Der Zoo – ein Blick hinter die Kulissen
Das Artensterben ist Realität. Das internationale Artenschutzabkommen (CITES) und Zoos sollen der Reduktion der Biodiversität entgegenwirken. Letztere geben ausserdem vor, unverzichtbar für Forschung und Bildung zu sein. Halten diese Ziele einer moralischen und empirischen Prüfung stand? Ein Artikel von Tobias Sennhauser.
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Runder Geburtstag, keine Feststimmung
Anfangs 2013 vermeldeten Basler GrenzwächterInnen einen ungewöhnlichen Fund: einen Elefanten-Stosszahn. Das ist kein Zufall. In den letzten Jahren ist der illegale Elfenbeinhandel eskaliert, denn das Geschäft ist lukrativ. In Afrika wurde tonnenweise vom „weissen Gold“ sichergestellt und auch in Asien boomt der Schwarzmarkt. Um den vom Aussterben bedrohten Elefanten zu schützen, wurde der internationale Elfenbeinhandel bereits 1989 verboten. Möglich macht dies das Internationale Artenschutzabkommen (CITES).
Nun feiert CITES seinen 40. Geburtstag. Am 3. März 1973 wurde das Abkommen, das den internationalen Handel von Tieren und Pflanzen regulieren soll, unterzeichnet. Zentrales Anliegen ist der Erhalt von bedrohten Arten. Mittlerweile umfasst CITES über 5.000 Tier- und 28.000 Pflanzenarten. Doch aufgrund der illegalen Wilderei ist die Feststimmung getrübt.
Ausnahmebestimmungen erlauben den Handel von bedrohten Tierarten zu Forschungs- und Zuchtzwecken. Ohne diese könnten sie nicht existieren: Zoos, manchmal auch Tierparks genannt.
Künstliche Reproduktion statt natürlicher Selektion
Eine Kernfunktion der Zoos ist der Artenschutz, der nach folgendem Schema funktioniert: Um bedrohte Arten zu erhalten, werden exotische Tiere in Käfige gesteckt und nach Möglichkeit vermehrt. Die Nachzucht geschieht unter Aufsicht von internationalen Arterhaltungszuchtprogrammen, die durch den Dachverband European Association of Zoos and Aquaria (EAZA) nach genetischen Gesichtspunkten koordiniert werden.
Doch die planmässige Reproduktion hat ihre Kehrseite. Gelingt einem Zoo die Nachzucht, müssen die Nachkommen in die bestehende Herde passen. „Überschüssige“ Tiere werden sofern möglich in einen anderen Zoo transportiert, was zur Vorbeugung von genetischem Mangel sowieso nötig ist. Zum Beispiel auch im Zoo Basel: „Das Austauschen von Tieren mit anderen Zoos und Tierparks vermeidet Inzuchtprobleme und gehört zum Alltag im Zolli“, steht im Jahresbericht 2010.
Oftmals gelingt es jedoch nicht, für alle Tiere einen geeigneten Platz zu finden, weil Zoos nicht die nötigen Kapazitäten haben. Diese „überschüssigen“ Tiere aller Gattungen müssen getötet und in einer Kadaversammelstelle entsorgt werden. Manche werden auch im zoopädagogischen Unterricht verwendet oder von Forschungslaboren aufgekauft.
Bei der sogenannten Euthanasierung handle es sich um „ein den natürlichen Verhältnissen entsprechender, verantwortungsvoller und damit ethisch-moralisch einwandfreier Weg“, schreibt der Tiergarten Nürnberg. Die natürliche Selektion, die in der Wildnis durch Feinde, Krankheiten oder Klimaschwankungen den Bestand reguliert, funktioniert im zoologischen Zuchtmanagement per Giftspritze.
Gefangenschaftsforschung
Neben der Arterhaltung als Kernkompetenz besteht eine weitere Funktion der Zoos in der Forschung mit und an den Tieren.
Für Marc Rosset, Kurator des Tierparks Dählhölzli in Bern, dient die Forschung dazu, „unser Wissen und unsere Erkenntnisse der Wissenschaft und der Zoogemeinschaft zugänglich zu machen“. Auch die dem Dachverband EAZA unterstellte Forschungskommission hält fest, dass die Forschung für Zoos von besonderer Bedeutung sei.
