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Interview

«Die Initiative wäre der Start einer Veränderung»

Die Ernährungssouveränität ist eine globale Bewegung der Kleinbauern. Eine Volksinitiative will sie auch in der Schweiz einführen. Tobias Sennhauser (TIF) hat mit Initiantin und Bäuerin Ulrike Minkner gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

TOBIAS SENNHAUSER: Sie haben jüngst in der SRF-Politsendung Arena für Ihre Initiative gekämpft. Wie war’s? ULRIKE MINKNER: Die Gegner*innen haben ihre alte Leier von Planwirtschaft, steigenden Preisen, Kontrollapparat, Verstaatlichung («Sowjetisierung») und Verunmöglichung von Freihandelsabkommen eindringlich vorgebetet. Es war nicht einfach dagegen anzutreten. Unsere Art ohne Politiker*innen-Allüren kam beim mehrheitlich jungen Publikum gut an. Wir – Fabian Molina, Rudi Berli, Balthasar Glättli und ich – waren schlussendlich zufrieden mit unserer Teamleistung. Sie wollen in der Schweiz die sogenannte Ernährungssouveränität einführen. Worum geht’s? Die Ernährungssouveränität ist das Recht eines Landes oder einer Region, die Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selbst zu bestimmen – ohne damit anderen zu schaden. Die Wurzeln liegen in den 90er-Jahren. Damals formierte sich die internationale Kleinbauernbewegung La Via Campesina. Das Konzept der Ernährungssouveränität erfanden Bäuer*innen des Südens und des Nordens im gemeinsamen Widerstand gegen die Weltbank und den ungebremsten Agrarfreihandel. Es richtete sich gegen die Zerstörung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft des globalen Südens mit Billigüberschüssen. Der Export von Milch, Butter und Fleisch aus der industrialisierten Landwirtschaft im Norden hat die Selbstversorgung in grossen Teilen der Welt vernichtet. Mit der Initiative versuchen wir die Ernährungssouveränität auf unsere Verhältnisse anzuwenden. Wir wollen die bäuerliche Landwirtschaft erhalten, Überschüsse verhindern, ressourcenschonend und gentechfrei produzieren, Tiere artgerecht füttern sowie im In- und Ausland gerecht handeln. Laut Initiativtext fordern Sie eine Landwirtschaft, die «den gesellschaftlichen und ökologischen Erwartungen der Bevölkerung gerecht wird». Was bedeutet das konkret? Fragt man die Bevölkerung, will diese ökologisch und sozial nachhaltige Lebensmittel ohne gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Auch dem Tierwohl wird immer häufiger ein grosser Stellenwert eingeräumt. Und dann spielt auch noch der Preis eine Rolle. Allerdings. Wir Bäuer*innen richten unser Angebot gerne nach diesen Bedürfnissen aus. Das können wir aber nur, wenn dieselben Anforderungen für importierte Lebensmittel gelten. Wir wollen keine Produkte, in denen Kinderarbeit steckt, kein Fleisch von misshandelten Tieren und kein Gemüse, das von Menschen geerntet wird, die unter sklavenähnlichen Umständen schuften müssen. Die Initiative wäre der Start einer Veränderung – hier, aber auch weltweit. Stichwort Importe. Bundesrat Johann Schneider-Ammann verhandelt gerade mit den Mercosur-Staaten über ein mögliches Freihandelsabkommen. Er will die Schweizer Landwirtschaft gegenüber dem globalen Markt öffnen. Sie hingegen fordern Importsteuern und -obergrenzen. Wieso? Wir fordern einfach gleich lange Spiesse. Importierte Lebensmittel müssen unseren Standards entsprechen. Regulierungen – Zölle, Kontingente etc. – gibt es schon heute. Sie müssen nur schlauer – oder im Sinne der Initiative: auf Nachhaltigkeitskriterien – angewandt werden. Und nicht einzig auf die Menge. Sie wollen sogenannte Nutztieren überwiegend mit einheimischen Futtermitteln ernähren. Bereits heute stammen 85 Prozent der Futtermittel aus der Schweiz. Was würde sich mit Ihrer Initiative ändern? Richtig ist, dass insgesamt ein Grossteil der Futtermittel aus heimischer Produktion stammt. Schaut man aber beim Kraftfutter, dann kommt da weniger als die Hälfte aus inländischer Produktion. Für uns hat die Versorgung mit Nahrungsmitteln für Menschen Vorrang. Würde der Import von Futtermitteln gesenkt, könnten andere Probleme, wie die Überproduktion, gelöst werden. Laut Initiativtext sollen wieder mehr Leute in der Landwirtschaft arbeiten. Wieso? Das ist unsere Antwort auf den aktuellen sogenannten Strukturwandel, oder besser: Strukturwandalismus. Heute bekommt ein Hof mit vielen Hektaren mehr Direktzahlungen als ein kleinerer Hof, auf dem viel von Hand gemacht wird. Damit wurde ein Wettrennen auf die Hektaren losgetreten. Es gibt heute immer mehr 1-Mann-Betriebe, die mit schweren Maschinen immer mehr Fläche bearbeiten. Das ist der falsche Anreiz. Wieso nicht auch kleinere Höfe entsprechend fördern, die Menschen eine Arbeit geben? Das Gewerbe im ländlichen Raum, wie Mühlen, Metzgereien, Käsereien, Schreinereien oder Mostereien, kann die Wertschöpfung zurück in die Region holen. So können Arbeitsplätze erhalten oder gar neue geschaffen werden. Im Initiativtext steht ausserdem, dass Sie den direkten Handel stärken wollen. Was spricht gegen die beiden Detailhändler Migros und Coop? Die beiden orangen Riesen teilen sich die fetten Gewinne. Die Margen der beiden liegen im europäischen Vergleich am höchsten. Sie bestimmen die Preise für die Bäuer*innen und für die Konsument*innen. Die Preise für die Konsument*innen sind in den letzten Jahren kaum gesunken, während die Preise für die Produkte der Landwirt*innen völlig eingebrochen sind. Die Konsument*innen haben davon nichts bemerkt. Der direkte Handel ist transparenter, bringt Verständnis für alle Beteiligten und die Risiken können, wie z.B. bei der Vertragslandwirtschaft oder bei Gemüsekörben, gemeinsam getragen werden. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse kritisiert Ihre Initiative als «planwirtschaftliche Ballenberg-Utopie». Was entgegnen Sie? Der Vorwurf ist absurd und reine Provokation. Im Gegensatz zu Economiesuisse haben wir tatsächlich einen Plan, der nicht einfach aus mehr Freihandel und Wachstumswahn besteht. Wir schauen in die Zukunft. Nur eine bäuerliche Landwirtschaft erlaubt es, mit verschiedenen Betriebszweigen eine nachhaltige Landwirtschaft zu erhalten. Die Abstimmung findet am 23. September 2018 statt. Das ist zeitgleich mit der Fair-Food-Initiative. Ist das gut oder schlecht? Wir empfinden es als gut. Wir konnten in einigen Regionen die Zusammenarbeit mit den Grünen stark verbessern. Wir sagen 2x Ja – um Bundesbern die Richtung zu weisen.
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