Fleisch. Sinnbild der Männlichkeit?
Fleisch: Symbol der Macht, Sinnbild der Männlichkeit! So wirbt die Branche landauf landab mit toten Tieren. Besonders während der Grillzeit. Dabei sollten derlei Slogans schon längst passé sein, meint unser Autor Tobias Sennhauser. Er hat ein Rezept, wie man dieses kulinarische Machotum ein für allemal loswerden kann.
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„Männer, zurück an den Grill“, fordert Bell, die Schlachtfirma des Grossverteilers Coop, in einer landesweiten Werbespotreihe. Die Migros reagierte prompt und liess in einem Werbeclip zwei Schwinger gegeneinander antreten. Nicht im Sägemehl, wie es sich die „Hosenlüpfer“ gewohnt sind, sondern am Grill: Schelmisch lächelnd versuchen sie sich gegenseitig zu übertrumpfen, indem sie ein immer grösseres Stück totes Tier auf den Rost schmeissen.
Grillen ist, so vermittelt die Werbung der Grossverteiler, Männersache. Klar, denn das angeblich starke Geschlecht hat angeblich einen besonderen Proteinbedarf. „Fleisch macht stark!“, heisst es bekanntlich, und sicher sind die beiden potenten Athleten aus der Migros-Werbung echte Kerle. Denn Fleisch, das maskuline Kraft spendet und von einem eigens getöteten Tier stammt, passt prima zum männlichen Ego eines Kampfsportlers.
Fleisch ist eigentlich passé
Fleisch als natürliches Doping ist eigentlich ebenso überholt wie das Patriarchat. Starke Frauen und schöne Männer von heute brauchen genau gleich viel Fleisch, nämlich: gar keines – und zwar unabhängig von sportlichen Ambitionen. 2011 errang der damalige Vegetarier und heutige Veganer Patrik Baboumian in den Strongman-Meisterschaften den Titel „Stärkster Mann Deutschlands“ und im Jahr 2005 wurde der vegan lebende Arzt Alexander Dargatz Weltmeister im Bodybuilding. Wer hätte das gedacht: Muskelkraft bedingt offenbar kein tierliches Protein.
Fleischwaren (und auch andere tierliche Produkte wie Milch oder Eier) sind heute ein Luxus ohne ernährungsphysiologische Notwendigkeit. Und was für ein Luxus! Die sogenannten Nutztiere – das ist zur Genüge dokumentiert – fristen in den Ställen ein kurzes, reizarmes Dasein. Viele sind von Krankheiten geplagt, so dass sie mit Antibiotika behandelt oder frühzeitig geschlachtet werden müssen. Bio hin oder her. Ganz zu schweigen von der brasilianischen Urwald-Abholzung im Namen der Futtermittelindustrie oder von den Treibhausgasen Methan, Ammoniak oder Lachgas, die durch die Viehwirtschaft entstehen.
Und all dieser Luxus für einen kurzen Gaumenkitzel und eine Portion Männlichkeit?
Und vegan ist politisch
Vegan zu leben trägt zwar massgeblich dazu bei, das in den Ställen verursachte Tierleid sowie der ökologische Fussabdruck zu verringern. Doch kann eine vegane Lebensweise die bestehende Geschlechterlogik verändern? Vielleicht. Tatsächlich fordern VeganerInnen das Machotum heraus, indem sie der kulinarischen Rollenteilung den Rücken kehren. Zudem ist Veganismus mehr als bloss eine Ernährungsform. Es ist eine politische Haltung, die das Tier als Ware und folglich auch den fleischbedingten Männlichkeitswahn ablehnt. Wenn auf dem Grill kein Fleisch mehr schmort, sondern pflanzliche Alternativen „bräteln“, könnte dies das männliche Vorrecht für die Grillzange tangieren.
Die Werbebranche stürzt sich regelmässig auf sexistische Sterotypen – sexi(sm) sells! –, wie zum Beispiel den Fleisch-macht-stark-und-ist-deshalb-Männersache-Mythos. So werden kulinarische Geschlechterdifferenzen inszeniert, indem bestimmte Speisen als typisch männlich bzw. weiblich konstruiert werden. Die geschlechtertypische Ernährung entbehrt aber jeder biologischen Notwendigkeit, sie zementiert bloss veraltete Rollenmuster und fördert die sinnlose Ausbeutung der Tiere. Veganismus als moderne Herrschaftskritik könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Übrigens: Das Machogehabe im Migros-Werbespot ist auch InternetaktivistInnen nicht entgangen. Sie haben den Clip dementsprechend verändert:
Der Artikel ist in veränderter Form auch auf der Online-Plattform rollenrollen.ch erschienen.
3 Kommentare
merci vielmal für Deine Arbeit und das tolle Resultat 🙂
Es gibt ja so eine Werbung wo ein Mann vor dem Spiegel steht und sich mit Veet(?, = Frauenprodukt) sein Haar entfernt, als urplötzlich ein Riesenpacket Kohle durch den Fernsehbildschirm fliegt und in seinem Gesicht landet. Ich musste mich echt fragen was dies mit Grillieren zu tun hat und was Fleisch einen so männlich macht. (Was wenn eine Frau grilliert?)
Es ist, wie du betont hast, nicht nur frauenfeindlich sondern es hat auch noch einen Hauch von Homophobie drin. Das ist sowas von unmännlich und ein sehr egoistisches Verhalten, das man propagiert. Unglaublich, aber auch hier schaft der Veganismus für die Gleichberechtigung
danke für den interessanten, tollen artikel!