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Agrarpolitik

Blockierter Fortschritt – Ein Rückblick auf 50 Jahre Massentierhaltung in der Schweiz

Am 25. September 2022 stimmt die Schweiz über die Initiative gegen Massentierhaltung ab. Die Initiative verlangt, dass die Vorschriften für die Haltung der Nutztiere in der Schweiz angehoben werden. Die Initiative wird von Parlament und Bauernverbänden abgelehnt. Wie kam es dazu, dass heute jegliche Fortschritte in der Nutztierhaltung vehement bekämpft werden?

Text: Tier im Fokus (TIF)

«Die Schweiz hat das strengste Tierschutzgesetz der ganzen Welt» erklärte der Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes Markus Ritter am 14. Dezember 2021 in der Debatte des Nationalrats zur Initiative gegen Massentierhaltung und stellte damit klar, dass in der Regelung der Nutztierhaltung in der Schweiz keinerlei Handlungsbedarf bestehe. Er vertritt damit nicht nur die Meinung der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen unter der Bundeshauskuppel, sondern auch eine deutliche Mehrheit in National- und Ständerat. Diese sture Blockadehaltung im Parlament hat sich jedoch erst über die letzten beiden Jahrzehnte entwickelt und kontrastiert mit einer massvollen und schrittweisen Fortentwicklung der Tierschutzvorschriften in den 70er, 80er und 90er Jahren.

Der Tierschutzartikel in der Bundesverfassung von 1973

Am 2. Dezember 1973 stimmte das Schweizer Volk mit 84% der Stimmen und allen Ständen für die Aufnahme eines Tierschutzartikels in die Bundesverfassung. Es begann damit eine neue Zeitrechnung der Nutztierhaltung in der Schweiz. Obwohl das Vereinigte Königreich (1911), Italien (1913) oder Deutschland (1933) bereits Tierschutzgesetzgebungen eingeführt hatten, gab es bis dahin in der Schweiz nur kümmerliche Vorschriften für die Nutztierhaltung. Zu nennen ist das Schächtverbot, welches mittels Volksinitiative bereits 1893 in der Bundesverfassung verankert wurde, sowie das Verbot der Tierquälerei, welches im Rahmen des neuen Strafgesetzbuches 1942 in Kraft gesetzt wurde. Der Tierschutz oblag in erster Linie den Kantonen, wobei nur die Kantone Freiburg, Genf, Waadt und Zürich über für die damaligen Verhältnisse moderne Tierschutzgesetze verfügten.

Die Einführung eines Tierschutzartikels in die Bundesverfassung war auch vor 50 Jahren nicht unumstritten, aber die Debatten dazu im Parlament waren fundamental anders als heute. Anstoss zu dieser Verfassungsrevision hatten vornehmlich die beiden Nationalräte Walter Degen (SVP, BL) und Henri Schmitt (FDP, Genf) mit ihren entsprechenden Parlamentsmotionen gegeben. Letztere führte zur Einsetzung einer Studienkommission und letztlich zum Entwurf des Bundesrates vom 15. November 1972. Ein Blick in die Protokolle der Parlamentsdebatten des Nationalrates (März 1972) und des Ständerates (Juni 1972) offenbart, dass sich die Kontroversen im Wesentlichen auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen sowie auf den Detaillierungsgrad des Artikels beschränkten. Aufgrund der Einstimmigkeit in beiden Parlamentskammern, der Unterstützung aller Parteien und des Schweizerischen Bauernverbandes kam es dann im Dezember 1973 auch zu diesem sehr positiven Abstimmungsresultat.

«Den edlen Tierschutz muss man sich etwas kosten lassen, sonst ist er nur Heuchelei»

Nationalrat Albert Rüttimann (CVP, Aargau) als Kommissionsprecher am 28. November 1977 im Nationalrat

Aufgrund des neuen Verfassungsartikels beauftragte der Bundesrat im Februar 1974 eine weitere Studienkommission mit der Ausarbeitung eines Entwurfs eines Tierschutzgesetzes, welcher er danach in die Vernehmlassung gab. Für die Haltung von Nutztieren war der Artikel zu den verbotenen Haltungsarten sowohl der wichtigste wie auch derjenige, welcher am meisten Diskussionen auslöste. In ihren Stellungnahmen äusserten sich die grosse Mehrheit der Kantone, der Parteien und der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen gegen den Vorschlag des Bundesrates, die Käfighaltung von Hühnern, das Halten von Ferkeln in Käfigbatterien, das Halten von Nutztieren im Dunkeln sowie das Halten von Kälbern auf Spaltenböden im Gesetz zu verbieten. Der Bundesrat berücksichtigte dies in seinem Entwurf vom 9. Februar 1977, was wiederum den Schweizer Tierschutz dazu veranlasste, innert kürzester Zeit eine Petition gegen die Käfighaltung von Hühnern mit 255’781 Unterschriften ans Parlament zu richten.

