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Interview

«Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft»

Sie stehen mit Schildern vor dem Schlachthaus und erweisen den Tieren ihre letzte Ehre. The Save Movement ist eine globale Bewegung, die sich nun auch in der Schweiz ausbreitet. Dimitri Graf (TIF) hat mit dem Schweizer Koordinator Silvano Lieger gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

DIMITRI GRAF: Was ist The Save Movement und wie kam diese Bewegung zustande?
SILVANO LIEGER: The Save Movement ist ein weltweites Netzwerk aus regionalen Gruppen, die den letzten Momenten von Schweinen, Kühen, Hühnern und anderen Nutztieren auf dem Weg zur Schlachtung beiwohnen. Ziel der Bewegung ist es, ein Bewusstsein für das Schicksal dieser Tiere zu schaffen, Menschen einer veganen Ernährung näherzubringen und eine weltweite Graswurzelbewegung für Tierrechte aufzubauen. The Save Movement wurde im Dezember 2010 mit dem Aufbau des Toronto Pig Save gegründet. Heute, nach nicht einmal zehn Jahren, gibt es über 530 Gruppierungen weltweit.

Kannst du mir den Ablauf einer solchen Mahnwache beschreiben?
Der Ablauf einer Mahnwache variiert je nach Standort. Während wir beispielsweise in Zürich auf dem Schlachthofgelände die Transporter anhalten können, sind viele andere Ortsgruppen vor dem Schlachthof mit Schildern und Transparenten präsent. Können die Transporter angehalten werden, suchen wir mit den Fahrern das Gespräch und halten bei Erlaubnis den Zustand der Tiere auf Bild und Ton fest. Die Aufnahmen werden dann auf diversen medialen Kanälen verbreitet.

Oft nehmen dutzende Leute von den Tieren Abschied. | Fotos: Jamani Caillet

Du hast es angesprochen: Heute gibt es weltweit 530 Gruppierungen, alleine in der Schweiz sieben. Wie erklärst du dir diesen Erfolg?
Der Erfolg der Veranstaltungen hat aus meiner Sicht zwei Gründe. Der erste und wichtigste ist die transformative Erfahrung, die mit einer Teilnahme einhergeht. Wenn man einmal einem unschuldigen, fühlenden Lebewesen kurz vor seiner Hinrichtung in die Augen gesehen hat, ist man nie mehr wie zuvor. Es findet eine fundamentale Veränderung der eigenen Weltanschauung statt. Die Menschen kommen, weil sie die Realität der Industrie und damit die Wahrheit sehen. Sie verlassen die Veranstaltung überzeugt, diese Wahrheit mit mehr Menschen teilen zu müssen und verändern dadurch ihren Aktivismus als Ganzes.

Und der zweite Aspekt?
Der zweite Aspekt ist der starke Fokus auf Gemeinschaftsbildung. Wir sind eine Gruppe von gleichgesinnten Menschen, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen und fundamentale Werte teilen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht von unserer Gesellschaft mitgetragen werden. Die langfristige Etablierung von Strukturen, in denen die eigenen, schwierigen Emotionen angesprochen werden können und wo man sich gegenseitig unterstützt, ist ein Kernelement dieser Bewegung.

Wo gibt es Schweizer Gruppen des Save Movement?

Stand heute (März 2019) gibt es aktive Gruppen in Zürich, Basel, Luzern, St. Gallen, Thun, Schwyz und Oensingen. Einige weitere Gruppen in Lugano, Martigny und Genf sind bereits in Planung.

Wie reagieren die Schlachthof-Mitarbeiter*innen?
Einige reagieren mit Unverständnis, andere mit Aggression, wieder andere verstehen, wieso wir dort sind. Menschen kommen aus unterschiedlichen Lebenssituationen und auch wenn sie nicht in der Lage sind, sich in unsere Situation zu versetzen, begegnen wir ihnen mit Respekt und erklären, wieso wir uns für die Tiere einsetzen.

Es gab in der Schweiz wiederholt Schlachthof-Blockaden, die letzte beim Bell-Schlachthof in Oensingen SO. Wie stehst du dazu?
Grundsätzlich verurteilen wir keine Aktionen mit dem Ziel, sich für das Wohl der Tiere einzusetzen und der Thematik der Tierausbeutung gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ziviler Ungehorsam war Teil vieler erfolgreicher Bewegungen für soziale Gerechtigkeit. The Save Movement sieht dennoch von solchen Aktionen ab – unser Vorgehen basiert auf Dialog, auch mit Schlachtbetrieben. Die Überzeugungen dahinter sind allerdings dieselben: Was mit Tieren passiert, ist Unrecht. Und es ist unsere Aufgabe, unsere Stimmen dagegen zu erheben. Die Art und Weise der Umsetzung kann dabei variieren.

Eine Westschweizer Tierrechtsorganisation besetzte jüngst einen Schlachthof | Video: 269 Libération Animale – Suisse

=> Video: www.facebook.com/269liberationanimalesuisse/videos/2423484417679941

Du sagtest zu Beginn, The Save Moment sei eine Graswurzelbewegung. Was meinst du genau damit?
Als «grassroots» oder Graswurzelbewegung bezeichnet man Gruppierungen, die sich «von unten heraus» aufbauen. Es sind die normalen Bürger*innen, die eine solche Bewegung ausmachen. Das zeigt sich auch beim Save Movement. Die Teilnehmenden unserer Mahnwachen könnten unterschiedlicher nicht sein – neben Gastronomiemitarbeiter*innen stehen Bankangestellte, Ärzt*innen, Studierende, Schüler*innen und Profisportler*innen. Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft.

Habt ihr keine Bedenken, dass man euch aufgrund des friedlichen Protests nicht ernst nimmt?
Nein, im Gegenteil. Martin Luther King sprach einmal die bekannten Worte: «Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben; nur Licht kann das. Hass kann Hass nicht vertreiben; nur Liebe kann das.» Wir glauben, dass wir mit empathischem Dialog bei allen Involvierten am meisten erreichen können. Dies entspringt der Überzeugung, dass die in der Tierindustrie tätigen Menschen nicht fundamental bösartig sind – vielmehr sind sie in einem bösartigen System gefangen.

Wie haben dich diese Mahnwachen persönlich geprägt?
Wenn man vegan wird, wendet man sich durch einen Boykott aktiv gegen ein System. Die Opfer dieses Systems in regelmässigen Abständen mit den eigenen Augen zu sehen, geht einen Schritt weiter. Ich sehe es als Verpflichtung eines jeden Individuums, sich dieser Realität zu stellen und damit die eigenen Handlungen zu hinterfragen. Mich persönlich haben Mahnwachen motiviert, noch mehr Zeit in diese Bewegung zu investieren und sie allenfalls zu meiner Lebensaufgabe zu machen.

grafik_festif_21

Gespräch mit The Save Movement in Bern

Am 30. März 2019 findet das FesTIF #21 statt. Das Thema lautet: Wie weit darf oder soll die Tierrechtsbewegung gehen? Auf dem Podium mit dabei ist auch Valentina Rossel von The Save Movement.

=> Jetzt anmelden!

Kürzlich berichtete die Rundschau in ihrem Schwerpunkt über Zurich Animal Save | Video: SRF

=> Video: www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/protest-vor-dem-schlachthof-tierrechtsaktivisten-machen-mobil?id=eb6555ea-96ae-48be-bd22-d218b8389ef3

Weitere TIF-Materialien zur Schweizer Tierrechtsbewegung

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