22
Happy Birthday

15 Jahre Tier im Fokus (TIF)

Aus einem kleinen Verein mit Patentieren wurde eine der lautesten Stimmen für Tiere und ihre Rechte in der Schweiz. Von Rosa dem Kalb über Enthüllungen in der Massentierhaltung bis zum Einzug in den Berner Stadtrat: 15 Jahre Aufklärung, Widerstand und Hoffnung.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Tier im Fokus (TIF) entstand 2009 aus dem Verein Tierpatenschaften. Von ihm übernahmen wir auch einige Patentiere. Die Idee, einzelne Tiere zu retten, begleitet uns bis heute. Denn für uns ist klar: Jedes Leben zählt. Jede Geschichte ist es wert, erzählt zu werden – wie jene von unserem Patentier Rosa, dem Kalb, das sich mutig dem Schlachter widersetzte.

Seit der Gründung von TIF sind in der Schweiz zahlreiche Lebenshöfe entstanden, wo unsere Patentiere heute leben. Diese unterstützen wir vor Ort beim Zäuneflicken oder Blackenstechen. Zudem filmten wir aufwändige Porträts, die die Vielfalt der veganen Landwirtschaft zeigen.

Tiere nicht essen

TIF war die erste Organisation in der Schweiz, die konsequent eine vegane Lebensweise empfahl. Während andere lange Zeit auf Fleisch oder vegetarische Ernährung setzten, war für uns von Anfang an klar: Solange wir Tiere essen, ausbeuten oder instrumentalisieren, können wir nicht von Gerechtigkeit sprechen.

Darum klären wir seit jeher über veganes Leben auf. Vor 15 Jahren war der Begriff für viele noch gänzlich unbekannt – und so entstand unser erster veganer Flyer, der kurz und prägnant erklärte, was vegan bedeutet.

Grilling Without Killing

Später folgten unsere «Vegane Shopping Touren» durch Berner Läden. Wir zeigten Interessierten, wo sie die besten Alternativen finden – ein Angebot, das anfangs grossen Zuspruch fand. Als jedoch immer mehr Supermärkte vegane Produkte ins Sortiment aufnahmen, konnten wir das Projekt guten Gewissens einstellen.

Um zu zeigen, wie köstlich pflanzliche Küche sein kann, lancierten wir unzählige «Grilling Without Killing»-Aktionen: Mitten im Sommer, mitten in der Stadt, mitten unter Leuten – Grill an, feine Backwaren auf den Tisch und alles gratis für Passant:innen, begleitet von einem kurzen Infoblatt. Eine Aktion, die seither von vielen anderen nachgeahmt wurde.

2018 setzten wir vermutlich die erste vegane Plakatkampagne der Schweiz um – als Einladung zur «Vegan Challenge». In Zürich und Bern hingen dutzendfach Sujets mit Botschaften wie «Dein Steak. Mein Leben» – direkt begleitet von den Blicken einer Kuh. Die provokante Aktion sorgte für grosses Medienecho. Rund 1’100 Menschen machten bei der Vegan Challenge mit, 61 Prozent blieben danach vegan, wie unsere Umfrage zeigte.

Plakatkampagne

Doch wir investierten nicht nur in Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch in die vegane Community. Seit 2011 organisieren wir – fast ohne Unterbruch – jeden Monat das «Vegan Meet & Eat» (früher «Vegan Stammtisch»). Legendär wurden auch unsere «FesTIFs» – vegane Partys mit Musik, Spielen und vor allem gutem Essen. Damals, in den frühen 2010er-Jahren, war «vegan» für viele noch ein Fremdwort, und Vernetzung in der Community gab es kaum. Umso schöner war es, endlich mit dutzenden Gleichgesinnten zu feiern, zu essen und zu lachen.

Über die Jahre haben wir immer wieder spektakuläre Proteste gegen die Tierindustrie auf die Beine gestellt. Ein Dauerbrenner: unsere Aktionen gegen Swissmilk. Regelmässig machten wir mit kreativen Strassenaktionen sichtbar, was sich hinter dem Milchglas verbirgt – etwa verkleidet als Kühe mit einem Flyer «Ich vermisse mein Kind», um an die Trennung von Kuh und Kalb zu erinnern.

Unvergessen bleibt auch der Auftritt von «MarsTV», das angeblich von einem anderen Planeten kam, um die Gepflogenheiten der Erde zu erforschen. Ihre provokante Frage an Passant:innen: «Wieso trinkt ihr als Erwachsene noch Milch – und dann erst noch von einer fremden Spezies?» Selbst die sogenannte Milchprinzessin von Swissmilk landete vor ihrer Kamera.

Auch Proviande geriet regelmässig in unser Visier. Besonders das früher jährlich stattfindende Wintergrillfest bot die perfekte Bühne für unser eindrucksvolle Strassentheater mit verkleideten Metzger:innen und fliehenden Tieren – ein Sinnbild für das Leid hinter Fleischwerbung. Als Proviande das Wintergrillfest plötzlich einstellte, lancierten wir kurzerhand unser eigenes, natürlich vegan. In mehreren Jahren lockten wir unzählige Leute nach Bern, um mitten im Winter vegane Grillwaren zu probieren.

