Das Experiment Speziesismus
Erstmals haben wir in Bern gegen den Speziesismus protestiert. Als Höhepunkt wurde ein Manifest für die Befreiung der Tiere verlesen. Unserem Aufruf folgten 500 Personen aus der ganzen Schweiz und darüber hinaus.
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Seit 2014 protestierten wir jeden Sommer für die Schliessung aller Schlachthäuser. Diesmal gingen wir erstmals gegen Speziesismus auf die Strasse. Auch wenn völlig unsicher war, ob sich für eine weitgehend unbekannte Sache erneut hunderte Leute mobilisieren lassen würden.
Um den Speziesismus bekannter zu machen, organisierten wir im Vorfeld der Demo eine Vortragsreihe zum Thema. Dank renommierter Persönlichkeiten aus der Schweizer Tierrechtsbewegung war jeder Vortrag bestens besucht. Ferner stiessen wir auf dem deutschen Szenenblog The Vactory oder der Hauszeitschrift des Berner Kulturzentrum Reitschule Diskussionen zum Speziesismus an.
Wieso Speziesismus?
Manche hatten sich offenbar bereits an die Tradition des Schlachthausprotests gewöhnt. Sie wollten von uns wissen, wieso wir heuer gegen Speziesismus protestierten.
Mehr noch als die Kritik an den Schlachthäusern umfasst der Speziesismus alles, was uns stört. Der Speziesismus macht Tiere zu Wesen zweiter Klasse. Wir sperren sie ein, beuten sie aus und essen sie – nur weil sie Tiere sind. Unter der speziesistischen Ideologie leiden insbesondere die sogenannten Nutztiere. Schweine, Rinder oder Hühner werden auf ihren ökonomischen Wert reduziert und wie Waren behandelt. Sie werden nicht als Nutztiere geboren, sondern durch den Speziesismus dazu gemacht.
Mit unserer Demo wollten wir die Ideologie des Speziesismus sichtbar machen. Wir wollten dazu animieren, die Sonderstellung des Menschen kritisch zu hinterfragen. Menschen und andere Tiere sind nicht gleich, aber sie sind gleichwertig. Die willkürliche Ungleichbehandlung muss enden. Doch um den Speziesismus zu überwinden, müssen wir ihn zuerst begreifen.
Manifest für die Befreiung der Tiere
An die 500 Demonstrierende versammelten sich am 1. Juli 2017 kurz nach Mittag auf dem Schützenplatz in Bern. Nach einer ersten Rede zogen sie durch die Aarbergergasse und skandierten Parolen wie «Speziesismus raus aus den Köpfen» oder «Schlachthäuser gehören abgeschafft». Auf dem Kornhausplatz folgte eine Strassenaktion. Dabei streckten die Demo-TeilnehmerInnen hunderte schwarze Silhouetten von Tieren in die Luft – jedes versehen mit einem roten Herzen. Mit dieser eindrücklichen Aktion wollten wir die Gemeinsamkeiten aller Tiere verdeutlichen.
Daraufhin marschierte der Demozug weiter quer durch die Altstadt auf den Rathausplatz. Dort folgte der Höhepunkt der Demo: wir verlasen erstmals unser Manifest für die Befreiung der Tiere.
Mit dem Manifest wollen wir zeigen, dass wir uns als Teil einer sozialen Bewegung verstehen – der Tierrechtsbewegung. Diese wird fälschlicherweise oft auf eine Frage der Ernährung reduziert. Zudem wollen wir mit dem Manifest auf die teils menschenverachtenden Tendenzen in der Tierrechtsbewegung reagieren. Für uns sind Menschenrechte nicht verhandelbar. Für Tierrechte kämpfen wir.
Zum Manifest haben wir eine dreisprachige Website aufgeschaltet, wo man es unterzeichnen kann. Bereits in den ersten Tagen ist es uns gelungen, bekannte Persönlichkeiten für das Manifest zu gewinnen. Darunter Forscher, Autorinnen und Aktivisten aus Österreich, Deutschland, Australien oder USA. Unterdessen haben es hunderte Leute unterzeichnet – und täglich werden es mehr.
