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Reflexion

Die Bedeutung von Selbstbewusstsein

Sind sich Tiere ihrer selbst bewusst? Und wenn ja: Was bedeutet das für unseren Umgang mit ihnen? TIF-Mitglied Florian Wüstholz meint: nicht eigentlich viel. Worauf es ankommt, ist etwas ganz anderes. Und das hat mehr mit uns als mit den anderen Tieren zu tun.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Es gibt viele Menschen, die Selbstbewusstsein als eine besonders bedeutsame Fähigkeit ansehen. Nicht zuletzt ermöglicht sie so faszinierende Dinge wie einen Plan für die eigene Zukunft zu ertüfteln, gezielt über den eigenen Status in der Gruppe nachzudenken oder sich seiner eigenen Emotionen, Gedanken und Gefühle bewusst zu werden. All dies nur, weil wir über uns selbst explizit nachdenken können und uns als Subjekt, das in der Welt lebt, verstehen. Wäre es nicht toll, wenn andere Tiere das auch könnten?

Nun gibt es natürlich ganz viele Fragen, welche sich in diesem Zusammenhang stellen. Was ist eigentlich Selbstbewusstsein? Wie können wir herausfinden, ob andere Tiere selbstbewusst sind? Handelt es sich dabei um eine moralisch relevante Eigenschaft? Haben selbstbewusste Tiere spezielle Interessen, welche wir besonders beachten müssen? Und schliesslich frage ich mich (und darum geht es mir in diesem Text primär): Was bedeutet das alles für unseren Umgang mit Tieren?

Ursprünglich dachte ich, dass ich zuerst all die komplizierten Fragen beantworten muss, bevor ich mich derjenigen widmen kann, welche mich eigentlich interessiert. Dann habe ich aber bemerkt, dass die letzte Frage – was bedeutet das alles für unseren Umgang mit Tieren – die viel einfacher zu beantwortende ist. Und wenn ich mich zuerst den problematischen Sachen widme, zäume ich das Pferd sozusagen von hinten auf. Und das will ich ja nicht. Ich will diesen Gedankengang an einem Beispiel vorführen.

Die Gemeinschaft der moralisch Gleichgestellten, oder: Was will Ich eigentlich?

Vor kurzem habe ich das Portrait von tier-im-fokus.ch (TIF) über die Schimpansen gelesen. Darin wird gesagt, dass es Leute gibt, die meinen, dass Schimpansen in die „Gemeinschaft der moralisch Gleichgestellten“ aufgenommen werden sollten. Warum? Unter anderem weil sie angeblich über Selbstbewusstsein verfügen.

„Blödsinn!“ dachte ich mir. Die ganze Idee ist verkorkst, dass gewisse Kriterien eindeutig darüber entscheiden können, wie wir unseren Umgang mit Tieren regeln sollen (und genau das ist doch damit gemeint, wenn man gewisse Tiere in die „Gemeinschaft der moralisch Gleichgestellten“ aufnehmen will).

Es ist irrelevant für die Frage, wie wir mit Tieren umgehen wollen, ob Tiere Rechte haben, ob sie selbstbewusst oder leidensfähig sind, oder ob sie alle Primzahlen bis 100 auswendig können. Wenn ich vor der Entscheidung stehe, ob ich ein Stück Fleisch oder ein Frühstücksei essen oder ein Glas Milch trinken will, frage ich mich nämlich nicht: „Hat das Tier Rechte, hat es gelitten, war es selbstbewusst oder konnte es alle Primzahlen bis 100 auswendig?“ (die letzte Frage ergibt durchaus Sinn, da auch Menschen Tiere sind).

Ich frage mich viel eher: „Will ich das wirklich essen?“ oder „Will ich das wirklich einsperren?“ oder „Will ich das wirklich alles hinterfragen?“.

Tierrechte und Putzpläne

Wenn man meint, dass eine Debatte über Tierrechte die Grundlage für die Frage nach dem Umgang mit unseren Mitbewohnern darstellt, ist das natürlich alles sehr wenig überzeugend. Aber von einer Diskussion darüber, was Tierrechte sind, lerne ich leider nichts darüber, was ich eigentlich tun will.

Mit anderen Worten: Aussagen der Art „Das Recht eines Tieres, nicht ausgebeutet zu werden, ist darin begründet, dass das Tier ein psychologisch reales Interesse daran hat, nicht zu leiden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen etc.“ helfen mir nicht wirklich weiter, wenn ich mich der praktischen Frage widme, ob ich dieses Stück Fleisch nun essen will oder nicht (es hilft mir allenfalls bei der Frage weiter, ob ich das wirklich alles hinterfragen will).

Ich will nun eine These aufstellen: Wenn es uns um die Tiere geht, dann geht es uns um die praktische Frage.

