Schweizer Schlachtzahlen sinken zum ersten Mal seit 2006
Die neuen Zahlen von Proviande zeigen: Die Schweizer Schlachtzahlen sind zum ersten Mal seit 17 Jahren rückläufig. Tierschutzorganisationen zeigen sich erfreut und hoffen, dass die Trendwende anhält. Insgesamt wurden 2023 immer noch über 82.6 Millionen Tiere geschlachtet.
Die wichtigsten Punkte
- Die provisorische Schlachtviehstatistik zeigt: 2023 wurden über 82.6 Millionen Tiere geschlachtet. Vergleicht man das mit der Statistik im Vorjahr, sind das 1.1% (rund 940’000) Tiere weniger.
- Der Rückgang ist ein Novum: Seit 17 Jahren ist die Zahl getöteter Tiere jedes Jahr gestiegen. In den letzten 20 Jahren hat sie sich sogar verdoppelt. Gründe sind der hohe Fleischkonsum und der Trend zu Hühnerfleisch (kleinere Tiere bei gleichem Fleischkonsum pro Kopf).
- Der Rückgang war beim Geflügel am stärksten: 840’641 Tiere wurden weniger geschlachtet. Geflügel macht den Grossteil aller geschlachteten Tiere aus (96%).
- Die definitiven Zahlen werden im April bzw. Mai veröffentlicht, ändern an der Tendenz aber wenig.
- Der Rückgang schliesst an den Trend im EU-Raum an: Dort sind die Schlachtzahlen ebenfalls rückläufig.
- 2005 und 2006 waren die Schlachtzahlen aufgrund der Vogelgrippe rückläufig. Davor stiegen die Zahlen.
- Zwar könnten auch der vermehrte Kauf von ausländischen Produkten, die Teuerung und der Einkaufstourismus eine Rolle spielen, es ist aber davon auszugehen, dass sich auch die steigende Zahl der Menschen, die sich fleischlos oder vermehrt fleischlos ernähren, in den aktuellen Schlachtzahlen niederschlägt. Beachtlich ist der Rückgang auch vor dem Hintergrund der steigenden Bevölkerungszahlen.
- Die Zahlen von Menschen in der Schweiz, die kein Fleisch essen, bewegen sich zwischen 6 und 8%, eine Zunahme von rund 3% seit 2015. Der Anteil von flexitarisch lebenden Menschen bewegt sich zwischen 18 und 43%.
Tierschutz erfreut
Die Tierschutzorganisationen Animal Rights Switzerland, Stiftung für das Tier im Recht, Hof Narr, Sentience und Tier im Fokus sind grundsätzlich erfreut über die Nachricht.
Sie weisen jedoch darauf hin, dass sich die Zahlen immer noch auf einem sehr hohen Niveau bewegen. Der Pro-Kopf-Fleischkonsum liegt in der Schweiz seit Jahren bei rund 50 Kilogramm pro Person und somit sowohl über dem Weltdurchschnittsverbrauch als auch über der Ernährungsempfehlung des Bundes («3 mal zu viel Fleisch»).
Céline Schlegel, Geschäftsleiterin von Animal Rights Switzerland, ist erleichtert, dass die Zahlen rückläufig sind. «Ich hoffe, dass wir bald von einer Trendwende sprechen können. Es kann mit dem Fleischkonsum nicht weitergehen wie bisher.» Sie weist auf den konstant hohen Fleischkonsum der letzten Jahre hin. «Die Schlachtzahlen sind in den letzten Jahrzehnten regelrecht explodiert. Es ist eine ethische Katastrophe. Und das, obwohl es eine Fülle an pflanzlichen Proteinquellen gibt, die Tiere und Umwelt schonen.»
Vanessa Gerritsen, Geschäftsleitungsmitglied bei der Stiftung für das Tier im Recht, sagt: «Fleischkonsum und -produktion werden heute gleich doppelt durch öffentliche Mittel künstlich hochgehalten. Zum einen erhalten Betriebe, die Tiere zur Fleischproduktion züchten und mästen, hohe Direktzahlungsbeiträge, zum anderen investiert der Bund Millionenbeträge in die Absatzförderung von Schweizer Fleisch. Die Politik zeigt sich bislang nicht bereit, die Geldmittel in eine für die Tiere, die Gesellschaft und die Umwelt sinnvolle Richtung zu lenken.»
In die gleiche Richtung wundert sich Sarah Heiligtag, Präsidentin des Vereins Hof Narr. «Dass immer noch so viel Geld in die künstliche Aufrechterhaltung eines zerstörerischen Systems fliesst, ist nicht nur eine verpasste Chance für die Schweiz, einmal als Pionierin zu zeigen, wie es anders geht. Es ist schlicht und einfach ein Skandal. Heute, wo wir alle Möglichkeiten haben, uns nachhaltig, ethisch, klimafreundlich und fair zu ernähren, sollte die Förderung dort liegen, wo am wenigsten Schaden zugeführt wird: in der pflanzlichen, lokalen Landwirtschaft. Diesen Bedarf bestätigt auch das grosse Bedürfnis nach Umstellungen, raus aus der Nutztierhaltung, rein in die pflanzliche Landwirtschaft bei den Landwirt:innen, die sich an uns wenden.»
Philipp Ryf, Geschäftsleiter von Sentience und ehemaliger Co-Kampagnenleiter der Initiative gegen Massentierhaltung zeigt sich erfreut, dass die Schlachtzahlen insbesondere bei den Hühnern und Schweinen gesunken sind: «Eine Verlagerung weg vom Hühner- und Schweinefleisch ist dringend notwendig. Ohne importiertes Kraftfutter und ohne Massentierhaltung wäre die Haltung und Schlachtung der über 80 Millionen Schweine und Hühner pro Jahr unmöglich. Die Zahlen sind jedoch nach wie vor viel zu hoch und müssen dringend weiter sinken. Politik und Handel müssen dringend einen Ausstiegsplan aus der industriellen Tierproduktion ausarbeiten und alternative Proteine stärker fördern.»
Der Rückgang der Schlachtzahlen wird von Tier im Fokus (TIF) und ihrem Mediensprecher Tobias Sennhauser positiv hervorgehoben: «Das Sinken der Schlachtzahlen ist ein Schritt in die richtige Richtung und zeigt, dass Aufklärungsarbeit wirkt. Doch dürfen wir nicht stehenbleiben. Jedes Tier, das geschlachtet wird, ist eines zu viel. Es braucht nun politische Verantwortung, um die Landwirtschaft nachhaltiger und tierfreundlicher zu gestalten.» TIF fordert die Umverteilung von Subventionen hin zur pflanzlichen Landwirtschaft und die Förderung von Ausstiegsinitiativen aus der Nutztierhaltung.
Quellen
Die definitiven Zahlen werden im April im statistischen Monatsheft von Agristat und im Mai im «Fleischmarkt im Überblick» von Proviande veröffentlicht. Abweichungen fallen aber nicht sehr ins Gewicht.
Quellen Vegis und Flexitarier:innen
- Studie Universität St. Gallen, Universität Bern und Inselspital Bern (2023): 8% Vegis, 18% essen bis 200g Fleisch pro Woche; Bericht 20 Minuten.
- Erhebung Bundesamt für Statistik (2023): 6% Vegis, 43% essen ein- bis dreimal pro Woche Fleisch
- Swissveg (2015): Knapp 3% Vegis
Gemeinsame Medienmitteilung
Dies ist eine gemeinsame Medienmitteilung der nachfolgenden Organisationen: