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Rezension

«Human-Animal Studies» (Gabriela Kompatscher, Reingard Spannring & Karin Schachinger)

Egal ob im Zoo, im Fernsehen oder im Schlachthaus – Tiere sind in menschlichen Gesellschaften allgegenwärtig. Die neue Forschungsrichtung Human-Animal Studies ergründet das vielfältige Verhältnis zwischen Menschen und anderen Tieren. Jetzt ist die erste deutschsprachige Einführung erschienen. Tobias Sennhauser (TIF) hat sie gelesen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Gabriela Kompatscher, Reingard Spannring & Karin Schachinger, Human-Animal Studies, UTB Verlag 2017, Taschenbuch, 264 Seiten, ca. CHF 35.–

Die Human-Animal Studies (HAS) hinterfragen unseren bisherigen Umgang mit Tieren. Das Ziel ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel: Tiere sollen nicht mehr als Objekte betrachtet werden, sondern als eigenständige Subjekte mit Interessen, Standpunkten und Empfindungen. Die HAS sind interdisziplinär ausgerichtet. Unterschiedliche Perspektive aus unterschiedlichen Disziplinen auf das tierliche Subjekt resp. auf tierliche Kollektive sollen unsere Sinne schärfen. Der Philosoph Tom Tyler bezeichnet die HAS als einen «Treffpunkt, an dem sich unterschiedliche Spezies und ForscherInnen begegnen» (S. 26). Die Interdisziplinarität bezieht sich bislang vor allem auf den Inhalt. Eine einheitliche Methodologie und ein eigenes Theoriegebäude fehlt der jungen Forschungsrichtung noch.

Erste deutsche Einführung

Nun haben die AutorInnen Gabriela Kompatscher, Reingard Spannring und Karin Schachinger die erste deutsche HAS-Einführung herausgebracht. Sie richtet sich gleichermassen an Studierende und Lehrende aller Fachrichtungen. Die Lektüre ist didaktisch aufbereitet und bietet Definitionen, Erklärungen, ein Glossar sowie Zusatzliteratur. Arbeitsaufgaben sollen zur vertieften Auseinandersetzung anregen. Die acht Kapitel widmen sich etwa der philosophischen Tierethik, Human-Animal Studies in Literatur und Sprachwissenschaft sowie in Soziologie, Pädagogik, Geschichte und Gender Studies. Diese Buchbesprechung thematisiert exemplarisch eine Auswahl davon.

Sich von anderen Tieren abgrenzen

Worin unterscheidet sich der Mensch vom Tier? Das ist eine zentrale Frage der HAS. Wissenschaftlich gesehen ist eine scharfe Trennung zwischen dem Menschen und dem Tier längst nicht mehr tragbar. Dennoch definieren wir uns bis heute in Abgrenzung zu anderen Tieren. Als Ursache für die speziesistische Ungleichbehandlung nennen die AutorInnen drei Faktoren: das Aufkommen der Landwirtschaft und der Nutztierhaltung, die Suche der Philosophie nach der exklusiv menschlichen Besonderheit, angestossen durch Aristoteles, sowie das Christentum, worin der Mensch als Abbild Gottes eine Sonderstellung im Kosmos geniesst. Die Abgrenzung zu anderen Tieren geschieht auch durch die Sprache. «Tiere werden auf Wortebene häufig als Ressource für menschliche Bedürfnisse verwendet» (S. 49), meint Mitautor Reinhard Heuberger. So würden wir von Nutztieren oder Versuchstieren sprechen, bei unerwünschten Tieren hingegen von Ungeziefer oder Schädlingen. Damit, so Heuberger, werden Tiere auf eine Ressource oder ein Schadprofil reduziert und es wird ihnen kein intrinsischer Wert zugestanden. Der linguistische Zweig der HAS soll vor allem eines: «Bewusstseinsschaffung für solche bisher vernachlässigte Aspekte sprachlicher Wahrnehmungsfilterung» (S. 53).

