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Rezension

«Manifest des veganen Humanismus» (Bernhard H. F. Taureck)

Der Humanismus ist eine der grössten Errungenschaften der Menschheit. Doch gingen dabei die Tiere vergessen. Der Philosoph Bernhard Taureck will das ändern. Eine Buchbesprechung von Nico Müller.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Der deutsche Philosoph Bernhard Taureck legt mit seinem «Manifest des veganen Humanismus» ein spannendes kleines Büchlein zu den Themen Veganismus und Tierrechte vor. Leider krankt der Text an einer unklaren Zieldefinition, einem zweifelhaften Grundargument und einer gewöhnungsbedürftigen Sprache.

Zusammenfassung: Taurecks «veganer Humanismus»

Die Position, um die es Taureck geht, nennt er «veganen Humanismus». Taureck ist der Meinung, dass die Menschen dabei sind, ein von humanistischen Werten geprägtes «Projekt» durchzuführen. Dazu gehöre, dass Menschen nach Wohlstand, Frieden, Recht und Freiheit streben. Nun habe der Humanismus aber die Rechte und das Wohlergehen der nicht-menschlichen Tiere ignoriert. Man müsse den Humanismus deshalb in tierethischer Hinsicht korrigieren. Die Lösung sieht Taureck in einem «veganen Humanismus». Dieser baut auf dem Grundsatz auf, dass Menschen ihre bisherigen Ziele weiter verfolgen sollen – dabei sollen sie aber möglichst wenig mit Tieren interagieren. Taurecks zentrale Forderung lautet: Weitestmögliche Trennung aller menschlichen und nicht-menschlichen Angelegenheiten. Das schliesst allgemeinen Veganismus und die Abschaffung aller sogenannter Nutztierhaltung ein. Seinen «veganen Humanismus» erklärt und verteidigt Taureck in sieben Kapiteln, verteilt auf 120 Seiten. Die ersten beiden Kapitel bilden eine Einheit, insofern sie Taurecks Forderung nach einem «veganen Humanismus» explizit verteidigen. Das Argument lautet wie folgt: Das «Projekt der Menschen», nämlich die Erlangung von Wohlstand, Frieden, Freiheit und Recht, ist für nicht-menschliche Tiere uninteressant. Entweder sind diese Dinge für Nicht-Menschen bedeutungslos (Wohlstand, Frieden, Recht) oder sie bestehen auch ohne menschliches Eingreifen (Freiheit). Darum haben nicht-menschliche Tiere von jedem Kontakt mit Menschen nur zu verlieren und nichts zu gewinnen. Deshalb sollte laut Taureck das Menschliche von allem Nicht-Menschlichen weitestmöglich getrennt werden. Die restlichen fünf Kapitel sind im Grunde unabhängige Aufsätze. Man muss sie deshalb nicht unbedingt alle der Reihe nach lesen. Zu den behandelten Themen gehört eine Kritik der Ansicht, Menschen seien anderen Tieren «überlegen» (Kapitel 3), das Verhältnis zwischen Tierausbeutung und Kapitalismus (Kapitel 4), Ansichten über nicht-menschliche Tiere in der Antike (Kapitel 5) und die moralische Forderung nach der Abschaffung der Tierausbeutung (Kapitel 6 und 7). Taureck schneidet aber noch viele weitere Themen an und bezieht sich auf unzählige Texte – vom Alten Testament bis www.vegan.eu –, was eine erschöpfende Zusammenfassung des Buches erschwert.

