23Sep 14
Interview
„NGOs sorgen für Unbehagen“
Palmöl hat einen schlechten Ruf. Viele NGOs rufen zum Boykott auf und lehnen die Zusammenarbeit mit ProduzentInnen ab. Der Umweltschützer Scott Poynton sieht das anders. Tobias Sennhauser (TIF) wollte wissen, wieso.
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Die Hälfte der verpackten Produkte, Kosmetik und industriell verarbeiteten Lebensmittel in den Regalen der Supermärkte beinhalten Palmöl oder ein Derivat davon. Auf der Inhaltsangabe ist üblicherweise von „pflanzlichen Fetten“ die Rede. Doch die Palmölproduktion birgt auch Nachteile. Welche das sind und wie man sie umgehen kann, weiss Scott Poynton. Tobias Sennhauser von tier-im-fokus.ch (TIF) hat mit dem Gründer und Chef der Umweltorganisation The Forest Trust gesprochen.
Tobias Sennhauser: Menschenrechtsverletzungen, Zerstörung der Lebensräume von bedrohten Tierarten, Abholzung der Urwälder: Das Palmöl steht arg in der Kritik. Brauchen wir dieses Öl denn überhaupt?
Scott Poynton: Wir brauchen pflanzliche Öle, um die rasch wachsende Bevölkerung zu ernähren. Palmöl ist eines von vielen. Mit seinem herausragenden Hektarertrag übertrumpft es aber alle anderen. Mit bis zu 8 Tonnen Öl pro Hektare ist die Ölpalme die effizienteste Ölpflanze. Soja oder Raps kommen nur auf 1-2 Tonnen pro Hektare.
Woher stammt unser Palmöl?
Viele Länder haben kleine Palmölindustrien, wie zum Beispiel afrikanische Länder, Brasilien oder Kolumbien. Der Grossteil, nämlich rund 80 Prozent, stammt aber aus Malaysia und Indonesien, das ist der grösste Produzent.
Sie reden von einem „Palmöldilemma“. Was meinen Sie damit?
Palmöl sorgt für ökonomisches Wachstum in armen, ländlichen Gebieten Indonesiens und Malaysias. Wo früher die Armut herrschte, da gibt es heute Schulen, Spitäler, Strassen und weitere Infrastruktur. Gleichzeitig hat vieles eine ökologische Kehrseite. Ein Grossteil des Palmölanbaus in Indonesien und Malaysia ging auf Kosten der Wälder. Dadurch gelangten riesige Mengen von Treibhausgasen in die Atmosphäre, so insbesondere bei abgeholzten oder abgebrannten Mooren. Die Zerstörung der Wälder ist für die Biodiversität und ökologische Widerstandsfähigkeit der Landschaft verheerend. Treibhausgase verursachen den Klimawandel, der schlussendlich auch das Leben der Menschen beeinträchtigt. Darin besteht also das Dilemma: die Palmölproduktion bringt viel Gutes mit sich, jedoch auch viel Schlechtes.
Reden wir über die Arbeitsbedingungen in der Palmölproduktion. Sind die ArbeiterInnen versichert, reicht ihr Lohn zum Leben?
Es gibt vorbildliche Firmen, die sich um ihre ArbeiterInnen sorgen und ihnen solide Unterkünfte, einen guten Lohn, Schulen für die Kinder und Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen. Andere Firmen machen es weniger gut. Obwohl es schlimme Fälle gibt, befolgt die Palmölindustrie im Grossen und Ganzen doch die Gesetze und pflegt einen respektvollen Umgang mit den ArbeiterInnen.
Ein ernsthaftes Problem aber bleibt, und das ist der Einsatz von chemischen Herbiziden und Pestiziden.
Welche Auswirkungen hat die Palmölproduktion auf die lokale nicht-menschliche Population?
Das grösste Problem ist die Zerstörung von Lebensraum. Pflanzen und Tiere – so vor allem „Flaggschiffarten“, also prominente Arten wie Orang Utans – werden durch die Zerstörung der Wälder getötet. Sie haben sonst keinen Lebensraum und werden einfach ausradiert.
Es gibt viele NGOs, die das „Palmöldilemma“ zu lösen versuchen. Sie sind selber ein ehemaliger Umweltschützer. Bei The Forest Trust (TFT) arbeiten Sie nun allerdings als Berater. Was ist passiert?
Ich bin kein Berater und schon gar nicht ein „ehemaliger“ Umweltschützer. Ich bin nach wie vor Umweltschützer, doch TFT ist nicht mit anderen NGOs zu vergleichen. NGOs arbeiten gegen Unternehmen und bezeichnen sie als Sündenböcke.
Dann etwa, wenn sie Urwälder niedermähen lassen.
NGOs sorgen für Unbehagen. Wenn aufgrund einer NGO-Kampagne der Status Quo untragbar wird, möchten die meisten Firmen herausfinden, weshalb sie attackiert werden. Sie werden versuchen, Lösungen zu finden, doch leider endet dieser Prozess meist erfolglos. Die Unternehmen sehen nämlich oft keinen Ausweg. Damit werden Vorwürfe nur noch schärfer und sie reagieren bloss noch auf die Angriffe. Das führt in eine Spirale und so rückt das eigentliche Problem in dieser hitzigen Atmosphäre immer mehr in den Hintergrund.
Arbeitet TFT deshalb mit multinationalen Unternehmen, die im Palmölmarkt aktiv sind?
