Im Labor den Fleischkonsum retten
Laborfleisch ist in aller Munde – zumindest als Idee. Die Bilder des ersten Reagenzglas-Burger gingen um die Welt. Tobias Sennhauser (TIF) über eine Technologie mit revolutionärem Potential.
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Es ist vollbracht. ForscherInnen haben den ersten Labor-Burger gebastelt. Zwei FoodexpertInnen kosteten ihn vor laufender Kamera in London. Geschmacklich sei er noch verbesserungsfähig, doch Farbe und Konsistenz komme bereits an das Original heran. Das Fleisch stammt von Rinderstammzellen, die das holländische Team in einer Nährstofflösung kultivierten. Kostenpunkt: 300.000 Franken das Stück.
Kultivierte Vorteile
Der jahrelange Forschungsaufwand wird primär ökologisch begründet. Die Fleischproduktion birgt gravierende Folgen für das Klima. Treibhausgasemissionen, Wasser- und Landverbrauch sind bei Fleisch besonders hoch. 70 Prozent der weltweiten Agrarfläche verschlingt die Fleischproduktion. Ein Ziel der ForscherInnen ist auch die Nahrungsmittelsicherheit. Angesichts der erwarteten Bevölkerungsexplosion auf 9 Milliarden bis 2050 dürfte sich die Nachfrage nach Fleisch noch verdoppeln. Für Forschungsleiter Mark Post von der Maastricht Universität ist deshalb klar: „Wir brauchen Alternativen“ (Guardian vom 19.02.2012).
Im Gegensatz zu den Informationen auf der Projektwebsite culturedbeef.net kommt in der massenmedialen Berichterstattung das Tierwohl kaum zur Sprache. Und doch: Für kultiviertes Fleisch müssen keine Tiere geschlachtet werden. Auch braucht es keine Ställe, in denen Hochleistungsrassen auf wenig Raum ein kurzes Leben fristen. Es wären keine Tierseuchen mehr zu befürchten und Antibiotikarückstände im Fleisch gehörten der Vergangenheit an.
Finanziert wurde der Laborburger übrigens von Google-Mitbegründer Sergey Brin. Die industrielle Tierhaltung bereitet ihm Unbehagen. Für die Ernährungszukunft sieht er drei Möglichkeiten: Wir essen alle vegetarisch oder wir machen weiter wie bisher oder wir versuchen etwas ganz Neues. Globaler Vegetarismus hält Brin für unrealistisch und Weitermachen für ignorant. Fasziniert ist er jedoch vom technologischen Potential.
Technologie und Moral
Welche Nahrungsmittel sind ethisch legitim und gleichzeitig nachhaltig? Nicht alle halten biochemische Technologien in moralischen Debatten für angebracht. Einige KritikerInnen von kultiviertem Fleisch befürchten eine Ausdehnung des Fleischmarktes. Multinationale Lebensmittelkonzerne könnten sich einmischen und ihre Macht weiter ausbauen. Andere misstrauen dem Fleisch „ohne Seele“ oder befürchten, dass sich der Mensch durch die Industrienahrung weiter von der Natur entfremden würde.
Zudem stellt sich die Frage, ob wir Laborfleisch überhaupt brauchen. Gemäss der Welternährungsorganisation (FAO) kann die Landwirtschaft bereits heute 12 Milliarden Menschen ernähren. Doch angesichts der steigenden Nachfrage sowie des hohen Ressourcenverbrauchs von tierlichen Produkten müssten wir ohne kultiviertes Fleisch unseren Konsum reduzieren. Laborfleisch verkörpert demgegenüber das Festhalten am kulinarischen Status Quo: Jede/r soll frei seine Ernährungsgewohnheiten gestalten können – auch was die Fleischmenge betrifft.
Dass die (globale) Nachfrage nach tierlichen Produkten sinkt, bleibt derweil Zukunftsmusik. Umsomehr weist kultiviertes Fleisch aus tierethischer Sicht beachtliches Potential auf. Der Moralphilosoph Peter Singer vertritt die Haltung, dass Laborfleisch der Gesellschaft – inkl. der tierlichen Bevölkerung – einen grossen Nutzen bescheren würde, weil auf die Massentierhaltung verzichtet werden könne. Die nötigen Biopsien – Gewebeentnahme bei lebenden Tieren – hält Singer für gerechtfertigt. Als Utilitarist kennt er keine moralischen Tabus und schreckt auch nicht vor Technologien zurück.