Die Debatten im Parlament zogen sich über vier Sessionen hin und zeigen, dass zahlreiche auch heute diskutierten Fragen (Wertschätzung des Bauernstandes, grundsätzliche Fortschrittlichkeit der Schweiz, Tierversuche, wirtschaftliche Verhältnismässigkeit, Importe von billigen Produkten aus dem Ausland) bereits damals aufs Tapet kamen. Bereits der Ständerat kam in seiner Debatte vom 22. Juni 1977 auf Artikel 4 zu den verbotenen Haltungen zurück und verschärfte diesen wieder. Ständerat Peter Knüsel (FDP, Luzern) erklärte als Kommissionsprecher, dass namentlich bestimmte Arten der Käfighaltung und der Dunkelhaltung explizit im Gesetz verboten werden sollten und der Ständerat folgte dem Antrag klar. Der Bundesrat zeigte sich mit dieser Verschärfung einverstanden und im November 1977 folgte auch der Nationalrat. Das neue Tierschutzgesetz wurde am 9. März 1978 von der Bundesversammlung verabschiedet und am 3. Dezember 1978 in der Referendumsabstimmung von 81.7% der Stimmbevölkerung deutlich gutgeheissen.

Die Durchführungsverordnung zum Tierschutzgesetz wurde im Februar 1980 in die Vernehmlassung geschickt und schlussendlich am 27. Mai 1981 vom Bundesrat beschlossen. In dieser wurden unter anderem die Käfighaltung von Hühner, das Halten von Ferkeln in Käfigbatterien, das Halten von Nutztieren im Dunkeln und das Halten von Kälbern auf Spaltenböden tatsächlich verboten. Die den Nutztierhaltern gewährten Übergangsfristen dauerten jedoch meist bis Ende 1991. Eine Übergangsfrist von sogar 12 Jahren wurde für die Einhaltung der neuen Höchstbestände (250 Mastvieh, 200 Mastkälber, 1000 Mastschweine oder 12’000 Legehennen) in der Höchstbestandesverordnung von 1979 gewährt. Noch vor Ablauf dieser Frist wurden die Höchstbestände vom Bundesrat bereits wieder um 50% erhöht.

Vollzugsprobleme im Tierschutz

Diese langen Übergansfristen führten dazu, dass es längere Zeit keinen neuen Forderungen nach fortschrittlicheren Vorschriften für die Nutztierhaltung gab. Dass das gesetzliche Mindestniveau der Nutztierhaltung jedoch für viele Bürgerinnen und Bürger nicht genügend war, äusserte sich in der Popularität von biologisch hergestellten Produkten. Bereits am 1. September 1981 wurde die Vereinigung Schweizerischer Biologischer Landbauorganisationen (heute Bio Suisse) gegründet und 1992 die erste Bio Suisse Verarbeitungsrichtlinie verabschiedet und vom Bund finanziell gefördert.

Dass der Vollzug der Tierschutzgesetzgebung nicht so verlief, wie man sich dies bei dessen Erlass gewünscht hatte, stellte die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates in seinem Bericht «Vollzugsprobleme im Tierschutz» vom 5. November 1993 mit deutlichen Worten fest und forderte in seinen 22 Empfehlungen insbesondere höhere Kompetenzen bei den Kantonen und bei den Nutztierhaltern. Gleichzeitig kamen aber auch neue parlamentarische Forderungen, die Nutztierhaltung zu verbessern (zum Beispiel Motion Hansjörg Weder (LdU, Luzern) vom 16.6.1992 zum Verbot der Haltung von Nutztieren im Dämmerlicht oder ohne Tageslicht), und insbesondere neue Richtlinien in der Europäischen Union.      

Um nicht hinter die Vorschriften im Ausland zu fallen, beschloss der Bundesrat, am 14. Mai 1997 die Tierschutzverordnung in wesentlichen Punkten zu verschärfen: Kälber durften nun nicht mehr angebunden und in geschlossenen Einzelboxen gehalten werden; harte, vollperforierte Böden für das Rindvieh wurden verboten; die Mindestmasse der Liegefläche in die Kälberhaltung wurden leicht angehoben; das Rindvieh durfte nun mindestens 90 Tage im Jahr aus dem Stall. In der Schweinehaltung wurde die Anbindehaltung und vollperforierte Böden ebenfalls verboten und die Kastenhaltung von Muttersauen auf 10 Tage beschränkt. Für die Hühnerhaltung hingegen gab es keinerlei Verbesserungen. 

