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Rezension

„Can Animals be Moral?“ (Mark Rowlands)

Menschen sind moralische Wesen. Sie treffen moralische Entscheidungen und können dafür zur Verantwortung gezogen werden. Das, so heisst es immer wieder, unterscheide sie von anderen Tieren. Aber trifft das wirklich zu? Der Philosoph Mark Rowlands hat ein Buch zu diesem heiklen Thema geschrieben. Und Florian Wüstholz von TIF hat es rezensiert.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Mark Rowlands, Can Animals be Moral?, Oxford 2012, ca. CHF 41.– Können nicht-menschliche Tiere (von nun an: Tiere) moralisch handeln? In der Tierethik gilt beinahe schon der Standard, diese Frage negativ zu beantworten. Nicht zuletzt basieren viele tierethische Positionen darauf, dass Tiere lediglich „moral patients“ sein können. Das heisst, Tiere können zwar Objekte der Moral sein, aber nicht selbst auch zu moralischen Handlungen fähig sein. Menschen hingegen, als „moral agents“, also moralische Akteurinnen und Akteure, können aus moralischen Gründen handeln und damit eine Verpflichtung haben, die Interessen von Tieren zu berücksichtigen. Der Philosoph Mark Rowlands argumentiert nun in seinem neuen Buch „Can Animals be Moral?“ dafür, dass wir die Möglichkeit ernst nehmen müssen, dass auch manche Tiere moralisch handeln können. Tiere können aufgrund von moralischen Gründen handeln, wobei diese Gründe normalerweise moralisch aufgeladene Emotionen sind.

Moralische Akteurinnen, moralische Subjekte und moralische Objekte

Um diese Position zu illustrieren und auszuschmücken, bedient er sich anfangs verschiedenster Beispiele aus der Tierwelt. Diese zeigen eindrücklich, dass viele Tiere ein Verhalten zeigen, welches dem von moralisch handelnden Menschen frappant ähnelt. Tiere helfen verletzten Artgenossen, sie trauern um verstorbene Angehörige oder sie hungern, um anderen Schmerzen zu ersparen. Rowlands führt diese Beispiele jedoch nicht zum Zweck an, um dafür zu argumentieren, dass es sich bei solchen Wesen um moralische Akteurinnen (moral agents) handelt. Denn wie viele andere ist er der Auffassung, dass es unangebracht wäre, Tiere für ihre Handlungen zu loben oder zu tadeln. Generell gibt er den ethologischen Daten in seinem Buch wenig argumentatives Gewicht. Stattdessen nutzt er sie lediglich als Sprungbrett, um nach einer Möglichkeit zu suchen, die festgefahrene begriffliche Zweiteilung in moralische Akteurinnen (moral agents) und solche Wesen, die nicht die Fähigkeit zu moralischem Handeln besitzen (moral patients) aufzubrechen. Rowlands will damit für eine dritte Kategorie Platz machen, die er als: moralische Subjekte (moral subjects) bezeichnet. Deutschsprachigen Leserinnen und Lesern mag diese Bezeichnung etwas merkwürdig erscheinen, da Subjekte der Moral gewöhnlicherweise auch gelobt und getadelt werden können. Bei Rowlands handelt es sich bei dieser Kategorie von Wesen jedoch um eine Zwischenform. Er will im Buch dafür argumentieren, dass moralische Subjekte zwar (wie moral patients) nicht für ihre Handlungen ethisch verantwortlich gemacht werden können, aber dennoch (wie moral agents) aus moralischen Gründen handeln können. Die klassische Zweiteilung zwischen moralischen Subjekten und moralischen Objekten wird also ersetzt durch eine Dreiteilung: moralische Akteurinnen können für ihre Handlungen ethisch verantwortlich gemacht werden; bei moralischen Subjekten ist dies nicht sinnvoll, trotzdem können diese aus moralischen Gründen handeln; moralischen Objekten fehlt auch diese Fähigkeit, jedoch sind sie moralisch relevant.

Moralische Emotionen bei Tieren

Die Stossrichtung des Buches ist damit festgelegt: es geht um begriffliche Argumente und Beziehungen. Wie hängen moralische mit motivierenden Gründen, oder die Fähigkeit, eigene Gedanken zu reflektieren und kritisieren, mit Normativität und Moral zusammen? Aus den Antworten, die Rowlands auf diese Fragen gibt, spinnt er ein komplexes Konstrukt, welches kaum einen Stein auf dem anderen lässt. In dieser Hinsicht sticht das Kapitel 2 heraus, in dem Rowlands dafür argumentiert, Tieren Emotionen mit moralischem Gehalt zuzuschreiben. Er versucht dabei einen komplexen begrifflichen Zusammenhang zu rekonstruieren, der nur schwer verständlich ist. Manche Emotionen sind unangemessen, zum Beispiel, wenn ich wegen einer unbeabsichtigten Nichtigkeit eines Freundes herum schreie. Sofern eine Emotion in einem spezifischen Kontext jedoch angemessen ist, „spürt sie gleichzeitig eine evaluative Proposition auf“ (tracks an evaluative proposition), welche dadurch der Emotion moralischen Gehalt verleiht. Sehe ich zum Beispiel jemanden mit schmerzverzerrtem Gesicht, dann ist es unter Umständen angemessen Mitleid zu verspüren. Ist dies der Fall, dann spürt mein Mitleid, so Rowlands‘ Idee, eine evaluative Proposition auf; zum Beispiel „Schmerzen sind schlecht“. Dadurch ist meine Emotion „moralisch aufgeladen“ (morally laden).