Aber wie verhält sich kultiviertes Fleisch im Gegensatz zu anderen ethisch motivierten Ernährungsweisen? Der amerikanische Student Gregory Yanke favorisierte in einem Artikel von 2011 in The Triple Helix sogar den Konsum von Laborfleisch gegenüber der vegetarischen oder veganen Ernährung. Während im Labor keine Tiere zu Schaden kämen, würde bei der Ernte von Gemüse, Früchten oder Getreide stets Tiere getötet. Darüber hinaus sei die Pflanzenproduktion auf fossile Energieträger, Pestizide und Dünger angewiesen.
Den Spagat zwischen Pragmatismus und moralischen Werten wagte die amerikanische Tierschutzorganisation People for Ethical Treatment of Animals (PETA) bereits im Jahr 2008, als sie mit einem Preisgeld für Aufsehen sorgte: 1 Million Dollar für kommerziell verfügbares Laborfleisch innert 4 Jahren. Intern führte die Ausschreibung zu Auseinandersetzungen, da sie dem PETA-Credo – „Tiere sind nicht für uns da“ – widerspricht. Der Streit dürfte sich inzwischen gelegt haben. Das Vorhaben blieb indes erfolglos.
Neue Allianzen dank Laborfleisch
BefürworterInnen von kultiviertem Fleisch haben offensichtlich ganz unterschiedliche Beweggründe. Die holländischen Philosophen Cor van der Weele und Clemens Driessen sprechen in der Fachzeitschrift Animals (Nr. 3, 2013) von verschiedenen moralischen Profilen. Damit wollen sie zeigen, dass die schiere Idee des kultivierten Fleisches alte Positionen aufweichen und Polarisierungen unterwandern kann. Die vegetarischen Ideale würden beispielsweise den Gewohnheiten vieler widersprechen – vor allem jenen der FleischliebhaberInnen. Doch egal, ob Tierwohl, Ökologie oder Gewohnheit: Kultiviertes Fleisch bietet in den Augen von Weele und Driessen stets eine gute Antwort und schafft damit Raum für neue Allianzen, so etwa zwischen VeganerInnen und ökologisch motivierten Personen.
Die Laborfleisch-Debatte könnte zudem weitere Ambivalenzen der Mensch-Tier-Beziehung überführen. Wenn für den Fleischkonsum keine Tiere mehr geschlachtet werden, was soll dann mit ausrangierten „Legehennen“ oder „Milchkühen“ passieren? Tierethische Argumente könnten in die Diskussion einfliessen und den Nutzungsanspruch gegenüber den sogenannten „Nutztieren“ grundsätzlich hinterfragen.
Die Akzeptanz von Laborfleisch ist gegenwärtig freilich noch gering. Doch der Immunologie-Professor Beda Stadler verweist auf andere Industrienahrungsmittel, die sich innert Kürze auf dem Markt etabliert haben, wie etwa Aloa Vera Produkte. Für Stadler ist der Durchbruch von kultiviertem Fleisch bloss eine Frage der Zeit: „Zum Glück sterben die Zweifler irgendwann immer weg“.
Unterdessen: vegan
Der erste Laborburger ist da, doch von der Marktreife ist er noch weit entfernt. Mark Post und sein Team erwarten die Kommerzialisierung frühestens in 10 Jahren, möglicherweise auch erst in 20. Sollen wir uns also zurücklehnen und warten?
Keinesfalls. Vielleicht kann der Laborburger den Fleischkonsum tatsächlich retten. Doch bis dahin wird das Züchten, Mästen, Transportieren und Schlachten weitergehen. Was also tun? Es gibt heute bereits die Möglichkeit, sich persönlich vom in den Tierfabriken erzeugten Leid und ihren ökologischen Folgen zu distanzieren: vegan leben. Wer mag, mit Vorfreude auf den Laborburger.
Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien im TIF-Bulletin 02/2013.
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