Kälbermast: Wenn Aufklärung zur Propaganda wird
Damit das Fleisch der Kälber hell bleibt, wird ihnen Eisen vorenthalten. Das findet nicht einmal die Branche toll, es ist sogar von "Tierquälerei" die Rede. Jetzt will man die KonsumentInnen über dieses unnötige Tierleid aufklären und an ihr Kaufverhalten appellieren. Und vergisst dabei das Wichtigste. Ein Artikel von Klaus Petrus (TIF).
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Eisenarme Delikatesse
Auf diesem Hof im luzernischen Inwil gibt es sie gleich reihenweise. Wenige Wochen alte Kälber, die kurz nach der Geburt ihren Müttern weggenommen und dann einzeln in „Iglus“ gesperrt werden, damit sie sich nicht gegenseitig besaugen können oder mit Infektionskrankheiten anstecken.
In der Tat: Kälber sind häufig krank und bleiben es ihr kurzes Leben lang. Über 66.000 Kilogramm Antibiotika werden hierzulande jedes Jahr an „Nutztiere“ verfüttert. Wieviel davon in die Kälbermast geht, ist nicht bekannt. Hingegen weiss man: Die Tiere leiden oft an Eisenmangel, die Folge ist ein geschwächtes Immunsystem. Teilweise ist das erblich bedingt oder hängt vom Geschlecht ab, der Rest ist Kalkül: Je mehr Eisen im Blut der Kälber, desto röter ihr Fleisch. Und das ist schlecht fürs Geschäft. Kalbfleisch soll nämlich hell sein, edel und delikat. So will es die Branche, denn so wollen es die KonsumentInnen.
Aufklärung statt Stroh
Also werden die Kälbchen mit Stroh, mit überschüssiger Milch oder einem fettreichen Milchersatz gefüttert statt mit eisenhaltiger Nahrung wie Heu oder Gras. Genau das würden die jungen Wiederkäuer aber von Natur aus essen, wenn sie denn dürften. Dass ihnen aus Profitgier nicht-artgerechte Nahrung vorgesetzt wird und sie deshalb erkranken, widerspricht eigentlich dem Gesetz. Und grenzt, auch juristisch gesehen, an Tierquälerei.
Entsprechend hoch ist der Handlungsbedarf. Im Sommer 2011 rief der Schweizer Tierschutz STS zum „Kälbergipfel“ nach Bern und alle waren sich einig: Jetzt steht Aufklärung an! Man müsse den KonsumentInnen unbedingt klar machen, dass die Röte des Kalbfleisches nicht über die Qualität entscheidet. Dann gebe es auch keinen Grund mehr, die Mästereien mit einem „Farbabzug“ von bis zu 3 Schweizer Franken pro Kilogramm rosa oder rotes Kalbfleisch zu bestrafen.
Kein „unnötiges“ Kälberleid
Neu sind diese Vorsätze freilich nicht. Schon Ende der 1990er liess die Migros verkünden: „Keine Preisabzüge mehr für dunkles Kalbfleisch!“ Nur wenige Jahre später wurde alles wieder rückgängig gemacht, der Migros-Schlachter Micarna beklagte Einbussen von bis zu 20 Prozent.
Leicht wird es für die Branche auch diesmal nicht. Die Dachorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft Proviande rechnet jedenfalls mit einer „sehr langsamen Gewöhnung“ der Kundschaft an dunkleres Kalbfleisch. Coop sieht sich schon auf dem Weg dorthin. Der zweitgrösste Detaillist im Lande vertreibt rötliches Label-Kalbfleisch und wirbt in Inseraten für ein neues „Qualitätsverständnis“. Die KonsumentInnen werden also vor die Wahl gestellt: helles oder „tierfreundliches“ Kalbfleisch, etwas Drittes gibt es nicht.
Dem Tierschutz kann das nur recht sein, schliesslich möchte man „unnötiges Tierleid“ vermeiden. Und eine gezielte, profitgesteuerte Fehlernährung junger Rinder ist unnötiges Tierleid, das vermieden werden muss. Am besten bald.
Tierwohl auf halber Strecke
Doch zum Wohle der Kälber bräuchte es mehr. Um unseren Bedarf an Kuhmilch zu decken, werden sie – Bio hin oder her – ihren Müttern entrissen und weggesperrt, sodann nach Geschlecht sortiert und im Schnelldurchlauf zur „Schlachtreife“ gemästet. Ein gutes Leben ist das nicht. Schon deshalb hätte eine Aufklärungskampagne den KonsumentInnen nebst hellem und weniger hellem Kalbfleisch noch etwas Drittes schmackhaft zu machen: der bewusste Verzicht.
Das mag übertrieben klingen. Aber das wäre, auch für einen wahrhaft ethischen Tierschutz, nur konsequent. Denn wo „unnötiges Tierleid“ zur Debatte steht, sind alle Alternativen zu erwägen. Und davon gibt es zuhauf. So namentlich in Wohlstandsländern wie der Schweiz, wo die meisten Leute auf Kalbfleisch und andere tierliche Produkte eigentlich gar nicht mehr angewiesen sind. Auch das müsste auf einem „Kälbergipfel“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts doch beschlossene Sache sein: Es ist an der Zeit, sachlich und unvoreingenommen darüber zu informieren, ob und wie sich gut leben lässt ohne Tierliches. Aufklärung aber, die vor der veganen Alternative Halt macht, verkommt unweigerlich zur Propaganda und spielt all jenen in die Hand, die mit den armen Kälbern ihr Geld machen.
Derweil ist in der Kälbermast schon wieder ein neues Präparat im Umlauf. Dieses Mal ist es ein würfelförmiger Raufutterersatz, auf dem die Kälber ewig lange kauen können – und der sie mit genügend Eisen versorgen soll. Auch der Bauer im luzernischen Inwil ist zufrieden: Bisher hätten seine Tiere immer an den Holzwänden genagt, jetzt seien sie viel ruhiger. Der Witz am Ganzen: das Eisen im Würfel färbt nicht aufs Fleisch ab.
Lesen Sie dazu auch unser Info-Dossier Kühe und ihre Kälber und Milch!
2 Kommentare
hallo lislott pfaff — zumindest nach tierschutzgesetz ist dies nicht die norm und im grunde auch nicht erlaubt — dort, d.h. in der verordnung, ist nämlich festgehalten, dass kälber grundsätzlich in gruppen gehalten werden müssen — werden sie einzeln gehalten (z.B. in boxen oder während den ersten lebenswochen in „kälberiglus“), müssen sie auf irgendeine weise (z.B. durch ein kleines gitter) zugang zum freien haben; die entsprechenden boxen müssen die mindestmasse von 85 cm (breite) auf 130 cm (länge) aufweisen. lieber gruss, TIF
Stimmt es, dass in Kälbermästereien in der Schweiz die Tiere in enge Boxen gezwängt werden, wo sie sich kaum umdrehen können?