«Man darf den Hinduismus nicht romantisieren»
Die Journalistin Julia Rehkopf ist für das Y-Kollektiv nach Indien gereist, um die lokale Lederproduktion unter die Lupe zu nehmen. Ihre Dokumentation ist erschütternd. Tobias Sennhauser (TIF) hat mit ihr gesprochen.
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TOBIAS SENNHAUSER: Indien ist bei der Lederproduktion einer der Weltmarktführer. Ein Grossteil wird exportiert. Wohin?
JULIA REHKOPF: Der Ledermarkt ist sehr stark globalisiert. Die genauen Wege lassen sich kaum nachverfolgen. Wenn beispielsweise auf einem Schuh steht «Made in Turkey», sagt das nichts darüber aus, wo das Leder des Schuhs herkommt. Und wo dieser Schuh dann wiederum verkauft wird, ist noch einmal ein anderes Thema. Fest steht, dass man im Laden nicht sagen kann, woher das Leder stammt und welche Wege es genommen hat.
Wie geht es den Tieren, deren Häute für die Lederproduktion verwendet werden?
Die Kühe, die ich gesehen habe, waren teilweise sehr jung. Deren Haut ist am besten für Leder geeignet. Manche waren aber auch schon älter und abgemagert. Sie werden in erster Linie für Leder geschlachtet. Auf den Märkten wird mit allen Tieren ziemlich rabiat umgegangen: Viele Kühe bekamen ein Seil durch die Nasenwand, was sehr schmerzhaft ist, sagte mir ein Tierarzt. Daran werden sie dann umher gezerrt. Wenn die Tiere nicht spuren, zwicken die Arbeiter sie mit den langen Fingernägeln in die Weichteile.
Und was geschieht dann?
Dann werden die Kühe zum Schlachthof gekarrt. Für den Transport werden sie so sehr mit anderen Tieren zusammengequetscht, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Und mit den Nasenseilen werden sie festgebunden, oft nach oben, so dass jede kleinste Bewegung schmerzhaft ist. In den Schlachthäusern werden die Tiere dann ohne Wasser und Futter für mehrere Tage gehalten, damit die Gedärme beim Schlachten möglichst leer sind. Die kleinen Kühe schreien nach ihrer Mutter, weil sie trinken wollen.
Für die meisten Hindus sind Kühe heilige Tiere. Sie leben frei, niemand darf ihnen etwas antun. Wie geht das mit der Lederproduktion zusammen?
In Indien gibt es sehr viele Kühe, Rinder und Ochsen, die auch genutzt werden dürfen: für die Milchproduktion, für das Pflügen der Felder, etc. Die Tiere sehen oft «frei» aus, weil sie nicht festgebunden sind oder in einem Stall stehen. Trotzdem hat jedes dieser Tiere einen Besitzer. Er kann und darf das Tier auch verkaufen. Es geht da oft um einfache Bauern mit wenig Einkommen. Wenn eine Kuh z.B. keine Milch mehr gibt, braucht er eine neue. Der Besitzer verkauft das alte Tier, weil er nicht die Ressourcen hat, zwei Kühe zu füttern. Das kann ich nachvollziehen. Unter solchen Umständen ist das Schlachten auch gesetzlich erlaubt. Man darf da nicht den Hinduismus romantisieren.
Leder sei bloss ein Abfallprodukt der Fleischindustrie, heisst es. Stimmt das?
Nein. Ganze Industrien haben sich der Lederproduktion verschrieben, die Tiere leben nur noch dafür. Es ist wirklich grausam, weil vor allem die männlichen Jungtiere nur noch kurz leben, bis sie für ihr Leder geschlachtet werden. Oft werden die Tiere in benachbarte Bundesstaaten gebracht, wo die Gesetze für das Schlachten weniger streng sind, ein Tier also auch noch jung sein darf. Das Schlachten wird von den unteren Kasten oder Muslimen durchgeführt.
Wie geht es den ArbeiterInnen in der Lederproduktion?
Die Menschen, die in den Gerbereien arbeiten, sind permanent giftigen Chemikalien ausgesetzt. In den Gerbereien und an den Abwasserkanälen stinkt es zum Himmel. Ich bekam Kopfschmerzen. Viele dort arbeiten in Flip-Flops und mit blossen Händen. Es fehlt das Bewusstsein, wie giftig die Lederproduktion ist. Auch die Besitzer der Gerbereien setzen sich diesen Gefahren aus, sie leben teilweise mit ihren Familien auf dem Gelände. Hautausschläge sind ein gängiges Problem. Und es heisst, die Menschen werden in der Regel nicht älter als 55 oder 60.
Welche Folgen haben diese Chemikalien für die Umwelt?
Das Abwasser der Gerbereien enthält das Schwermetall Chrom und viele weitere Stoffe. All das fliesst ungefiltert in den «Ganges», den heiligen Fluss. Das belastet das Grundwasser. Die Menschen, die es sich leisten können, kaufen Wasser in Plastikcontainern oder Flaschen. Leitungswasser wird zu Hause aufwändig gefiltert und abgekocht. Wer dazu keine Möglichkeit hat, trinkt das Grundwasser. Wenn das Grundwasser kontaminiert ist, betrifft das einfach alles: Menschen, Tiere, Pflanzen – das ganze Ökosystem.
Alles zu Leder-Alternativen
Mit der Anleitung von PETA lernen Sie Leder von Kunstleder zu unterscheiden. Falls Sie im Laden unsicher sind, fragen Sie das Personal. Als optisch ähnliche Lederalternativen empfielt Swissveg unter anderem Kork, Ananasleder oder allgemein Fruchtleder. Für vegane Schuhe schauen Sie bei aesthetical vorbei.
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Weitere Materialien zu Leder
- Das grosse Leiden für unser Leder, Kassensturz (2014)
- Leder, Info-Dossier von tier-im-fokus.ch (TIF)
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