Einige Arbeiten des Zoo Zürichs illustrieren die Zoo-üblichen Forschungsaktivitäten: „Einfluss von Tanin im Futter auf den Eisenhaushalt bei Nashörnern“, „Raumnutzung des Roten Vari“ oder „Beitrag zur Verbesserung der Fortpflanzungschance bei den Nebelpardern“ lauten die Titel vergangener Arbeiten. Die Forschungsaktivitäten von Zoos drehen sich um Fortpflanzung, Raumnutzung sowie Fütterung – freilich drei zentrale Interessen jeder Institution, die Tiere in Käfigen hält.
Die Forschung ist grossteils auf die Zoo-eigenen Tiere ausgerichtet und kann selten auf Wildtiere übertragen werden. Für den Umweltethiker Robert Garner sind deshalb empirische Daten, die die Forschung an Zootieren produzieren können, kein Argument: „Was können wir von eingesperrten Tieren lernen, ausser dass die Gefangenschaft ihnen schadet?“ (Garner 2005, S. 141).
Es gibt aber auch Zoos, die Forschung an Tieren in ihren natürlichen Lebensräumen betreiben. Dieser Forschungsbereich wird bereits von diversen Tier- und Naturschutzorganisationen durchgeführt, wie zum Beispiel WWF, Terre et Faune oder Pro Wildlife. Keine dieser Organisationen benötigt dazu einen heimischen Zoo.
Die zoologische Forschung erweist sich bei genauerem Betrachten als zwiespältig: Forschungsaktivitäten ausserhalb von Zoos werden bereits von spezialisierten Organisationen betrieben und können die lokale Tierhaltung nicht legitimieren. Innerhalb von Zoos dient Forschung primär Eigeninteressen und ist nur deshalb nötig, weil es Zoos überhaupt gibt. Denn ohne Zoos bräuchte es auch keine Forschung über Fortpflanzung, Raumnutzung oder Futterbedarf von sogenannten Wildtieren in Gefangenschaft (vgl. Jamieson 1985).
Zootiere als Bildungsquelle
Ein weiteres Standbein von Zoos ist die Bildung der ZoobesucherInnen. Es sollen Informationen über die gehaltenen Tiere und deren natürliche Lebensräume sowie über das Artensterben vermittelt werden.
In den meisten Zoos hängt bei den Gehegen, Käfigen und Volièren ein Schild mit einer Reihe von Informationen wie der Name der Art, die ursprüngliche Herkunft oder besondere Merkmale. Damit ist bezüglich objektiver Informationen meist Schluss.
Die Bildung der ZoobesucherInnen besteht deshalb vorrangig aus eingesperrten Wildtieren, die in künstlichen „Ökosystemausschnitten“ ein fremdgesteuertes Leben fristen. Nahrungs-, Sexual- und Sozialverhalten werden durch Menschen kontrolliert, was den Lerneffekt arg begrenzt. Darüberhinaus führen Zoos unweigerlich zur Annahme, dass es richtig sei, Tiere in Käfigen einzusperren. Ein Zoo mit leeren Käfigen besitze möglicherweise ein grösseres Bildungspotential als mit inhaftieren ExotInnen, bemerkt der Umweltethiker Dale Jamieson, denn leere Käfige bedürfen einer Erklärung (vgl. Jamieson 1985).
„Arten-, Natur- und Tierschutz sollte durch alternative Erziehungsmethoden, Unterrichtsfächer und mediale Möglichkeiten vermittelt werden“, schlägt die Tierrechtsgruppe Dresden im Magazin Tierbefreiung (Tierrechtsgruppe Dresden 2011, S. 37) vor. Tatsächlich gibt es mittlerweile haufenweise Tierfilme oder Bücher, worin man Informationen über sogenannte Wildtiere und deren Verhalten in echten Lebensräumen bekommt. Beispielsweise bequem und kostenlos auf YouTube.
Wenn ZoobesucherInnen primär Informationen über eingesperrte Zootiere anstelle von freien Wildtieren erhalten und darüberhinaus ein nicht legitimierbares Herrschaftsverhältnis zwischen Mensch und Tier vermittelt bekommen, muss das Bildungspotential von Zoos grundsätzlich in Frage gestellt werden.
Unterhaltung auf Kosten der Tiere
Neben Artenschutz, Forschung und Bildung bieten Zoos als „Kulturinstitutionen“ mit den sogenannten „Zootieren“ auch Unterhaltung und Erholung in städtischer Nähe.