Meilensteine der Vorschriften der Nutztierhaltung in der Schweiz

20. August 1893 Annahme der Volksinitiative für ein Verbot des Schlachtens ohne vorherige Betäubung.
1. Januar 1942 Das neue Strafgesetzbuch stellt Tierquälerei unter Strafe.
2. Dezember 1973 Volk und Stände sagen Ja zu einem Tierschutzartikel in der Bundesverfassung.
3. Dezember 1978 Das neue Tierschutzgesetz wird von 81.7% der Stimmbevölkerung angenommen und tritt 1981 in Kraft.
1. Januar 1980 Die Verordnung über die Höchstbestände in der Fleisch- und Eierproduktion tritt in Kraft.
1. Januar 1981 Das neue Tierschutzgesetz und die entsprechende Tierschutzverordnung treten in Kraft.
1. Juli 1997 Eine revidierte Tierschutzverordnung tritt in Kraft.
1. September 2008 Das neue Tierschutzgesetz und die neue Tierschutzverordnung treten in Kraft.

Um die Probleme im Vollzug anzugehen, beauftragte der Bundesrat noch im gleichen Jahr eine Studienkommission (Bericht Langenberger) und veröffentlichte im September 1999 einen eigenen Bericht zur Problematik. Auch die Ankündigung gleich mehrerer Volksinitiativen («Tiere sind keine Sachen», «Tierinitiative» und «Tierschutz – Ja!») bewogen den Bundesrat im September 2001 einen Entwurf für eine neues Tierschutzgesetz in die Vernehmlassung zu schicken. Bereits in den entsprechenden Erläuterungen hielt er jedoch unzweideutig fest: «Der Vorentwurf trägt den Anliegen, die von betroffenen Organisationen und von Vollzugskreisen vorgebracht werden, weitgehend Rechnung. Er hält sich aber strikte an die vom Bundesrat angegebene Leitlinie [vom September 1999], wonach das Schutzniveau der Tiere in der Schweiz weder erhöht noch gesenkt werden darf.». 

Es folgten sechs Jahre sehr intensiver Auseinandersetzungen zum Vorentwurf des Tierschutzgesetzes, zum Entwurf des Bundesrates vom 9. Dezember 2002 (2004/05 im Parlament) und zur Tierschutzverordnung (ab 2007). Sehr zur Freude der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen sollte das neue Tierschutzgesetz neu als striktes Rahmengesetz wirken und insbesondere die Vorschriften für die Nutztierhaltung lediglich in der in Aussicht gestellten Tierschutzverordnung festgehalten werden. Tierschutzorganisationen wie der Schweizer Tierschutz forderten jedoch bereits in der Vernehmlassung grundsätzlich eine Erhöhung der Schutzniveaus. Im Artikel 6 zu den Allgemeinen Anforderungen forderten Tierschutzorganisationen unter anderem einen regelmässigen Auslauf und Sozialkontakte für alle Tiere. 

«Zwar würde die Botschaft in etwa den Wünschen des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) entsprechen, erklärt Heiri Bucher, SBV, auf Anfrage. Es fehlten aber immer noch für die Landwirtschaft Kosten bremsende Elemente, wie etwa eine zwingende Koordination der Kontrollen

Schweizer Bauer, 11. Dezember 2002, Seite 5.

In den Debatten im Ständerat und Nationalrat zeigte sich erstmals ein tiefer Graben zwischen den bürgerlichen und den linken Parteien. Der bürgerlich dominierte Ständerat wollte von den Forderungen der Tierschutzorganisationen nicht wissen, beschloss hingegen am 6. Oktober 2004 den Forderungen des Bauernverbandes nachzugeben und die wirtschaftliche Tragbarkeit bei der Festlegung der Mindestanforderungen für die Nutztierhaltung zu berücksichtigen. Der Nationalrat korrigierte dies in seiner Sitzung vom 9. Juni 2005 zwar wieder (mit 99 zu 65 Stimmen, lehnte jedoch auch einen Vorschlag für mehr Freilandhaltung ebenfalls ab (98 zu 59 Stimmen). Der Bundesrat setzte sich somit im Parlament mit seiner Ausganghaltung durch, das Schutzniveau mit dem neuen Gesetz weder zu erhöhen noch zu senken. Das am 16. Dezember 2005 beschlossene Gesetz konzentrierte sich somit effektiv auf eine Verbesserung des Vollzugs und gab dem Bundesrat viel Spielraum für die Ausarbeitung der Verordnung.

