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Reflexion

Leben mit Gewicht

Sie müssen sich über 100 Kilogramm anfressen in über 100 Tagen, dann gehts ab in den Schlachthof und Ende aus. Das Leben unserer Schweine hat haargenau einen Sinn: ganz viel Fleisch in ganz wenig Zeit. Eine Reportage von Klaus Petrus.

Text: Tier im Fokus (TIF)

„Gut, man muss relativieren.“ Sagt der 70-jährige Mann mit Glatze, spitzer Nase und Brille und tippt auf seinem Rechner herum: „Auf den Tellern landen, aufgerundet, noch 127 Tausend Tonnen.“ Wie das? „Also: 1.6 Millionen Schweine gibt es in der Schweiz. Davon kommen 90 Prozent in die Mast. Die Schlachtausbeute pro Kilo Mastschwein liegt bei 80 Prozent. Macht bei, sagen wir, durchschnittlich 110 Kilo Lebendgewicht pro Tier exakt 126.720.000 Kilogramm Schweizer Schweinefleisch jedes Jahr.“ Und was ist mit den anderen 20 Prozent? „Darüber schreiben Sie lieber nichts.“  Sagt der Metzger in meiner Stadt, meinem Quartier, und betrachtet, zugegeben, ziemlich skeptisch meine Kamera. Szenenwechsel: Ein Kaff im Kanton Solothurn, an einem Mittwoch im Winter. Es ist kalt, dafür hat es für einmal keinen Nebel. Der Hof ist „Bio“, das sieht man von weitem. Immer diese Labels an diesen Stalltüren. Der Mann, um die fünfzig, schaut nicht aus wie ein Schweinemäster, eher wie einer vom Militär. Wir gehen schnurstracks in den Stall, er lehnt sich über den Bretterzaun, streckt den Arm nach einem Schwein, krault es am Öhrli, schaut mich an und wartet. Was sind denn das für welche?, frage ich. „Sorte Edelschwein, einheimisch: verwerten gut, legen prima zu.“ Und wie lange sind die schon hier, in dieser Enge? „Sind sie auf ihren 115 Kilogramm, dann sind sie perfekt.“ Ich meinte eigentlich: Wie lange diese Schweine schon hier seien, in diesem engen dunklen Stall? „Ach so. Die kommen als Ferkel, da haben sie knapp 30 Kilo auf den Rippli! Und à propos Stall: Es ist Winter, da ist eh kein Schwein draussen.“ Ich versuche es anders. Irgendwo hab ich mal gelesen, Schweine seien irrsinnig soziale, intelligente, neugierige Tiere, ob das denn stimme? Der Mann taut auf: „Ja, voll, und wie! Die sind wie Kälber, ehrlich, sind schlimmer als mein Hund! Nur Flausen im Gring! Würden den ganzen Tag spielen und rumgumpen!“ Ah, wie schön. „Ja schon, aber das geht jetzt wirklich nicht!“ Stimmt, wäre ja auch gar nicht möglich in diesem engen, dunklen Stall hier. „Nicht deswegen. Secklen die Schweine den ganzen Tag rum, verbrennen die ja alles, was ich denen zufüttere, auf der Stelle für sich selbst, die würden dann ja gar nicht mehr zulegen!“ Pause. „Wissen Sie eigentlich, was Bio-Schweine-Futter kostet?“ Nein, weiss ich nicht! Ein halbes Jahr zuvor, ich bin im Luzernischen, in diesem Kanton, wo es mehr Schweine gibt als EinwohnerInnen. Zwei mal in der letzten Stunde bin ich schon an dieser Mast vorbeispaziert, möglichst unauffällig, jetzt ist der Zeitpunkt günstig, der Bauer ist draussen und am Misten. Hallo, wie geht’s? „Hallo, geht gut.“ 10 Minuten später sind wir voll im Thema, wir laufen am Aussenbereich entlang, er redet über seine Schweine, ich zähle sie Handgelenk mal Pi, um die 100 sind es, alle nach Grösse sortiert und abgetrennt. „Nach Alter und Gewicht“, korrigiert mich Markus. Und da drinnen, in den Buchten, wie viele hat es da? „Alles in allem an die 1.000.