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Interview

„Manchmal braucht es Kompromisslosigkeit“

Hanna Poddig ist engagierte AKW- und Militarismusgegnerin, Rednerin an Kongressen, Camps und Tagungen sowie regelmässige Gastin in Talkshows, TV-Sendungen und Printmedien. Tobias Sennhauser von TIF hat mit der selbsternannten Vollzeitaktivistin gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Hanna Poddig – 2009 veröffentlichte die damals 24-jährige ihre „Anleitung zum Anderssein“. Die selbsternannte Vollzeitaktivistin beschreibt darin ihren widerständigen, herrschaftskritischen Lebensstil.

Woran arbeitest du gerade?
Momentan ist mir das Thema Urananreicherung ein wichtiges Anliegen. Im münsterländischen Gronau steht Deutschlands einzige Urananreicherungsanlage. Sie liefert den Grundstoff zum Betrieb der Atomkraftwerke.

Erzähl uns mehr davon.
Alle vier Wochen wird von dort ein Zug mit radioaktiven und chemisch sehr gefährlichen Abfällen quer durch Europa geschickt und fast niemand weiß davon. Auch die Brennelementefabrik in Lingen ist nahezu unbekannt und viele Menschen glauben, es gäbe einen Atomausstieg in Deutschland. Solange es diese beiden Anlagen gibt, kann davon aber keine Rede sein. Deswegen machen wir immer wieder Aktionen zu diesen Transporten und an den kritisierten Anlagen – vor ein paar Monaten habe ich mich beispielsweise an der Bahnschiene Gronau-Münster angekettet und einen solchen Urantransport damit mehrere Stunden blockiert.

Und wenn du dich nicht gerade irgendwo ankettest?
Ein Grossteil meiner Arbeit besteht derzeit darin, Menschen zu unterstützen, die von staatlicher Repression betroffen sind. Und ihnen beizubringen, wie sie sich vor Gericht wehren können. Ich begleite viele Prozesse und bemühe mich, am Bild der fairen und unabhängigen Justiz zu rütteln.

Wieso ist dir das wichtig?
Es gibt viele Menschen, die an den vermeintlichen Gerechtigkeitssinn von Gerichten glauben. Die sind aber nie dazu da, um für Veränderung einzutreten. Sie tun vielmehr das Gegenteil: Gerichte verfolgen Menschen, die für notwendigen Wandel eintreten. Gerichte schützen den Staus Quo und sind damit ein großer Teil unserer momentanen Probleme.

Zurück zu deiner Person. Wie muss man sich das vorstellen: ein Leben als Vollzeitaktivistin?
Der Begriff „Vollzeitaktivistin“ ist im Grunde ja nur ein Konstrukt, um ansatzweise zu erklären, was ich mache. Manche sagen, ich sei Widerstandsnomadin, eine Berufsrevolutionärin oder Reisechaotin, und all das stimmt bei einer bestimmten Betrachtung durchaus. Wichtig bleibt vor allem festzuhalten, dass ich keine feste Erwerbsarbeit habe und nebenher ein wenig politisch aktiv bin, sondern mehr oder weniger mein ganzes Leben mit politischer Arbeit verbringe. Das bedeutet für mich: Ich bin sehr viel unterwegs, plane Aktionen, gebe Trainings, halte Vorträge, mache Lesungen. Genauso bedeutet es aber auch, die dafür notwendige Infrastruktur aufzubauen und aufrechtzuerhalten, also zum Beispiel: Projekthäuser renovieren und Aktionsmaterial besorgen.

Das klingt nach richtig viel Arbeit…
Allerdings. Zu politischer Arbeit gehört viel mehr, als das am Ende nach außen sichtbare.

Wie sollte politischer Widerstand organisiert sein?
Ich möchte niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu arbeiten hat. Ich wünsche mir möglichst vielfältigen Widerstand, denn das macht unberechenbar und damit effektiv. Mir persönlich ist in der politischen Arbeit sehr wichtig, den Anspruch zu haben, auf Augenhöhe zu kooperieren. Das klappt mal mehr, mal weniger, weil natürlich immer neue Menschen dazu kommen, die erst noch ihre Erfahrungen sammeln müssen.