Am 19. Dezember 2005 zog der Schweizer Tierschutz seine 2003 mit 117’113 gültigen Unterschriften eingereichte Volksinitiative «Tierschutz – Ja!» zurück. Die Hoffnung lag damit alleine beim Bundesrat, dass dieser eine fortschrittliche Tierschutzverordnung beschliessen werde. Tatsächlich enthielt der Entwurf des Bundesrates vom 12. Juli 2006 eine ganze Reihe von Verbesserungen der Vorschriften in der Nutztierhaltung und wurde entsprechend von den landwirtschaftlichen Interessenvertretungen in der Vernehmlassung harsch und umfassend kritisiert. Mit der am 23. April 2008 beschlossenen Tierschutzverordnung krebste der Bundesrat dann auch bei sehr zahlreichen Bestimmungen wieder zurück: Der Elektrobügel in der Rinderhaltung sollte doch bis 2028 erlaubt sein, Mutterkühe durften weiterhin angebunden werden und Rinder in der Weidehaltung musste in keiner Weise vor der Witterung geschützt werden. In der Schweinehaltung sollte der Schutz vor Hitze für Ferkel nicht gelten, Vollspaltenböden und Kastenstände nicht verboten werden. Der ständige Zugang zu Wasser und ein minimaler Schutz vor Witterung war für Ziegen und Schafe nicht mehr zwingend. Ziegen und Pferde durften wieder angebunden werden. 

Totale Blockade seit bald 20 Jahren

Dieser lange Gesetzgebungsprozess führte auf allen Seiten zu einem Gefühl von Frustration. Bürgerliche Parteien und die landwirtschaftlichen Interessenvertretungen konnten sich zwar mehrheitlich durchsetzen, mussten hierfür jedoch viel Ressourcen einsetzen. Die linken Parteien und Tierschutzorganisationen sahen sich enttäuscht von der massgeblichen Schwächung der am 1. September 2008 in Kraft gesetzten Tierschutzverordnung sowie den wiederum geltenden Übergangsfristen. 

Tierschutzkreise begannen bereits 2006 mit der Sammlung von Unterschriften für die Tierschutzanwalt-Initiative, welche jedoch am 7. März 2010 von der Stimmbevölkerung klar abgelehnt wurde. Im Mai 2014 begann eine breit aufgestellte Koalition von Organisationen mit der Sammlung von Unterschriften für die Fair-Food-Initiative. Auch diese sollte jedoch am 23. September 2018 abgelehnt werden. 

Auf bürgerlicher Seite äusserte sich der Unmut über mögliche neue Vorschriften in der von Erich von Siebenthal (SVP, Bern) am 19. März 2009 eingereichten Motion über ein «Moratorium für weitere Auflagen in der Nutztierhaltung». Die Motion verlangte vom Bundesrat, über die nächsten 20 Jahre keine neuen Auflagen im Bereich der Nutztierhaltung einzuführen. Die Motion war nur eine der sehr zahlreichen am 3. Dezember 2009 in einer Sondersession zur Landwirtschaftspolitik diskutierte Vorstösse. Das Resultat der Abstimmung offenbart jedoch den tiefen Graben, der sich im Parlament zu diesem Thema entwickelt hat. Von den bürgerlichen Parlamentariern haben sich 89 für und 41 gegen die Motion ausgesprochen, von der SP und den Grünen gab es lediglich ablehnende Voten (61). Es besteht kein Zweifel: Hätte sich der zuständige Bundesrat Johannes Schneider-Ammann (FDP, Bern) nicht gegen die Motion ausgesprochen, wäre die Motion angenommen worden. 

Die Landwirtschaft und das Parlament

Es stellt sich die Frage, wieso das bürgerlich dominierte Parlament die traditionelle Landwirtschaft dermassen fördert und sich nunmehr seit Jahren gegen jeglichen Fortschritt in der Nutztierhaltung verwehrt. In erster Linie wird hier sicher zu Recht auf den Einfluss der landwirtschaftlichen Interessenvertreter und in erster Linie der Bauernverband verwiesen. Der Bauernverband ist ausserordentlich gut in der Landwirtschaft verankert und hat mit seinen rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen vorzüglichen Zugang zur Bundesverwaltung und ins Parlament. Letzteres gelingt insbesondere durch die Koordination der sogenannten Konferenz der bäuerlichen Parlamentarier, zu welcher jeweils etwa 30 Parlamentarier zu Beginn jeder Parlamentssession eingeladen werden.

