Futter für ihre alten Zähne und auch die Tierarzt-Kosten sind nicht kleiner geworden. Sodass sich Hilal Sezgin entschlossen hat, zur weiteren Finanzierung ein Crowdfunding zu initiieren – und als Dankeschön für die Spender*innen hat sie einen Tierrechtsroman geschrieben, den es zu jeder Spende als Geschenk gibt!

Über den Inhalt des Romans soll nicht zu viel verraten werden, vielleicht so viel: «Feuerfieber. Ein Tierrechtsroman, höchst realistisch mit einer kleinen Prise Drache» stellt eine Gruppe junger Tierrechts-Aktivist*innen ins Zentrum der Handlung, die sich abmüht, die Medien mit Bildern aus dem Innern der Tierindustrie zu versorgen – und eines Tages erhält die Gruppe verblüffenderweise Unterstützung von einem jahrtausendealten Drachen, der nur allzu gerne seinen Feueratem durch (leerstehende) Mastanlagen und Transport-LKWs brausen lässt. Leider ist Firuwan, so der Name des Drachen, aber selber gar nicht vegan und zudem ziemlich tollpatschig – Komplikationen sind also vorprogrammiert. Eine vergnügliche und Mut machende Lektüre!

Bis am 30. Juni 2020 läuft die Finanzierung über Crowdfunding.

Weitere TIF-Artikel von Hans W. Schill

 

Starte eine Diskussion

Noch keine Kommentare

Ähnliche Beiträge

«Die Schule ist kein Ort, um Werbung zu machen»
Weiterlesen

«Die Schule ist kein Ort, um Werbung zu machen»

Weiterlesen
«Die Tierschutzbewegung stilisierte einige Tiere als Kriegshelden»
Weiterlesen

«Die Tierschutzbewegung stilisierte einige Tiere als Kriegshelden»

Weiterlesen
«Werft unsere Geschichte nicht weg!»
Weiterlesen

«Werft unsere Geschichte nicht weg!»

Weiterlesen
Fürsorge und Empathie. Feministische Ansätze in der Tierethik
Weiterlesen

Fürsorge und Empathie. Feministische Ansätze in der Tierethik

Weiterlesen
«Der Schutz der Würde wird nicht durchgesetzt»
Weiterlesen

«Der Schutz der Würde wird nicht durchgesetzt»

Weiterlesen
«Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft»
Weiterlesen

«Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft»

Weiterlesen
«Die Initiative wäre der Start einer Veränderung»
Weiterlesen

«Die Initiative wäre der Start einer Veränderung»

Weiterlesen
«Es gab kein milderes Mittel, um den Tieren zu helfen»
Weiterlesen

«Es gab kein milderes Mittel, um den Tieren zu helfen»

Weiterlesen
«Mortalitätsraten in der Massentierhaltung dürfen nicht akzeptiert werden»
Weiterlesen

«Mortalitätsraten in der Massentierhaltung dürfen nicht akzeptiert werden»

Weiterlesen