Kritik: Ein unklares Ziel und zweifelhafte Argumente

Taurecks Buch nennt sich selbst ein «Manifest» – man dürfte deshalb erwarten, dass das Ziel eine plakative Streitschrift für eine Position ist und nicht eine anspruchsvolle philosophische Abhandlung. Dennoch schreibt Taureck einen Grossteil des Buches im Stil eines philosophischen Fachtextes. So wird unklar, was eigentlich sein Ziel ist: Will er eine präzise philosophische Verteidigung seiner Position liefern oder ein mitreissendes Pamphlet? Die Mischung aus beidem erfüllt leider keine der beiden Funktionen. An entscheidenden Stellen seiner Argumente lässt Taureck die Leserin allein. Beispielsweise, wenn er keine Begründung für seine Behauptung liefert, Menschen würden gemeinsam an einem «Projekt» hin zu Wohlstand, Frieden, Freiheit und Recht arbeiten. Fast jeder Teil dieser Behauptung ist fragwürdig – arbeiten alle Menschen zusammen an einem Projekt in Richtung dieser Ziele? Und warum gehören andere Ziele nicht in den Katalog, wie beispielsweise Tradition, Kultur, Macht, Wissen, Tugend oder Schönheit? An dieser und vielen anderen Stellen liefert Taureck zu wenig Argumente. Zudem scheinen manche zentralen Begründungen Taurecks nicht zu funktionieren. Das betrifft zum Beispiel sein zentrales Argument, dass Tiere vom Kontakt mit Menschen nur zu verlieren hätten, weil sie mit den Zielen des «Projekts der Menschen» nichts anfangen können. Immerhin mag es andere Bereiche geben (z.B. medizinische Hilfe, Hilfe bei Naturkatastrophen), in denen nicht-menschliche Tiere sehr wohl von menschlichen Eingriffen profitieren können, ohne dafür die Ziele irgendeines menschlichen «Projekts» teilen zu müssen. Aus der Annahme, dass Tiere nichts mit dem «Projekt der Menschen» anfangen können, folgt also nicht, dass sie aus dem Kontakt nur zu verlieren haben. Zu solchen Überlegungen sagt Taureck aber nichts.

Wo bleibt die Literatur?

Leider ist es auch so, dass Taureck immer wieder die einschlägige Literatur ignoriert, die es zu seinen Themen bereits gibt. So fordert er die weitestmögliche Trennung menschlicher und nicht-menschlicher Angelegenheiten, ohne Donaldsons und Kymlickas «Zoopolis» auch nur zu erwähnen. Genau in diesem Buch von 2011 wird explizit und ausführlich gegen die Ansicht argumentiert, Tierrechte und Veganismus würden zu einer unrealistischen und unvernünftigen Trennung von Menschen und anderen Tieren führen. Weitere, wenn auch weniger gravierende Versäumnisse leistet sich Taureck zum Beispiel bei seiner Besprechung der antiken Tierethik (keine Erwähnung Plutarchs), der Tierethik Immanuel Kants (keine Erwähnung neuerer kantianischer Literatur) und religiöser Tierethiken (keine Erwähnung der Animal Theology-Literatur). Durch diese Literaturlücken manövriert sich Taureck selbst ins Abseits, weil viele seiner Überlegungen woanders längst vorweggenommen, kritisiert und überholt wurden.

Stilistisches und Vermischtes

Taurecks Schreibstil hat zwei Hauptmerkmale: Einerseits besteht er in einer drastischen, fast parolenhaften Sprache. VeganerInnen werden viele von Taurecks Formulierungen erfrischend direkt finden. An anderen Stellen schreibt Taureck andererseits in einem trockenen, akademischen, sogar schulmeisterlichen Ton. Zum Beispiel liefert er viele lateinische Worterläuterungen und verwendet oft unnötigen philosophischen Jargon. Ganz zum Schluss kann man anmerken, dass der Verlag Wilhelm Fink das Buch nicht besonders gut herausgegeben hat, denn es ist voller Tippfehler. Zudem wurde es Taureck offenbar nicht erlaubt, Fussnoten zu verwenden, was dazu führt, dass seine vielen Exkurse und Nebenbemerkungen im Haupttext erscheinen. Der Verleger hat dieses Problem offenbar erkannt, denn jedes Kapitel beginnt mit einer Kurzzusammenfassung. Nützlicher wären aber Fussnoten und ein Sachregister gewesen. Zusammenfassend gesagt verteidigt Taurecks «Manifest des veganen Humanismus» die Auffassung, dass Menschen und andere Tiere so wenig wie möglich interagieren sollten. Es ist ein Büchlein voller spannender Themen, starker Slogans und interessanter Ideen. Es ist leider auch unübersichtlich, lückenhaft und nicht besonders überzeugend.
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