Der seit langem bestehende Einfluss der landwirtschaftliche Interessenvertreter erklärt jedoch nicht die gegenwärtige Blockade im Parlament. Insbesondere liberal gesinnte bürgerliche Parlamentarier zeigten sich früher offen für eine fortschrittliche Nutztierhaltung. Eine Rolle spielt hier zweifellos das Image, welches heute in breiten Bevölkerungsschichten über die Schweizer Landwirtschaft vorherrscht und wie es halt auch in den staatlich geförderten Medienspots im Fernsehen dargestellt wird. Die Schweizer Landwirtschaft steht heute für Familiensinn, für den lokalen Konsum, für die Wertschätzung der Natur, ja sogar patriotisch für die Schweiz als solche. Da scheint es für allzu viele Parlamentarier die Mühe nicht wert, sich auf die Feinheiten der Diskussionen einzulassen und den grossen Mehrwert einer fortschrittlichen Nutztierhaltung für die Schweizer Landwirtschaft zu aufzuzeigen.

Diese Haltung vieler Parlamentarier und Parlamentarierinnen äusserte sich auch in den Parlamentsdebatten zur Initiative gegen Massentierhaltung. In der Nationalratsdebatte am 14. und 15. Dezember 2021 stiessen die mannigfachen Aufzählungen von bestehender Defizite in der Nutztierhaltung auf der bürgerlichen Seite auf kategorische Ablehnung. «In der Schweiz haben wir das weltweit strengste Tierschutzgesetz. Unsere Tiere haben praktisch überall Familienanschluss» (Marcel Dettling, SVP, Schwyz), «Appenzell Innerrhoden, mein Heimatkanton und Lebensmittelpunkt, ist von der Massentierhaltungs-Initiative sehr stark betroffen. Milchwirtschaft, Viehzucht, naturnahe Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nehmen in meinem Kanton einen sehr hohen Stellenwert ein. […] Das Letzte, was wir im Appenzell brauchen, sind neue, unnötige Regulierungen» (Thomas Rechsteiner, Mitte, Appenzell Innerrhoden) oder «Voilà une nouvelle initiative qui vise à nouveau la paysannerie suisse.» (Simone de Montmollin, FDP, Genf). Der Nationalrat wie auch der Ständerat (2. März 2022) lehnten sowohl die Initiative wie auch einen direkten Gegenvorschlag – wie es ihn der Bundesrat als Kompromiss vorgeschlagen hat – deutlich mit 111 zu 60 (Nationalrat) sowie 32 zu 8 (Ständerat) Stimmen ab. 

Der Bundesrat bekundete in seiner Botschaft vom 19. Mai 2021 durchaus Handlungsbedarf: «Die mit der MTI verfolgten Ziele entsprechen der Stossrichtung, die auch der Bundesrat bei Tierschutz verfolgt». Der direkte Gegenvorschlag hätte denn auch die in der Initiative geforderte Erhöhung der Tierschutzniveaus weitgehend übernommen. Die Einfuhr von Tieren und Tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken wollte er jedoch nicht einschränken.

Was ist zu tun?

Über die letzten 50 Jahre hat sich die politische Diskussion zur Nutztierhaltung in der Schweiz wesentlich gewandelt. Wo früher Kompromisse ausgehandelt wurden, herrscht seit einigen Jahren eine Blockade. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu dieser Frage widerspiegeln nicht mehr den Willen der Bevölkerung. Es ist daher mehr als offensichtlich, dass das Volk korrigierend eingreifen muss und ein grosser Lichtblick, dass wir am 25. September 2022 an der Urne unseren Willen äussern können.

Darüber hinaus gilt es jedoch auch, die Blockade im Parlament selber zu lösen. Die linken Parteien im Parlament sind hierfür nicht genügend stark. Es ist daher unumgänglich, im Parlament diejenigen Stimmen zu unterstützen, welche sich in den bürgerlichen Parteien für eine fortschrittliche Nutztierhaltung einsetzen. Am 22. Oktober 2023 werden der National- und Ständerat neu gewählt. Es ist die nächste Gelegenheit, tierschutzfreundlichen Personen in allen Parteien eine Stimme zu geben. [1]

[1]  Die Website https://tierparlament.ch gibt viele nützliche Informationen, über wer sich im Parlament für Tierschutz einsetzt.

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