Das Elend mit dem Ei
Osterzeit ist Eierzeit. Aber nicht nur dann: 1.5 Milliarden Eier gehen in der Schweiz jedes Jahr über den Ladentisch. Gut die Hälfte davon stammt aus Ländern mit einem Tierschutz, der den hiesigen Standards nie und nimmer genügt. Auch deshalb setzt die einheimische Branche auf "Swissness" mitsamt Hühner-Idylle. Was vor allem deshalb klappt, weil den KonsumentInnen so einiges verschwiegen wird. Von Klaus Petrus (tif).
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Verstecktes Hühnerleid
An die 1.500.000.000 Eier gehen in der Schweiz jedes Jahr über den Ladentisch. Rund die Hälfte wird im Inland produziert, die anderen 740 Millionen Eier stammen aus Ländern mit einem Tierschutz, der aus Sicht des Schweizer Gesetzgebers ganz offensichtlich ungenügend ist.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass seit Januar 2012 endlich auch in der EU die grausamen Käfigbatterien verboten sind. Denn trotz 12jähriger Übergangsfrist hat es eine ganze Zeile von Ländern noch immer nicht geschafft, ihre Hühnerhaltung den neuen Normen anzupassen. Darunter sind auch Holland, Frankreich, Italien und Polen – alles Länder, die zu den grossen Importeuren der Schweiz zählen. Nach wie vor fristen die Legehennen dort in engen Drahtkäfigen ein elendes Dasein.
Besonders arg ist die Sache mit den „versteckten Eiern“, wie sie im Jargon heissen. Sie werden als Schaleneier aus dem Ausland importiert und dann hier in Omeletts, Teigwaren, Saucen oder im Zopf und Gebäck verarbeitet. Mengenmässig machen sie mit 260 Millionen pro Jahr den grössten Anteil an Importeiern aus. Man schätzt, dass bis zu 80 Millionen dieser Verarbeitungseier aus Käfighaltungen stammen, die hierzulande schon vor 20 Jahren abgeschafft wurden.
Das ist schlecht fürs Image und stört eigentlich alle. Bereits anfangs der 1980er Jahre verlangte die Nutztierschutz-Organisation KAGfreiland ein Verbot von Importeiern aus tierquälerischer Haltung; sogar der Schweizer Bauernverband (SBV) schloss sich dennzumal dieser Forderung an. Nur der Bundesrat wollte nicht, denn ein solches Verbot verletze die Prinzipien des Freihandels, lautete die Begründung. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert.
Schweizer Hühner-Idylle und was dahinter steckt
Umso mehr setzt die hiesige Hühnerindustrie auf „Swissness“. Dass das „Schweizer Ei“ wie kein anderes sei und die „glücklichsten Hühner der Welt“ ausgerechnet in der Schweiz leben, sind nur zwei von vielen penetranten Slogans der einheimischen Branche. Dabei verdankt sich diese sonnendurchflutete Hühner-Idylle hauptsächlich der Tatsache, dass den KonsumentInnen so einiges verschwiegen wird.
Zum Beispiel: „Schweizer Eier“ sind nur beschränkt schweizerisch, denn sie stammen samt und sonders von Hühnern, die noch im Ei-Stadium oder als frisch geschlüpfte Küken im Ausland eingekauft werden. Zu den Lieferanten gehört auch die Lohmann Tierzucht der Erich-Wesjohann-Gruppe, das ist weltweit die Nummer 1 in Sachen Genmaterial für weisse Legehühner. Die Aufgabe dieser Zucht-Giganten ist es, Hühner zu fabrizieren, die vor allem eines sollen und eigentlich nur eines können: in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Eier legen. Dass ein solcher „Hochleistungssport“ nicht ohne Kraftfutter und Medikamente zu haben ist, gilt unter Fachleuten als offenes Geheimnis. Ebenso, dass diese „Turbo-Hühner“ allzu häufig krank sind: Knochenbrüche als Folge von Osteoporose, Eileiterentzündungen, Geschwülste und Leberverfettungen gehören zu den zuchtbedingten Berufskrankheiten von intensiv gehaltenen Legehennen. Wenn sie trotzdem ihre Eier legen, dann nicht, weil das Ausdruck ihres Wohlergehens wäre, wie die HühnerhalterInnen wiederholt beteuern. Sie tun das vielmehr, obschon sie krank sind.
Oder auch: Was in Holland, Bayern oder Bulgarien ganz normal ist, ist auch in der Schweiz gang und gäbe: Im Alter von gerade einmal 18 Monaten werden die Legehennen vergast, denn dann haben sie ausgedient und werden in Zementfabriken oder Biogasanlagen verarbeitet. Zu diesem Zeitpunkt haben sie an die 300 Eier gelegt und kämen in die Mauser, das ist eine mehrmonatige Phase, in der die Hühner ihr Federkleid erneuern – und keine Eier legen. Vor 100 Jahren war das noch kein Problem, denn man war überzeugt, dass Hühner erst im Alter von 7 Jahren auf der Höhe ihrer Leistung sind: Je älter das Huhn, desto weniger, aber umso grössere Eier. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nur interessiert sich niemand mehr für grosse Eier, da sie aus der Norm fallen und beim Verpacken bloss Probleme machen. Überdies sorgt die Zuchtindustrie ja am Laufmeter für Nachschub. Und neue Küken sind allemal billiger als Hühner, die monatelang fressen, ohne nur ein einziges Ei zu legen.
Apropos Küken: Auch über das grosse „Bibeli“-Sterben möchte die Eierbranche am liebsten schweigen. Die Rede ist von 2.3 Millionen männlichen Küken, die jedes Jahr aus den Eiern der Legehennen schlüpfen – und die für nichts zu gebrauchen sind. Denn naturgemäss können sie keine Eier legen. Und anders als die „Poulets“ sind sie nicht darauf selektioniert, in Windeseile viel Fleisch anzusetzen. Um die erwünschten 2 Kilogramm zu erreichen, benötigen Hochleistungs-Masthühner nicht einmal 5 Wochen, die Küken aus der Lege-Zuchtlinie brauchen dafür dreimal länger. Was natürlich nicht rentiert. Also endet das Leben dieser Küken, wo es beginnt: in den Brütereien, in denen sie – kaum dem Ei entschlüpft – auf einem Förderband aussortiert und kurz darauf mit Kohlendioxid erstickt oder lebendig zerhäckselt werden.
Bio-Hennen gibt es eigentlich nicht
Ob es Alternativen gibt zu diesem System, das am Laufmeter Leben erzeugt, um es gleich wieder zu zerstören? Einige, die mit den Eiern ihr Geschäft machen, würden es sich sehr wünschen. Und tüfteln seit Jahr und Tag an einem „Kombi-Huhn“, optimieren die „Junghahnmast“ oder werben fürs „Suppenhuhn“. Doch Lösungen, die auch rentabel sind, seien keine in Sicht.
Was eigentlich nicht erstaunt. Denn mögen die Hennen in der Schweiz mehr Platz, Luft und Licht haben als anderswo und mögen es einige von ihnen – die sogennannten „Bio-Hühner“ – noch eine Spur besser haben, in diesem sind sie doch alle gleich: Sie sind Produkte einer Hochleistungszucht, die einzig Effizenz im Sinn hat.
Zwar wird von gewissen Kreisen schon länger eine „Ökologisierung der Zucht“ gefordert, was heissen soll: weg von der Produktivität hin zu mehr Tierwohl und einem langen Leben. Doch das sind, jedenfalls bisher, Wunschträume. Auch Bio-Landwirte müssen, wollen sie wirtschaften, ihr „Material“ bei den Lohmanns dieser Welt einkaufen – und holen sich damit die Probleme der Hochleistungszucht in den Stall: Tonnenweise Küken, die aus ökonomischen Gründen entsorgt werden müssen, Hühner, die für allerlei Erkrankungen anfällig und mit eineinhalb Jahren bereits ausgemergelt sind. Ob da ein wenig Auslauf hier und dort eine auf Höchstleistung getrimmte Henne zum „glücklichsten Huhn der Welt“ macht?
Weitere TIF-Materialien
- Der Ballast mit den Hennen, von Klaus Petrus und Martina Späni
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- Hauptsache Hühner-Idylle, von Klaus Petrus
- Auf der Suche nach dem langen Leben, von Klaus Petrus
- Hühnerzucht mit schlimmen Folgen, von Klaus Petrus
2 Kommentare
sehr schön Silvia!
ich würde direkt bei den Betrieben anfragen. hast du das mal probiert?
ansonsten vielleicht über den Verband: http://www.gallosuisse.ch
viel Erfolg!
Habe letzten Sommer 5 ausgemusterte „Occasions-Hühner“ gekauft. Sie waren halb blutt und furchtbar ängstlich! Sie wurden aber bald handzahm, bekamen wieder ein schönes Federkleid und genossen den täglichen freien Auslauf. Ich habe grosse Freude an ihnen, die Hennen dankten es mir hundertfach!
Gerne würde ich noch mehr solche Hühner holen, aber WO?? Warum schreiben diese „Eier-Fabriken“ die Tiere nicht zuerst aus, bevor sie sie liquidieren? Bin für jeden Tipp dankbar. punzfva@tzk.arg