Noch einen Schritt weiter gingen wir bei unserer Hundefleisch-Aktion: Wir gaben uns als innovatives Start-up aus und boten «besonders tierfreundlich» produziertes Hundefleisch aus dem Emmental an – angeblich reich an Vitamin B12. Damit wollten wir auf eine verbreitete Doppelmoral hinweisen: Der Gedanke, Hunde zu essen, stösst auf Abscheu, während das Töten anderer Tiere für Fleisch kaum hinterfragt wird. Die Reaktionen waren empört, bevor die Erleichterung folgte: Serviert wurden selbstverständlich rein pflanzliche Würste. Die Aktion schaffte es via 20 Minuten sogar bis in deutsche Medien.

Jahr für Jahr organisierten wir Grossdemonstrationen – gegen Schlachthäuser, Speziesismus, Massentierhaltung oder für ein Tierparlament. Hunderte Menschen aus der ganzen Schweiz reisten dafür nach Bern, und die Medien berichteten meist landesweit. So verwandelten wir den öffentlichen Raum immer wieder in eine Bühne für die Rechte der Tiere – laut, entschlossen und unübersehbar.

Solche Demonstrationen wirken nicht nur gegen aussen, sondern auch gegen innen. Tatsächlich engagiert sich TIF seit jeher auch für die Tierrechtsbewegung selbst. So haben wir seit unserer Gründung unzählige Vorträge, mehrere Tagungen und einen dreitägigen Tierrechtskongress mit ca. 30 Beiträgen organisiert. Und damit wir bei all dem Engagement nicht ausbrennen, kümmern wir uns auch um uns selbst. Dafür gründeten wir das Care Collective.

Aufklärung zur Tierhaltung

Zur DNA von TIF gehört seit jeher die Aufklärung über die sogenannte Nutztierhaltung in der Schweiz. In den Anfangsjahren geschah dies vor allem in Form von ausführlichen Artikeln auf unserer Website – mit Hintergrundrecherchen, Interviews und Buchbesprechungen. Später rückten immer stärker unsere investigativen Recherchen in den Fokus, die Missstände in der Massentierhaltung dokumentierten.

Schweine-Report

Unsere erste grosse Recherche, der Schweine-Report von 2014, sorgte tagelang für landesweite Schlagzeilen und führte zu mehreren politischen Vorstössen. 2018 folgte die Kampagne Der grosse Hühnerschwindel, welche das staatliche Tierwohlprogramm «Besonders tierfreundliche Stallhaltung» als nichts anderes als Massentierhaltung entlarvte. In den Jahren danach gelang es uns mehrfach, Mitarbeitende verdeckt in die Tierindustrie einzuschleusen und Missstände aus erster Hand zu dokumentieren – etwa den brutalen Verlad von Schweinen oder die widerrechtliche Tötung kranker Hühner.

Diese Recherchen führten fast immer zu landesweiter Berichterstattung. Bei der Tierindustrie war die Freude naturgemäss klein, umso grösser jedoch ihr Effort, uns mit unzähligen Anzeigen von der Aufklärung abzuhalten. Besonders absurd war der Vorwurf der angeblichen Tierquälerei gegen uns, weil wir in einer Hühnermastanlage filmten und die Tiere dabei angeblich verängstigten. Das Gericht zerpflückte diese Argumentation, überhaupt wurden wir fast immer freigesprochen. Dennoch kosten solche Verfahren viel Zeit, Geld und Energie.

Neben unseren Recherchen reichten wir auch wiederholt erfolgreiche Beschwerden gegen irreführende Werbung ein. Ein Beispiel: 2024 rügte die Lauterkeitskommission den Fleischverband Proviande wegen einer Werbekampagne, die suggerierte, Tieren in der Schweiz dürfe niemals Schmerz, Leid oder Schaden zugefügt werden. In Wahrheit lässt das Gesetz dies sehr wohl zu – namentlich bei der Schlachtung. Auch das Kupieren der Schnäbel von Hühnern und das Abschleifen der Zähne von Schweinen ist erlaubt. Die Kommission stellte klar, dass Proviande durch das Weglassen entscheidender Begriffe die Konsument:innen irregeführt hatte.

Plakatkampagne Massentierhaltungsinitiative

Politik für Tiere

2023 haben wir unsere Theory of Change veröffentlicht – online, als Audio und als Broschüre. Es handelt sich um unseren Plan, wie wir die Welt für Tiere verändern wollen. Eine zentrale Erkenntnis: Aufklärung allein genügt nicht, wir müssen auch in der Politik aktiv sein.