Reflektionsfähigkeit als Grundlage der Moral

In den Kapiteln 3 und 4 geht Rowlands dann auf die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen „moral patients“, „moral agents“ und „moral subjects“ ein. Die, wie schon oben erwähnt, neue Klassifizierung wird erweitert durch den Begriff des „moral subjects“. Rowlands zufolge können Tiere zwar keine „moral agents“ in dem Sinne sein, wie es Menschen sind. Aber, und hier „kreiert“ er eine neue Kategorie, sie können Subjekte der Moral sein, indem sie, wie im oben beschriebenen, emotionsbasierten Prozess, „moralisch“ handeln können. Im Gegensatz zu „moral agents“, können sie aber nicht für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden. Dabei steht Rowlands These zur Debatte, dass moralische Subjekte aus moralischen Gründen handeln können, ohne dass diese psychologisch tatsächlich vom Subjekt erfasst werden, d.h. ohne dass dieses den Tieren in einer Weise bewusst ist, wie dies bei Menschen angenommen werden kann. Die logischen und historischen Einwände (zum Beispiel von Kant und Aristoteles) gegen diese These basieren auf einer Verknüpfung zwischen der Fähigkeit, seine eigenen Motivationen zu reflektieren (scrutinize) und diese dadurch zu kontrollieren (control). Rowlands nennt dies die Reflection Condition. Nur dadurch, dass moralische Akteurinnen ihre eigenen Motivationen kontrollieren können, erhalten diese überhaupt erst normatives Gewicht. Da nun moralische Gründe gemäss Kant et al. notwendigerweise normatives Gewicht haben, und Tiere nicht fähig sind, ihre eigenen Motivationen zu reflektieren, befinden sie sich ausserhalb des „space of moral reasons“ (170). Der Rest des Buches ist nun zwei Aufgaben gewidmet: der Widerlegung dieser klassischen begrifflichen Verknüpfung und der Darstellung einer plausibleren Alternative.

Metakognition und magisches Denken

In den Kapiteln 5 bis 7 wird nun dafür argumentiert, dass die Reflektion eigener motivationaler Zustände nicht hinreichend ist, um Kontrolle über diese zu erlangen. „I shall argue that we have no viable understanding of the way in which a subject’s ability to engage in critical moral scrutiny of its motivations could give that subject control over those motivations.“ (154) Phänomenologisch mag es zwar so scheinen, als ob Reflektion das Subjekt mit Kontrolle über die eigene Motivation ausstattet. Jedoch impliziert diese phänomenologische Tatsache nicht, dass dies auch tatsächlich der Fall ist. Was wiederum bedeutet, dass die Verknüpfung nur an anderer Stelle gesucht werden kann. Ein Kandidat dafür ist das metakognitive Element, welches in der Reflektion enthalten ist. Dass Metakognition jedoch die nötige Kontrolle bringen kann, entspringt gemäss Rowlands jedoch einer Art magischen Denkens, dem „miracle-of-the-meta“ (171). Ein typisches Beispiel für diese Art der Magie sieht Rowlands in der „higher-order thought theory of consciousness„. Gemäss dieser statten höher-stufige Zustände niedrig-stufige Zustände mit gewissen Eigenschaften (z.B. Bewusstsein oder Normativität) aus, welche diesen normalerweise fehlen. Auch die Idee Kants basiert auf dieser Art des Denkens: Reflektion auf höherer Stufe stattet die Motivationen auf niedriger Stufe mit normativer Kraft aus. Nun will Rowlands jedoch zeigen, dass dies das Problem nicht wirklich löst, sondern einfach auf die nächste Stufe verschiebt, ad infinitum. Damit bleibt es völlig rätselhaft, wie jemals normative Kraft ins Spiel kommen könnte. „Somewhere, the miracle tells us, we will find a level that is immune to the tribulations of the lower order. But there are no miracles, and there is no such level.“ (187) Daraus schliesst Rowlands, dass die klassische Idee, Reflektion könne normative Kraft generieren, schlussendlich auf Wunschdenken basiert und damit verworfen werden muss. Dieses Kapitel ist leider etwas unklar und es bleibt schleierhaft, wie genau die angegriffenen Philosophen auf das „miracle“ angewiesen sind. Schlussendlich bleibt die Vermutung, dass nebst der Metaebene auch andere Gründe bei diesen Positionen im Spiel sind, welche aber von Rowlands ausser acht gelassen werden.