Und wenn es um die praktische Frage geht, dann geht es primär um die Frage, was wir dann auch tatsächlich tun. Und das wiederum hängt davon ab, was wir tun wollen. Tierrechte und andere moralische Überlegungen sagen mir zwar, was ich tun soll, aber darin unterscheiden sie sich in interessanter Hinsicht nicht vom Putzplan an meinem Kühlschrank, der mir auch sagt, was ich tun soll (diese Woche: Wohnzimmer staubsaugen und den Müll rausbringen). Ob ich dann aber tatsächlich auch das mache, was ich soll (Staubsaugen bzw. keine Tiere essen), hängt davon ab, was ich will. Warum also überhaupt über Tierrechte oder Selbstbewusstsein oder Leidensfähigkeit sprechen?

Nun könnte man einwenden, dass erst diese Kriterien (Rechte, Selbstbewusstsein, Leidensfähigkeit etc.) uns überhaupt ermöglichen, die richtigen Dinge zu wollen, weil sie uns zeigen, was man tun soll. Aber zumindest beim Putzplan ist es hier anders. Ich habe ihn ursprünglich aus einem ganz praktischen Grund aufgestellt. Ich will ein sauberes Haus und bei mir ist’s halt so, dass da ein Putzplan von grossem Nutzen ist, denn ohne ihn würde ich viel seltener einen Finger rühren oder erst dann, wenn es so richtig schlimm ist.

Bei den Tieren ist’s analog. Erst wenn es so richtig schlimm ist, rühren wir von alleine einen Finger. Aber eigentlich wissen wir, dass es schöner wäre, wenn wir schon früher Massnahmen ergreifen würden. Ich will keine Tiere ausnützen, ich will nicht, dass sie sich in ihrem Leiden die Augen verdrehen und vor Schmerzen stöhnen. Und darum habe ich mir einen „Putzplan“ aufgestellt, wo drin steht, was ich tun soll. Im Putzplan steht zum Beispiel, dass Tiere Rechte haben, dass sie selbstbewusst sind, dass sie leiden oder alle Primzahlen bis 100 aufzählen können. Das hilft mir, mich in die richtige Richtung zu schubsen.

Alles Illusion?

Was ich damit nicht sagen will, ist, dass Tierrechte, oder Leidensfähigkeit eine grosse Illusion sind; quasi bloss eine mentale Stütze und nichts weiter. Wie gesagt, wenn es um die Tiere geht, geht es um die praktische Frage.

Tierrechte sind real. Manche Tiere sind selbstbewusst. Die meisten können leiden. Fast alle wollen nicht sterben. Und ich, und ein paar andere Menschen, wollen Tiere einfach in Ruhe lassen (manche gehen hier noch weiter und ich unterstütze deren Vorhaben voll und ganz, aber ich verstehe den praktischen Aspekt leider noch nicht). Bei vielen spielen diese Beobachtungen irgendwie alle im gleichen Stadion. Andere, und dazu gehöre ich, gehen nur ungern ins Stadion denn dort hat es mir zu viele aggressive Menschen. Ich mache lieber, was ich für richtig halte. Ich gehe gerne mit anderen im Park Frisbee spielen und Pflanzen grillieren; oder ich mache eine Wanderung.

Und manche Menschen, die ursprünglich noch nicht gecheckt haben, dass das Leben auch ziemlich schön sein kann, wenn man Tiere einfach in Ruhe lässt, machen’s mir dann vielleicht nach. Die meisten von denen haben keine Ahnung von Selbstbewusstsein bei Tieren und es interessiert sie auch am Anfang nicht, erst wenn sie dann vielleicht mal ins Stadion gehen. Aber in dem Fall haben die Tiere sowieso schon gewonnen. Andere interessieren sich schon jetzt für Selbstbewusstsein bei Tieren und gehen auch gerne ins Stadion. Aber auf ihren Grill legen sie doch am liebsten Fleisch. In diesem Fall sind die Tiere die Verlierer, aber mit Selbstbewusstsein ist ihnen auch nicht geholfen.

(Wer sich mit mir über das Phänomen von Selbstbewusstsein bei Tieren unterhalten will, kann gerne mit mir mal eine Wanderung machen oder grillieren (z.B. beim nächsten Grilling Without Killing), oder mir eine Mail schreiben an fwustholz[at]gmail.com. Ich find das Phänomen nämlich wirklich spannend.)

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4 Kommentare

Nana du Jura
vor 11 Jahre

Die meisten Nutztiere haben ein Selbstbewusstsein das soweit reicht, dass sie beim Metzger merken, dass mit ihnen SELBST etwas Schlimmes passieren wird. Sie sind sich selbst bewusst, dass sie in einer ungewollten, gefährlichen Situation sind. Es ist einfach grausam. Sich darüber Gedanken zu machen ist den meisten zu anstrengend, deswegen braucht es mehr Aufklärung wie die von TIF. Danke TIF!

Fätu de Mini
vor 11 Jahre

Jedes Tier welches seine Existenz wahrnimmt, hat für mich ein Selbstbewusstsein. Es kann seine Umgebung wahrnehmen und auch entsprechend reagieren. Aber vor allem möchte es am Leben bleiben weil es ihr Leben bewusst wahrnimmt.

sonnthal carl
vor 11 Jahre

tiere haben kein selbstbewusstsein, sondern ein unterbewusstsein, wo auch der sitz des instinktes ist.

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