Kannst du selber davon eigentlich auch noch profitieren?
Absolut. Genau diesen Austausch und die gemeinsame Debatte halte ich für eine notwendige Grundlage für gemeinsame politische Arbeit. Und ob dann am Ende Blockaden, Kletteraktionen, Ankettaktionen, Straßentheater oder gefälschte Flugblätter und Großdemos herauskommen, erscheint mir weniger wichtig. Es ist ja gerade die Vielfalt nebeneinander existierender Ansätze, die zu Veränderungen einer Gesellschaft führt.

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Foto © anti-atom-aktuell-West

Die von dir angesprochenen Aktionsformen sind eher konfrontativ. Welche Rolle spielt die Polizei im politischen Widerstand?
Die Polizei spielt in sehr vielen Auseinandersetzungen eine große Rolle. Oft schon beim rein symbolischen Protest, spätestens aber bei Aktionen, die den kritisierten Zustand handfest angreifen, steht die Polizei im Weg. Als staatlich bezahlte Uniformierte schützen die Beamtinnen und Beamten beispielsweise nicht die Menschen vor den Atommülltransporten, sondern die Atommülltransporte vor dem Protest der Menschen.

Was den Status Quo zementiert…
Ja, ohne die willigen Vollstrecker der Polizei wäre ganz viel, wogegen soziale Bewegungen kämpfen, komplett undenkbar. Nicht umsonst fanden in den letzten Jahren in Deutschland die größten Polizeieinsätze bei Atommülltransporten, Gipfelprotesten oder im Rahmen der Proteste gegen das Stuttgarter Bahnhofs- und Immobilienprojekt S21 statt. Würde sich die Polizei weigern, solche Aufträge durchzuführen, würde sich sicherlich kein AKW-Betreiber hinstellen und die Castortransporte selber durchprügeln. Die Transporte und damit der Betrieb von Atomanlagen wären schlicht undenkbar. Daher haben die einzelnen Beamtinnen und Beamten eine individuelle Verantwortung, die sie aber natürlich oft nicht wahrhaben wollen.

Was sollte die Polizei deiner Meinung nach tun?
Ich wünsche mir nicht eine „bessere“ oder „moralischere“ Polizei, sondern eine Welt, die ganz ohne auskommt. Ohne Militär und Polizei oder eine ähnliche Struktur wäre kein kapitalistischer Staat denkbar, denn solange es massive Reichtumsunterschiede und eine Gesellschaft gibt, die auf Konkurrenz basiert, braucht es auch Leute, die das absichern. Absichern gegen jene, die vom System ausgebeutet und ausgelutscht werden, ohne davon nennenswert zu profitieren. Die Polizei abschaffen wird also vermutlich nicht gehen, ohne den Kapitalismus abzuschaffen. Aber das ist ja kein Grund dagegen, den Kampf mit Nachdruck zu führen.

Lassen wir Polizei und Justiz mal weg. Welche Aktionsformen sind grundsätzlich legitim?
Die Wahl der Aktionsform sollte immer eine strategische Antwort auf die jeweilige Situation sein. In manchen Momenten ist vielleicht ein Flugblatt effizienter als eine konfrontativere Aktion. Manchmal braucht es aber eben auch die Kompromisslosigkeit. So beispielsweise bei einer „Feldbefreiung“, also der Zerstörung gentechnisch veränderter Pflanzen. Auf die Frage kann es also keine pauschale Antwort geben. Wichtig erscheint mir jedoch immer zu versuchen, die möglichen und wahrscheinlichen Folgen in Relation zum erhofften Erfolg abzuwägen. Es gilt also, sich die Frage zu stellen, ob mein jeweiliges Anliegen wichtig genug ist, dass ich Menschen zumute, deswegen im Stau vor der Demo zu stehen, später Feierabend machen zu müssen, eine Torte im Gesicht zu haben, finanziellen Schaden zu erleiden, sich Gedanken machen zu müssen, wie die Farbe von ihrem Schaufenster oder der Betonblock wieder aus ihrer Einfahrt verschwinden etc.. All das ist eine Frage der Abwägung, und in vielen Konflikten beantworte ich sie eben mit einem deutlichen „Ja“.