Moralische Praxis

Einer letzten Möglichkeit, wie versucht wird, Tiere aus dem Kreis der moralischen Subjekte auszuschliessen, widmet er sich dann im Kapitel 8. Da Tiere nicht Teil einer moralischen Praxis, also einer Gemeinschaft, in welcher moralische Urteile gefällt werden, sein können, so die weitverbreitete Vorstellung, können sie auch nicht aus moralischen Gründen handeln. Aber auch hier zeigt Rowlands, dass es keinen Grund gibt, Tieren prinzipiell den Status als Subjekte der Moral abzusprechen. Entweder basiert ihr Ausschluss auf einem gemäss Rowlands nicht haltbaren Wittgensteinianischen Praxisbegriff, oder er bezieht sich letztendlich wieder auf das vorhin beschriebene magische Denken. Daraus schliesst Rowlands, dass auch der letzte Versuch, Tiere nicht als moralische Subjekte zuzulassen, scheitert.

Reflektion raus, Externalismus rein

Da in den vorhergehenden Kapiteln verschiedene Möglichkeiten, wie Handlungen normative Kraft gewinnen können, verworfen wurden, stellt sich im Kapitel 9 nun die Frage, wie schliesslich Normativität wieder ins Spiel kommt und damit moralische Handlungskraft wieder möglich wird. Hier verteidigt Rowlands einen externalistischen Konsequentialismus, welcher gewisse Handlungen aufgrund spezifischer Eigenschaften von Situationen objektiv moralisch richtig oder falsch macht. Sofern ein Wesen einen verlässlichen Mechanismus besitzt, welcher diese Eigenschaften „aufspürt“, spricht nichts dagegen, dieses Wesen als moralisch zu bezeichnen. Ob es sich dabei bloss um ein „moral subject“ oder ein „moral agent“ handelt, ist eine graduelle Angelegenheit und hängt gemäss Rowlands davon ab, inwiefern das Wesen fähig ist, diese Eigenschaften und ihre Funktion im moralischen Kontext zu verstehen. „Agency, on this view, comes in degrees-because this sort of understanding comes in degrees.“ (240)

Kommentar

Bei „Can Animals Be Moral?“ handelt es sich also um ein komplexes Buch, welches sich primär an Philosophinnen und Philosophie-Interessierte mit einem Faible für begriffliche Argumente und Zusammenhänge richtet. Rowlands verteidigt seine aussergewöhnliche These mit viel Argumentationsgeschick und fast ohne Inkonsistenz. Fast? Ja, denn im Laufe der Lektüre drängen sich doch einige Zweifel auf, ob das Konstrukt tatsächlich trägt. Drei davon sollen hier in aller Kürze dargestellt werden. Einerseits bleibt offen, inwiefern der externalistische Konsequentialismus (angenommen, man akzeptiert ihn) dem Subjekt Handlungsgründe liefern kann, ohne dass diese irgendwie in ihm instantiiert sein müssen. Rowlands verweist zu diesem Zweck auf die Funktion externer Gründe, ohne dabei aber weiter auf die damit verbundene Problematik einzugehen. Es bleibt der Leserin fast nichts anderes übrig, als die Kraft externer Gründe, dem Subjekt moralische Gründe für dessen Handlungen zu liefern, beinahe blind hinzunehmen. Insbesondere in der Dialektik des Buches, wo die Grundlage für die objektive moralische Bewertung einer Handlung erst zum Schluss eingeführt wird, wirkt dieses Argumentationsmuster wie ein geschickt eingefädelter Taschenspielertrick. Andererseits drängt sich die Vermutung auf, dass Rowlands selbst in der Erklärung von Normativität und Handlungskraft dem miracle-of-the-meta auf den Leim geht. Subjekte werden zu Akteurinnen, indem sie moralische Eigenschaften zu verstehen lernen. Und dies wiederum tun sie kraft ihrer meta-kognitiven Fähigkeiten (238-239). Warum jedoch die meta-kognitiven Fähigkeiten dies ermöglichen, bleibt leider offen. Dies hängt wohl auch mit den zuvor schon bemerkten Zweifeln, worum es sich beim „miracle“ genau handelt, zusammen. Schlussendlich stellt sich auch die Frage, ob das ganze Buch nicht auf einer grossen Unklarheit aufbaut. Denn Rowlands widmet sich nie der Frage, was es denn überhaupt bedeuten könnte, dass manche Tiere moralisch handeln können. Es ist völlig unklar, was aus einer Antwort auf diese Frage konkret folgt. Er selbst beschreibt, dass wir deshalb Tiere weder tadeln noch loben können, was plausibel ist. Doch ansonsten ist es gänzlich ungewiss, was an der Antwort auf diese Frage hängt. So bleibt im Endeffekt eine Mischung aus der Überzeugung, dass Rowlands zwar ein interessantes Problem aufwirft und eine ungewöhnliche Position geschickt verteidigt, und dem bitteren Nachgeschmack, dass dabei nicht ganz sauber argumentiert und gewisse Probleme unter den Teppich gekehrt wurden. Die Rezension erschien erstmals in der Fachzeitschrift Tierethik (2013).
Mark Rowlands ist Professor für Philosophie an der Universität Miami. Seine Schwerpunkte sind die Philosophie des Geistes und Tierethik. Er ist Autor u.a. von Animal Rights (1998), Animals Like Us (2002) und Der Philosoph und der Wolf (2009).
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