„Zootiere“ sind genauso wie die sogenannten „Nutztiere“, „Haustiere“, „Forschungstiere“ oder „Zirkustiere“ eine von Menschen geschaffene Kategorie, die auf bestimmte Tiere angewendet wird und aber nichts mit der biologischen Art zu tun hat. Vielmehr deuten sie an, welche Funktionen diese Tiere für den Menschen haben. „Zootiere“ dienen dazu, den Menschen zu unterhalten.
Doch die Unterhaltung, die in Zoos geboten wird, ist fragwürdig: Der Mensch breitet sich rücksichtslos gegenüber Tieren (und Pflanzen) auf dem Planeten aus und steckt die verdrängten Arten in zoologische (und botanische) Gärten, wo diese in künstlichen Lebensräumen zu Unterhaltungszwecken ausgestellt werden.
Völlig unrecht haben Zoos freilich nicht: Bei rund 7 Milliarden Menschen mit steigendem Energieverbrauch, fortschreitender Klimaerwärmung und einem rasanten Rückgang der Biodiversität ist Umdenken angesagt. Richtig ist auch, dass sogenannte Wildtiere von der grenzenlosen Expansionslust des Menschen geschützt werden müssen. Aber: „Die Vernichtung der natürlichen Lebensräume und deren Tierarten kann nicht durch Gefangenschaftszucht ersetzt werden“ (Tierrechtsgruppe Dresden 2011, S. 35).
Die Virtualisierung des Zoos
Die Bemühungen der Zoos in Sachen Artenschutz, Forschung, Bildung sowie Unterhaltung sind sowohl moralisch als auch empirisch umstritten. Die Fondation Franz Weber (FFW) arbeitet deshalb an einem zukunftsträchtigen Projekt mit dem Namen eZOO.
Anstelle von echten Zootieren in echten Gehegen sollen virtuelle Tiere mit den entsprechenden Lebensräumen simuliert werden. Mit einer 3D-Brille und den neusten technologischen Innovationen soll ein interaktiver Spass für die ganze Familie entstehen. Wer nicht nur staunen, sondern auch lernen will, kann sich Informationen über die Physiologie der Tiere anzeigen lassen – und die Erlebnisse flugs auf Facebook teilen. Im eZoo könnten natürlich auch Umweltprobleme und Artenschwund thematisiert werden.
Das Projekt, woran FFW zusammen mit spanischen Tierschutzorganisationen arbeitet, könnte sich wortwörtlich auszahlen: PflegerInnen, TiermedizinerInnen, Futtermittel, Tiertransporte uvm. wären durch die physische Abwesenheit der Tiere hinfällig und könnten durch TechnikerInnen und Technologien ersetzt werden. Was bleibt ist der Energiebedarf – und den will man mittels Sonnenkollektoren gleich selbst decken.
Konferenz der Tiere
Doch davon sind wir noch weit entfernt. Zeitgleich mit dem Jubiläum des Artenschutzabkommens startet auch die 16. CITES-Vertragsstaatenkonferenz in Bangkok. Über 70 Anträge zum Schutzstatus bedrohter Wildtiere und Pflanzen stehen zur Debatte. Gefordert wird etwa ein Handelsverbot für Eisbären, denen der Klimawandel und der Handel mit Jagdtrophäen zu schaffen machen. Auch das Nashorn soll endlich geschützt werden. Dessen Hörner – verarbeitet zu Nashornpaste! – sind in der chinesischen und vienamesischen Medizin heiss begehrt.
Pro Wildlife hat anlässlich der Konferenz ein Tagebuch installiert, worin die Geschehnisse verfolgt werden können. Ob die Anträge durchkommen, ist offen. Dem Tierwohl stehen – wie so oft – wirtschaftliche Interessen gegenüber.
Literatur
Garner, Robert (2005): Animal Ethics, Polity Press.
Jamieson, Dale (1985): Against Zoos, in Peter Singer (ed.), In Defense of Animals, Basil Blackwell.
Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Zynismus in Reinform oder die Lobpreisung der Schande, Magazin Tierbefreiung, Heft 71.
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2 Kommentare
Nürnberger Tiergarten faselt etwas über „moralisch-einwandfrei“ und baute neues Betonbecken zur Gefangenenhaltung von Delfinen, während andere zur Einsicht kommen, dass dies moralisch nicht möglich ist. Top @Nürnberger Tiergarten.
Wie immer toller Artikel
danke tobi.