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Foto © anti-atom-aktuell-West

Trotzdem: Können Direkte Aktionen angesichts der globalisierten Energie-, Finanz- und Agrarmärkten überhaupt wirksam sein?
So globalisiert die Probleme auch sind, die Leidtragenden haben immer noch Namen und Gesichter. Und auch eine ganze Menge der verursachenden Menschen und Konzerne und sonstiger Zusammenschlüsse. Ich will damit die Komplexität des ganzen Mists, der uns umgibt, nicht leugnen. Ich glaube aber, dass es sehr wohl jede Menge lokale Ansätze gibt. Und wohin der Strom an der Leipziger Börse verkauft wird und wie der Weltmarktpreis dafür gerade ist, ist mir in dem Moment, in dem ich ein Kohlekraftwerk besetze, tatsächlich egal. Wir sollten uns von der Komplexität nicht verunsichern und erschlagen lassen.

Sondern?
Ich glaube, dass viele kleine Nadelstiche an vielen Orten eben genau der Sand sein können, der das Getriebe ins Stocken bringt. Gerade weil alles so komplex ist, haben wir viele Angriffsmöglichkeiten und eben nicht „den einen richtigen Weg“.

Welche Strategien und Taktiken würdest du der Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung empfehlen?
Ich würde ihr wohl das empfehlen, was ich auch anderen Initiativen und Bewegungen nahelegen möchte: Herrschaftskritik. Viel zu oft ruhen sich Menschen darauf auf, dass sie vermeintlich „die Guten“ seien und mensch solle doch nicht „überkritisch“ werden. Dann wird über dominantes Verhalten hinweggesehen, es wird an Realpolitik appelliert, die eigenen Organisierungsstrukturen bei Veranstaltungen und im täglichen Miteinander werden nicht hinterfragt, obwohl es so viele Ansätze und Ideen und Möglichkeiten gäbe. Traurig finde ich auch, wenn Anti-Atom-Initiativen Billigfrisbees „made in Taiwan“ verkaufen oder es manchen Tierrechtlern egal ist, ob die Schokolade nicht gentechnikfrei, nicht aus solidarischem Handel oder nicht ökologisch angebaut ist, solange sie nur vegan ist. Ich glaube, es würde gut tun, hier mehr über den Tellerrand zu schauen, anstatt sich innerhalb der eigenen Szene immer wieder gegenseitig zu versichern, dass mensch das Richtige tut. Produkte, die mit ungeheurem Energieaufwand hergestellt werden, am Ende aussehen wie Tintenfischringe und vegan sind, halte ich beispielsweise für bekloppten Unfug.

Hast du konkrete Aktionsvorschläge?
Ich glaube, dass der Bereich der Subversion großes Potential hat: verstecktes Theater, gefälschte Flugblätter, Überidentifikation. Mir jedenfalls macht es immer ’ne Menge Spaß, mich in sowas hineinzudenken. Und die Effekte sind schon mit wenig Menschen und geringem Materialaufwand immer wieder erstaunlich.

Aktivismus kann viel Spass machen, doch gibt es auch Rückschläge. Was motiviert dich, weiterhin Vollzeitaktivistin zu bleiben?
Eine schwierige Frage. Manchmal motiviert mich, was mich in anderen Momenten frustriert. Wenn ich Menschen darin bestärke, sich zu trauen, aktiv zu werden und Neues auszuprobieren, ist das eigentlich etwas sehr Schönes. Ich merke, dass ich Menschen Mut machen kann und sie erreiche. So stehen sie weniger ohnmächtig dem gegenüber, was sie belastet und ärgert auf dieser Welt. Andersherum ist es natürlich auch traurig, wenn von hundert Menschen, mit denen ich Workshops und Trainings mache, nur zwei übrig bleiben, die verstanden haben, warum es eben nicht ausreicht, auf dem Sofa sitzen zu bleiben und an Greenpeace zu spenden. Es gibt Phasen, in denen ich frustrierter bin, und Phasen, in denen mir meine Arbeit mehr Spaß macht. Dabei bleiben tu ich aber wohl vor allem deswegen, weil es mir alternativlos erscheint. Die Vorstellung, all das still zu schlucken und nicht wenigstens versucht zu haben, etwas zu unternehmen, ist eine ganz gruselige. Es gibt viel zu viele Menschen, die sich selbst belügen, die fliehen und den Kopf in den Sand stecken. Das mag verständlich und nachvollziehbar sein, aber ich hoffe dennoch, dass es bei mir niemals so weit kommen wird.

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