Jetzt Manifest unterzeichnen
Findest du, dass Tiere moralische Rechte haben? Siehst du dich als Teil einer sozialen Bewegung – der Tierrechtsbewegung? Betrachtest du Menschenrechte als unverhandelbar? Dann unterzeichne jetzt das Manifest für die Befreiung der Tiere.
Speziesismus in den Medien
Mit der Demo wollten wir mitunter die Medien auf den Speziesismus lupfen. Die Herausforderung war gross, denn bisher wurde er in der Deutschschweiz kaum diskutiert. Und das mediale Vokabular zu erweitern, ist nicht einfach. Und doch: die Medien griffen den Begriff «Speziesismus» auf.
Bereits im Vorfeld schaltete Der Bund ein Interview mit einem Ethiker, der unsere Kritik am Speziesismus weitgehend stützte. Richtig los ging die Berichterstattung nach der Demo: Mit der Bernerzeitung, Der Bund und TeleBärn konnten wir die ganze Region abdecken. Aufgrund der agrarpolitischen Konsequenzen sprangen auch die beiden Agrarzeitungen Schweizer Bauer und Bauern Zeitung auf. Besonders toll: Selbst Radio SRF berichtete in den Nachrichten (ab Min 4.52). Somit fand unsere Forderung schweizweit Gehör.
Bei der medialen Berichterstattung zeigt sich auch ein Vorteil gegenüber der Forderung gegen Schlachthäuser, die stets ähnliche Reaktionen provozierte: Ist das nicht unrealistisch? Oder: müssen wir das Fleisch dann aus dem Ausland importieren, wo die Tierschutzstandards angeblich (noch) tiefer sind? Bei der diesjährigen Demo waren die Schlagzeilen hingegen bemerkenswert präzis: Speziesismus, Abschaffung der Nutztierhaltung sowie Grundrechte für Tiere.
Neben den professionellen Redaktionen werden die sozialen Medien immer wichtiger. Die Redaktionen bleiben unverzichtbar, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Doch mit unseren Smartphones sowie Facebook und Co. sind wir alle MedienproduzentInnen geworden. Und tatsächlich: Nach der Demo erreichten uns hunderte Fotos, Videos und Blogbeiträge mit Erlebnisberichten. Gemeinsam konnten so viele weitere tausend Personen erreicht und für den Speziesismus sensibilisiert werden.
Die Tiere befreien
Im Anschluss zur Demo luden wir im Berner Kulturzentrum PROGR zur Afterparty. Nach einem herzhaften, veganen Buffet erzählte Christian Adam von der deutschen Organisation tierretter.de über seine Arbeit als Tierbefreiungsaktivist. Seine Bilder, die er in den Ställen schiesst, sind ebenso tragisch wie motivierend: die Not der Tiere ist gross, unser Einsatz vonnöten.
Sinnlich wurde es in der zweiten Hälfte des Abends, als Chansonnier Ian Leu auftrat und mit seinen tiefschürfenden Texten die Leute berührte.
Auch wenn wir diesmal nicht in erster Linie gegen Schlachthäuser protestierten: Zurück bleibt die Erkenntnis, dass sich gerade Experimente lohnen können.
Keine Demo ohne HelferInnen
Bewilligungen einholen, Logos designen, planen – im Hintergrund sorgten dutzende freiwillige AktivistInnen für einen reibungslosen Ablauf. Das war zwingend nötig, denn ohne sie gäbe es keine grossen Demos. Wir sagen von Herzen: DANKE!
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Weitere TIF-Materialien zum Speziesismus
- Medienmitteilung zur Demo gegen Speziesismus
- Argumente pro und contra Speziesismus, Artikel von Martin Pätzold
- Anti-Speziesismus und Tierbefreiung, Artikel von Tobias Sennhauser
- Sie wollen den Speziesismus überwinden, Bericht der Demo gegen Speziesismus in Genf (2015)
- Berichte zur Demo gegen Schlachthäuser: 2014, 2015, 2016
- Ähnlicher als mensch denkt, Artikel von Tobias Sennhauser
- Der Mensch: ein Tier wie sie?, Artikel von Klaus Petrus
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