Wir zeigen den Unternehmen einen Weg aus dem Chaos. Wir helfen ihnen die Sichtweise der NGOs zu verstehen. Oft reden NGOs und Unternehmen zwar die selbe Sprache, doch sie reden aneinander vorbei. Wir sehen uns als Übersetzer, indem wir das gegenseitige Verständnis beider Parteien fördern und sie auf dem Lösungsweg konstruktiv begleiten. Wir glauben, dass sich Leute auf menschliche Art begegnen müssen, um Probleme zu lösen. Immer wieder auf jemanden einzuhämmern, ist unserer Ansicht nach der falsche Weg. Das mag auf die Probleme aufmerksam machen, aber Lösungen können nur gefunden werden, wenn man zusammensitzt und miteinander redet. Das verspricht meist ein besseres, nachhaltigeres Resultat.
Was erwarten Sie von globalen Playern wie Nestlé?
Unser Ziel einer Zusammenarbeit mit Nestlé und anderen besteht seit je her darin, nachhaltige Beschaffungspraktiken zu finden. Damit soll die Urwaldabholzung in sämtlichen Stationen ihrer Versorgungskette verschwinden. Bis jetzt hat sich nur Nestlé dazu verpflichtet, andere müssen nachziehen.
Der Runde Tisch für Nachhaltiges Palmöl (RSPO) – ein Zertifizierungsschema, mitbegründet vom WWF – verfolgt ähnliche Absichten. Verschiedene NGOs und Palmölproduzenten einigten sich auf bestimmte nachhaltige Kriterien in der Produktion. Der deutsche Journalist Wilfried Huismann bezeichnet das Vorhaben jedoch als „Greenwashing“. Er meint, es gebe kein nachhaltiges Palmöl, da Monokulturen nie nachhaltig sein können. Liegt er falsch?
Nein, damit liegt er völlig richtig. Wir legen den Unternehmen nahe, ein Mosaik von Palmölplantagen und Urwäldern zu erstellen. Wir sind der Ansicht, dass dies die Plantagen widerstandsfähiger macht. Huismann hat recht, dass der Runde Tisch nicht nachhaltige Praktiken wie den Kahlschlag von Mooren und Abholzung von Urwäldern erlaubt. Wir glauben nicht, dass Runde Tische effektiv sind. Plantagen, die vom RSPO zertifiziert wurden, sollten nicht als „nachhaltig“ bezeichnet werden.
Aber auch der WWF arbeitet mit der Industrie zusammen.
Ja, aber TFT arbeitet anders als der WWF. Der WWF hält sich an die Kriterien des Runden Tischs für nachhaltiges Palmöl (RSPO). TFT ist kein RSPO-Mitglied und bemängelt, dass das Zertifizierungsschema den Kahlschlag von Mooren sowie die Abholzung von Urwäldern erlaubt. Wir versuchen innerhalb der gesamten Versorgungskette zu arbeiten, um die Rückverfolgbarkeit zur Ursprungsplantage zu gewährleisten. Zudem wollen wir sicherstellen, dass die ProduzentInnen Palmöl „Ohne Abholzung“ (engl. No Deforestation) verkaufen.
Palmöl „ohne Abholzung“?
So bezeichnen wir Palmöl, das unter bestimmten Bedingungen produziert wird. Unternehmen, die entsprechendes Palmöl herstellen, haben weder auf dem eigenen noch auf gemietetem Land eine Verbindung zur Urwaldabholzung. Diese Unternehmen schützen zudem Moore und arbeiten gemäss den Richtlinien von High Conservation Value Forests and High Carbon Stock forests. Ferner respektieren sie die Rechte indigener oder lokaler Gemeinschaften und halten sich an die gesetzlichen Vorschriften.
Unsere Arbeit tangiert sämtliche Bereiche der Lieferkette, von GrossverteilerInnen über VerarbeiterInnen bis hin zu HändlerInnen und BäuerInnen. So können wir sicherstellen, dass kein Produkt unserer Mitglieder eine Verbindung zur Urwaldabholzung aufweist.
Was können KonsumentInnen gegen das „Palmöldilemma“ tun?
KonsumentInnen müssen Fragen stellen! Wer Palmölprodukte verkauft, wird so rasch merken, dass den KonsumentInnen das Thema am Herzen liegt, dass Standardantworten nicht genügen und das Unternehmen mehr tun muss. Haken Sie nach, wieso eine Firma keine „Ohne Abholzung“-Verpflichtung eingegangen ist. Das sollte sie für sämtliche Produkte tun. Andernfalls sollten KonsumentInnen weiterhin diese unangenehmen Fragen stellen: Hat das Produkt eine Verbindung zur Urwaldabholzung? Und falls die VerkäuferInnen es nicht wissen – machen Sie ihnen klar, dass dies nicht reicht.
Und lassen Sie sich nicht vom RSPO-Label in die Irre führen, denn sein Standard ist sehr tief angesetzt. Auch für RSPO-zertifiziertes Palmöl können Sekundärwälder gerodet werden, die von Orang Utans und anderen bedrohten Arten bewohnt werden.
Aus dem Englischen von Tobias Sennhauser. Ebenfalls verfügbar ist das englische Original.
The Forest Trust (TFT) ist eine Schweizer Umweltorganisation mit lokalen VertreterInnen rund um den Globus. Sie wurde 1999 von Scott Poynton gegründet und unterstützt Unternehmen und Gemeinschaften, um faire und nachhaltige Produkte bereitzustellen. Neben Palmöl fokusiert TFT auf die Holz- bzw. Papierindustrie.
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