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Vortrag

„Das unnötige Leiden der Tiere“

Im Anschluss an die diesjährige Generalversammlung von tier-im-fokus.ch (tif) fand ein Vortrag von Klaus Petrus statt. Die Veranstaltung war sehr gut besucht und gab Anlass zu einer angeregten Diskussion.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Tierschutz vs. Tierrechte

In seinem Vortrag setzte sich Klaus Petrus mit der strategischen Frage auseinander, inwieweit es sinnvoll sein kann, in der tierrechtlerischen Aufklärungsarbeit beim ethischen Tierschutz anzuknüpfen – und damit bei Moralprinzipien, die in der breiten Öffentlichkeit bereits bekannt sind und eine vergleichsweise hohe Akzeptanz geniessen.

Diese Fragestellung ist insofern ungewöhnlich, als es zwischen den Anliegen des Tierschutzes und jenen der Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung grundsätzliche Unterschiede gibt. Üblicherweise setzt sich der Tierschutz mit dem Problem auseinander, wie wir mit Tieren, die wir für unsere Zwecke nutzen, umgehen sollten. Demgegenüber stellt die Philosophie der Tierrechte grundsätzlich in Frage, ob wir Tiere für unsere Zwecke nutzen dürfen.

„Unnötiges Leid“

Am Beispiel des tierschützerischen Grundsatzes der Vermeidung unnötiger Leiden versuchte Klaus Petrus zu zeigen, dass dieses Prinzip erstaunlich viel „tierrechtlerisches Gedankengut“ enthält. Allerdings müsse man beachten, dass im Tierschutz in wenigstens zweierlei Sinn von „unnötigem“ bzw. „nötigem Tierleid“ die Rede sei.

Im einen Fall geht es um die Idee, dass Tierleid auf das absolut „unerlässliche“ und damit nötige Mass zu reduzieren ist. Entsprechend steht die Frage im Vordergrund, wieviel Tierleid nötig ist. Im anderen Fall geht es hingegen die Frage, ob Tierleid überhaupt nötig ist.

Gemäss den eigenen Grundsätzen des ethischen Tierschutzes ist Tierleid nur dann „nötig“ oder notwendig, wenn auf Seiten des Menschen schwerwiegende Interessen auf dem Spiel stehen, die sein eigenes Überleben betreffen und für die es unter den gegebenen Umständen keine Alternativen gibt. Hingegen ist Tierleid in jedem Fall „unnötig“ und damit moralisch auch gar nicht gerechtfertigt, wenn es um vergleichsweise triviale Interessen geht, die z.B. auf Spass, Luxus, Gewohnheit oder Bequemlichkeit beruhen.

Ethischer Tierschutz, ernst genommen

Werden diese Grundsätze nun auf Beispiele angewendet, in denen wir Tiere für unsere Zwecke leiden lassen (z.B. Ernährung, Bekleidung, Forschung, Unterhaltung), zeigt sich, dass dieses Tierleid selbst nach Ansicht des ethischen Tierschutzes in den allermeisten Fällen eigentlich „unnötig“ und damit moralisch nicht gerechtfertigt ist.

Nach Auffassung von Klaus Petrus ist dieses Resultat mit der Idee der Tierrechte zumindest verwandt. Voraussetzung dafür sei aber, dass in der Aufklärungsarbeit versucht wird, den Blick von der Frage „Wieviel Tierleid ist nötig?“ auf die ungleich fundamentalere Frage „Ist Tierleid überhaupt nötig?“ zu lenken.

Diskussion

Die anschliessende Debatte war lebhaft und grundsätzlich zugleich. So wurde darauf hingewiesen, dass viele Menschen zwar darin übereinstimmen, dass Tierleid auf das „nötige Mass“ zu reduzieren sei, bei der grundsätzlichen Frage „Ist Tierleid überhaupt nötig?“ aber aus der Diskussion aussteigen oder sie sogar verweigern würden.

Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob es aufgrund der tiefliegenden Unterschiede zwischen Tierschutz und Tierrechte sinnvoll sei, tierschützerische Moralprinzipien für die Anliegen der Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung zu „instrumentalisieren“. Immerhin sei selbst ein „leidfreier“ Umgang mit Tieren noch kein Garant dafür, dass sie nicht weiterhin für menschliche Zwecke eingespannt werden.

In diesem Zusammenhang hat sich gezeigt, dass einiges davon abhängt, was unter „Tierleid“ verstanden wird und dass es darum geht, Tiere als „ganze Lebewesen“ in den Blick zu nehmen. Jedenfalls müsse das vom Tierschutz viel zitierte „Wohl der Tiere“ nicht bloss die körperliche Unversehrtheit berücksichtigen, sondern u.a. auch das Sozialleben der Tiere, ihren Eigenwert, ihre Autonomie und Würde miteinschliessen.

Nach zwei Stunden intensiver Kopfarbeit hatten die BesucherInnen Gelegenheit, sich bei einem reichhaltigen und leckeren Buffet näher kennen zu lernen und sich weiter auszutauschen.

tier-im-fokus.ch bedankt sich ganz herzlich bei allen, die an diesem Anlass teilgenommen haben!

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