«Die Schreie der Tiere hörbar machen»
Kürzlich fand in Lausanne die 21. Swiss Expo statt, die grösste Rindviehveranstaltung in Europa. Die Kühe liefen wie gewohnt im Kreis, bis dass TierrechtsaktivistInnen versuchten, den Betrieb zu stören. Tobias Sennhauser (TIF) hat mit der Aktivistin Elisa Keller von «269Life Libération Animale – Suisse» gesprochen.
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Kürzlich fand in Lausanne die 21. Swiss Expo statt, die grösste Rindviehveranstaltung in Europa. An vier Tagen präsentierten ZüchterInnen aus ganz Europa ihre schönsten Kühe. Nicht eingeladen waren VeganerInnen und TierrechtsaktivistInnen. Sie kamen trotzdem – und versuchten, den Betrieb zu stören.
Dahinter steckt die Organisation «269Life Libération Animale – Suisse». Gemäss eigenen Angaben verfolgen sie bewusst eine provokante und «radikale» Strategie. Tobias Sennhauser (TIF) wollte von der Aktivistin Elisa Keller wissen, wieso.
TOBIAS SENNHAUSER: Während der Show stürmten plötzlich rund zehn AktivistInnen in den Ring und hielten Transparente in die Luft. Was wolltet ihr damit erreichen?
ELISA KELLER: Wir wehren uns gegen die Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere. Kühe sprechen nicht die gleiche Sprache wie wir, doch ihr Leben ist ihnen ebenso viel wert wie unser Leben uns. Sie gehören einer anderen biologischen Art an als wir. Doch das rechtfertigt weder ihre Ausbeutung noch ihren Tod. Wir müssen unsere Empörung jenen zeigen, die vom Leiden der Tiere profitieren. Klar hätten wir einfach auf der Strasse protestieren können. Aber das reicht uns nicht.
Tatsächlich protestierte derweil beim Eingang der Swiss Expo die Welschschweizer Tierrechtsorganisation «Pour l’égalité animale» (PEA). Deren Demonstration war von den Behörden bewilligt. Wieso habt ihr euch nicht an die demokratie-politischen Regeln gehalten?
Ein Gesetz sollte man nur dann respektieren, wenn es selbst respektvoll ist. Die Gesetze, die den Umgang mit Tieren regulieren, sind extrem gewalttätig und ungerecht. Ich betrachte es deshalb als unsere moralische Pflicht, öffentlich ungehorsam zu sein. Unser Widerstand muss radikaler werden. Unsere Aktion war in meinen Augen also völlig legitim. Ebenso wie der zivile Ungehorsam der amerikanischen Schwarzen gegen weisse Vorherrschaft.
Wie haben die ZüchterInnen auf die Aktion reagiert?
Einige tausend ZuschauerInnen reagierten mit Buhrufen. Dann stürzten sich empörte Viehzüchter auf uns. Manche AktivistInnen mussten Ohrfeigen und Schläge einstecken. Beim Ausgang wurde uns mit Vergewaltigung und Tod gedroht.
Zurück zu den Kühen. Was stört dich an der Haltung der Kühe an der Swiss Expo?
An Viehschauen erleiden Kühe unvorstellbare Qualen. Ihre Euter sind derart prall, dass sie kaum laufen können. Auch fernab der Show ist es nicht besser: Kühe hängen zeitlebens an der Melkmaschine. Sie werden jedes Jahr gewaltsam künstlich besamt, um gleich nach der Geburt von ihren Kindern getrennt zu werden. Nach rund fünf Jahren werden Kühe getötet – auch in der Schweiz.
Wir sollten lernen, uns in Kühe hineinzuversetzen. Wir sollten unser Mitgefühl auf alle fühlenden Individuen auf diesem Planeten ausweiten. Keine menschliche Mutter würde dieses Schicksal erleiden wollen.
Ist für dich die Kritik an der Ausbeutung der Kühe auch eine feministische?
Ja, für mich hängt die Ausbeutung von Kühen eng mit dem Patriarchat zusammen. So wie man den weiblichen Körper als Objekt betrachtet, das dem heterosexuellen Mann Vergnügen bereiten soll, werden Tiere auf Rippen, Steak oder andere Körperteile reduziert. Man nutzt die Fähigkeit der Kühe zu gebären aus, um Profit zu schlagen. Eine Kuh wird nicht mehr als fühlendes Wesen betrachtet, sondern als blosse Ware, die man nach Belieben konsumieren kann.
Gemeinsam für Kühe und Kälber
Kühe und Kälber werden wie Maschinen betrachtet. Sobald die Leistung sinkt, werden sie entsorgt. Wir wehren uns in einer Kampagne gegen diese unnötige Gewalt – mit Artikeln, Aktionen und Alternativen.
Möchtest auch du dich für Kühe und Kälber einsetzen? Dann melde dich noch heute bei uns, wir brauchen dich!
=> www.tier-im-fokus.ch/aktiv
Was ist mit dem Schweizer Tierschutzgesetz, das zu den besten seiner Art zählt. Schützt es die Tiere nicht?
Das Tierschutzgesetz ist reine Augenwischerei. Es erlaubt, grundlegende Rechte zu verletzen, wie das Recht auf Leben oder das Recht auf Freiheit. Die schiere Tatsache, dass es ein Gesetz gibt, heisst überhaupt nichts.
Was meinst du damit?
Nehmen wir die Apartheidsgesetze oder Nürnberger Gesetze. Beide konnten nicht verhindern, dass Menschen willkürlich diskriminiert wurden. Wenn wir für die Tiere etwas ändern wollen, müssen wir den Eigentumsstatus der Tiere abschaffen. Es reicht nicht, die Ausbeutung zu regulieren oder die Gewalt zu mildern. Wir müssen jegliche Form der Ungleichbehandlung beenden.
Und wie?
Wir brauchen eine echte antispeziesistische Debatte in der Bevölkerung. Die Frage der Tierausbeutung muss die traditionellen Meinungen herausfordern, durcheinanderwirbeln und ins Wanken bringen. Wenn sich die Leute hinterfragen, ändern sie auch ihr Verhalten.
Für die Abschaffung der Tierausbeutung dürfen wir nicht auf die Politik warten. Die Bewegung für die Befreiung der Tiere muss von unten kommen. Wir müssen die speziesistischen Industrien angreifen, bis sie zusammenbrechen. Um sich der Todesmaschine zu widersetzen, braucht es Mut und zivilen Ungehorsam. Wir müssen die Schreie der Tiere hörbar machen.
Aus dem Französischen von Tobias Sennhauser.
Wer steckt hinter «269Life Libération Animale»?
Die französische Organisation zählt von Frankreich über die Schweiz bis nach Belgien über 500 AktivistInnen. Sie wollen den Speziesismus überwinden und die Tierausbeutung abschaffen (Abolitionismus). Dazu versuchen sie, unterdrückende Praktiken gegenüber Tieren zu stören. Sie organisieren Walk-ins in Restaurants, die Tierprodukte verkaufen, oder Aktionen des zivilen Ungehorsams. Jüngst besetzten dutzende AktivistInnen ein französisches Schlachthaus.
Weitere TIF-Interviews zum politischen Aktivismus
- «Jede Demokratie braucht zivilen Ungehorsam», Podcast-Interview von Klaus Petrus mit Martin Balluch, Obmann des Verein gegen Tierfabriken (Österreich)
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