“ Der Betrieb, ein konventioneller, ist vom Schwiegervater, der hatte bis vor einigen Jahren noch alles unter einem Dach: Zucht, Aufzucht und auch die Mast. Wie die meisten sei er, der Markus, jetzt nur noch am Mästen, die Ferkel kauft er mitsamt Futter und Medikamenten ein, bei wem, will er nicht sagen. 80, 90 Tage alt und circa 30 Kilogramm schwer sind sie, wenn sie bei ihm eintreffen. Schon extrem, wenn man bedenkt, dass sie bei der Geburt bloss eineinhalb Kilo wiegen, werfe ich ein. „Ja, heutzutage gibt es schon für die Ferkel spezielle Fresstrainings!“ Kein Witz? „Kein Witz, die Züchter nutzen die natürliche Neugier der kleinen Schweine, um sie möglichst früh ans Festfutter zu gewöhnen. Im ersten Monat kommen sie auf 6 bis 9 Kilogramm, dann geht es ruckzuck. Und sind sie dann bei mir in der Mast, nehmen sie bis 750 Gramm pro Tag zu.“ An einem einzigen Tag? „Jaja, pro Tag. Bei manchen sind es 900 Gramm.“ Aber das seien dann Einzeltiere, wie z.B. der da drüben: „Ein richtig feister Mocken, nicht wahr?“ Der Markus, man sieht es ihm an, ist selber ganz beeindruckt. Immer wieder redet er von der „Mastleistung“ dieser Tiere, wie gut sie das Futter „verwerten“, vom Gewicht, das sie schon in jungen Tagen mit sich herumschleppen müssen: „Respekt! Eigentlich ist das Skelett von Schweinen ja erst mit 4 Jahren so richtig ausgebildet.“ Kommen daher die ganzen Leiden, Markus? Ich habe schon welche gesehen, die humpeln oder knicken ein oder rutschen nur noch auf ihrem Hintern herum. „Jetzt wird’s kompliziert, jetzt müsste man ins Detail. Hängt auch von der Rasse ab und so. Und um jeden Preis mästen, das bringt es eh nicht. Ab 70 Kilo Lebendgewicht musst du das Futter rationieren, sonst setzen die Schweine zu viel Fett an und so was will kein Kunde mehr.“ 2.000 Schweine, bloss hier, um sich fett zu fressen, sonst nichts, 120 Tage lang, dann ab in den Schlachthof und Ende aus: Ob ihm das nicht manchmal seltsam vorkomme, vielleicht sogar ans Herz gehe? „Wenn sie abgeholt werden und ich dann ausstalle, ist es schon öd, ja. Aber es gehen ja nie alle zugleich weg, und es kommen ja immer neue.“ Daneben habe er seit gut zwei Jahren mit einem Kollegen zusammen ein paar Angus-Rinder, nur einfach so zur Freud, das sei ein guter Ausgleich. Wieder in der Stadt, im Quartier, in der Metzgerei. Ich schaue mich um, mache einige Fotos von der Auslage. „Grüessech, 300 Gramm Schweinsgeschnetzeltes“, tönt im Hintergrund eine Frauenstimme. Hier ist sie also, kein Zweifel: die letzte Station in einem Leben, das nur aus Gewicht besteht.
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1 Kommentar

Wenger Therese
vor 10 Jahre

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich danke Ihnen für Ihr Engagement.

In meiner Nachbarschaft werden Schweine nicht gesetzteskonform für die Mästung gehalten. Wo kann man anonym um einen (hoffentlich unangemeldeten) Kontlrollbesuch bitten?

Beste Grüsse, Therese Wenger

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