Die Tiere schubladisieren

Wir denken Tiere in Kategorien – auch wenn diese zu einem widersprüchlichen Umgang führen. Je nach Verwendungszweck wird ein und dieselbe Art nämlich komplett unterschiedlich behandelt. Ein Kaninchen etwa kann Forschungstier, Haustier, Nutztier oder Zootier sein. Entsprechend wird es gefoltert, verhätschelt, verspiesen oder begafft. Der rechtliche Schutz eines Tieres hängt von seiner Kategorie ab. Zum Beispiel wird individuelle Gewalt gegenüber einem Haustier als unnötig taxiert und verboten. Ganz anders bei Nutztieren: Die institutionalisierte Gewalt, die im Rahmen der Tierproduktion stattfindet und als ökonomisch notwendig gerechtfertigt wird, gilt nicht als Tierquälerei. Die AutorInnen sprechen von nutzungsorientierter Kategorisierung von Tieren. Die Kategorie Haustiere ist für das Mensch-Tier-Verhältnis besonders wichtig. Haustiere haben eine Daseinsberechtigung um ihrer selbst willen und besitzen einen intrinsischen Wert. Sie tragen einen Namen und werden nach ihrem Tod nicht gegessen, sondern mitunter begraben. Übrigens halten nicht nur Menschen andere Tiere. Zumindest auch die Gorilladame Koko. Ihr Haustier war das Kätzchen All Ball. Bis dass es von einem Auto angefahren wurde und starb. In der Zeichensprache, die Koko beherrscht, signalisiert sie im Video ihre Trauer.

Mensch-Tier-Beziehung im Wandel

Unsere Einstellung zu Tieren verändert sich. Während im Westen früher Tiere und ihre Arbeit für das menschliche Wohlergehen unabdingbar waren, verloren sie im 17. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung zunehmends an Bedeutung. Eine besondere Wende markierte der Fordismus im 20. Jahrhundert. Mit der Verdrängung der Kutschen und Pferdekarren durch das Auto verschwanden die letzten Formen vormoderner Mensch-Tier-Beziehungen. Der Autobauer Henry Ford läutete mit der Erfindung des Fliessbandes die Epoche der industriellen Massenproduktion ein. Für die produzierten Massen braucht es den Massenkonsum. Für die Tiere sollte das nichts Gutes verheissen. Es begann das Zeitalter der Massentierhaltung und des exzessiven Tierkonsums. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts änderte sich das Mensch-Tier-Verhältnis erneut. Die wachsende Zahl der Haustiere führt zu einer «Emotionalisierung von Freundschaften mit Tieren» (S. 106). Auch wurde das Verhältnis zu Tieren zunehmend politisiert. Wo früher Konsens herrschte, etwa bei Pelzfarmen, existierten nun rivalisierende Gruppen. Und nicht zuletzt begann der Fleischkonsum zu stagnieren. Die AutorInnen führen das nicht allein auf tierethische Überlegungen zurück, sondern auch auf gestiegene Gesundheitsrisiken.

Wie Tiere ihre Probleme lösen

Wenn Katzen kurzerhand ausziehen und die Familie wechseln, Hunde ihren HalterInnen die Leine bringen, um sie zum Spaziergang aufzufordern, oder Pferde sich und ihre Stallgenossen befreien, spricht man in den HAS von tierlichem Handeln (animal agency). Ein konkretes Beispiel, das im Buch diskutiert wird, handelt von einem grossen Tümmler. Dieser sucht eine Gruppe TaucherInnen auf, weil sich seine Flosse in einem Angelhaken verheddert hat. Geduldig lässt er sich befreien.
In der Forschung bleibt das Handeln der Tiere indes weitgehend unbeachtet. Für die AutorInnen ein Armutszeugnis: «Dass sich die Wissenschaft bislang nicht mit der Handlungsfähigkeit von Tieren auseinandergesetzt hat, ist äusserst kritisch zu sehen» (S. 181). Das habe für die Tiere politische Konsequenzen. Denn begreift man Tiere als handelnde Wesen, wird die Einteilung in (menschliche) Subjekte und (tierliche) Objekte hinfällig. Eine Folge der animal agency ist die sogenannte tierorientierte Geschichtsschreibung. Sie begreift Tiere als Handelnde, als Mitgestaltende unserer Vergangenheit, und fragt, wie sie innerhalb unserer Geschichte wirkten und sie veränderten. Ähnlich wie bei ArbeiterInnen oder Frauen sollen Tiere durch diesen Perspektivenwechsel nicht mehr nur als Opfer ökonomischer, politischer und sozialer Verhältnisse betrachtet werden, sondern auch als GestalterInnen der eigenen Geschichte (doing history). So ist es etwa nicht ausgeschlossen, dass sich eingesperrte Tiere ihre Freiheit erkämpfen. Das Gros wird indes auf fremde Hilfe angewiesen sein: von uns.

METIBE – Büro für Mensch-Tier-Beziehungen

Der 2014 gegründete gemeinnützige Verein in Bern setzt sich für die Besserstellung der Tiere in der menschlichen Gesellschaft ein. Dazu fördert er die wissenschaftliche Forschung zu den Mensch-Tier-Beziehungen und stärkt den internationalen Wissenstransfer der unterschiedlichen AkteurInnen innerhalb der HAS. ► www.metibe.ch

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