Politisches Engagement ist für TIF allerdings kein Neuland: Bereits 2016 ergriffen wir mit anderen Organisationen und Parteien das Referendum gegen den Neubau eines Tierversuchslabors im Kanton Bern und setzten uns in den folgenden Jahren für verschiedene Volksinitiativen ein, darunter die Trinkwasserinitiative und die Tierversuchsverbotsinitiative. Am meisten investierten wir jedoch in die Massentierhaltungsinitiative. Schon bei der Unterschriftensammlung steuerten einige akTIFe über tausend Unterschriften bei. Später starteten wir einen Podcast, lancierten eine Plakatkampagne mit verdeckten Aufnahmen aus der Schweiz und veröffentlichten die umfangreichen Recherchen Eier-Leier und Optiqual. So prägten unsere Bilder den Abstimmungskampf.

Einen historischen Meilenstein erreichten wir 2024: Erstmals überhaupt diskutierte das Schweizer Parlament über subjektive Rechte für Tiere – auf Initiative von TIF. Unsere Forderung: Tiere sollen nicht länger als «atypische Sachen» gelten, sondern als Rechtspersonen anerkannt werden. Sie sollen durch eine unabhängige Tieranwaltschaft vertreten werden können, die ihre Interessen in rechtlichen Verfahren wahrt. Nach unserem Lobbying reichte eine Nationalrätin dazu ein Postulat ein. Begleitet wurde dieser Vorstoss von einer Petition mit fast 5’000 Unterschriften, die wir innert weniger Wochen sammelten.

2024 verfolgten wir zudem das Ziel der politischen Vertretung der Tiere. Wir kandidierten für den Berner Stadtrat und wurden als erste Tierrechtsorganisation überhaupt in ein Schweizer Parlament gewählt. In nur sechs Monaten reichten wir zahlreiche Vorstösse ein, darunter für ein Verbot von lautem Feuerwerk, gegen die Jagd und zur Förderung der veganen Lebensweise.

Kein Ende in Sicht

15 Jahre Engagement, Kreativität und Ausdauer haben gezeigt: Veränderungen für Tiere sind möglich – auch in einer Welt, in der ihre Interessen oft übergangen werden. Wir haben Tiere gerettet, Missstände aufgedeckt und politische Debatten angestossen.

Trotz allem ist es nicht selbstverständlich, dass es TIF heute noch gibt. Seit unserer Gründung sind viele Organisationen gekommen und wieder verschwunden. TIF besteht weiter, weil eine Handvoll Menschen seit Jahren Besonderes leistet – engagierte Vorstandsmitglieder ebenso wie unzählige Freiwillige, die Zeit, Energie und Herzblut investieren. Ihnen allen gilt unser tiefster Dank.

Der Weg zu einer gerechten Gesellschaft für alle Lebewesen ist noch weit, aber wir sind fest entschlossen, ihn zu gehen. Jede Aktion, jede Stimme und jeder kleine Fortschritt zählt. Wir werden unbequem bleiben, solidarisch handeln und laut sein – im Namen der Tiere.

Skizze zu 15 Jahre TIF von Denkpinsel.
15 Jahre Rück- und Ausblick | Zeichnung: Denkpinsel
Beteilige dich an der Diskussion

4 Kommentare

Karin Hawelka
vor 1 Monat

Herzlichen Glückwunsch zu 15 Jahren Engagement und Herzblut für die Tierschutzarbeit und weiterhin viel Mut, Power und Energie!

Vanessa Gerritsen
vor 1 Monat

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und danke für die wertvolle Arbeit!

Marion Friedl
vor 1 Monat

Haha, die „Bernhardinerwurst“, da habt Ihr die Leute ja schön veräppelt, aber es stimmt, Kühe oder Schweine, oder auch Hüher in Wurst stören die Leute nicht, aber Hundewurst, die will dann doch keiner essen…

Daniela Brunner
vor 1 Monat

Gäbe es den TIF nicht, wäre ich nicht den veganen Weg gegangen. Ihr habt ausgewogen informiert und mir die Augen geöffnet. Ihr seid meine Helden! Bitte weiter so, die Welt braucht euch.

Ähnliche Beiträge

«Alle Tiere würden fliehen, wenn sie könnten»
Weiterlesen

«Alle Tiere würden fliehen, wenn sie könnten»

Weiterlesen
One animal, one vote? Eine kleine Einführung in die Tierpolitik
Weiterlesen

One animal, one vote? Eine kleine Einführung in die Tierpolitik

Weiterlesen
Häufig gestellte Fragen zu Tierrechten
Weiterlesen

Häufig gestellte Fragen zu Tierrechten

Weiterlesen
Bulletin 01/2019
Weiterlesen

Bulletin 01/2019

Weiterlesen
Pfoten hoch! TIF organisiert Filmreihe zu Tierrechten mit
Weiterlesen

Pfoten hoch! TIF organisiert Filmreihe zu Tierrechten mit

Weiterlesen
«Die Schreie der Tiere hörbar machen»
Weiterlesen

«Die Schreie der Tiere hörbar machen»

Weiterlesen
Tierrechte und Menschenrechte zur Weihnachtszeit
Weiterlesen

Tierrechte und Menschenrechte zur Weihnachtszeit

Weiterlesen
Oasen der Gerechtigkeit
Weiterlesen

Oasen der Gerechtigkeit

Weiterlesen
Tierrechte und Fotografie
Weiterlesen

Tierrechte und Fotografie

Weiterlesen