29Nov 16
Nutztierhaltung
Die Beschönigung der Tierhaltung aufbrechen
Die Kritik an der industriellen Tierproduktion wächst. Als Reaktion servieren uns die Lobby-Verbände eine heile Welt. Friederike Schmitz über die Strategien der Öffentlichkeitsarbeit einer Branche in der Krise.
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Obwohl immer mehr Informationen über das Leid der Tiere in der Nutztierhaltung zur Verfügung stehen, kaufen und verzehren die meisten Menschen noch die Produkte dieser Wirtschaftsbranche. Häufig wird so getan, als ob es sich dabei um den Ausdruck eines quasi naturgegebenen Wunsches nach Fleisch handelte, um die Manifestation eines authentischen Volkswillens, der nach Wurst, Joghurt oder Rührei verlangt und von einer pflichtbewussten Tierwirtschaft befriedigt werden muss.
Das ist falsch. Der vermeintliche «Bedarf» ist zu einem wichtigen Teil gemacht, und zwar von der Tierwirtschaft selbst, die dabei vom Staat unterstützt wird.
Imagewerbung der Tierwirtschaft
Proviande, die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, gibt Millionen für die Förderung eines positiven Images von Fleisch und damit zur Förderung des Absatzes von Schweizer Fleisch und Fleischwaren im In- und Ausland aus. [1] Ebenso bemüht sich die Marketingorganisation Swissmilk um eine Positivdarstellung ihrer Produkte. Sie wollen damit der wachsenden Kritik an der Tierhaltung etwas entgegen setzen – eben weil sie befürchten, dass der Konsum der Produkte sinken könnte, wenn die Menschen das Vertrauen in die Tierhaltung verlieren. Fleisch verkauft sich nur deshalb noch so gut, weil mit riesigem Aufwand die furchtbare Realität des Umgangs mit Tieren verharmlost wird. [2][3][4] Wenn man sich die Broschüren und Werbematerialien der Schweizer Tierwirtschaft anschaut, lassen sich ganz ähnliche Strategien der Öffentlichkeitsarbeit feststellen, wie sie auf der Seite agrarlobby.de im Hinblick auf deutsche Lobbyverbände beschrieben werden.Beschönigende Beschreibung
Die Bedingungen in den Ställen werden systematisch beschönigt. Das geschieht, indem zum Beispiel wichtige Tatsachen weggelassen werden und alles vage und positiv beschrieben wird – in dem Heftchen «Vom Schwein» von Proviande wird zum Beispiel behauptet, dem Tierschutz werde grosse Bedeutung zugemessen und es bestehe Transparenz durch eine strikte Tierverkehrskontrolle. Vom geringen Platz in den Ställen, vom Spaltenboden oder von den körpergrossen Käfigen, in denen die Muttersauen eingezwängt werden, ist dagegen keine Rede; ein Bild zeigt saubere Schweine auf Stroh. [5] Daneben arbeitet die Tierindustrie mit typischen Mythen, wie dem Mythos des Zusammenhangs von Tierwohl und Leistung – in der Broschüre über Hühnerfleisch wird behauptet, das Wohlbefinden der Tiere sei den Produzenten ein Anliegen. Denn nur so gebe es erstklassiges Fleisch. Tatsächlich geht es in der Hühnermast darum, Tausende von Tieren in kürzester Zeit auf ihr Schlachtgewicht zu mästen. Krankheiten wie Fussballenentzündung und Ganganomalien sowie eine Verlustrate von Tieren, die in den Anlagen qualvoll verenden, sind bereits wirtschaftlich einkalkuliert. [6]Fortschrittsversprechen
Sehr beliebt ist auch das Fortschrittsversprechen: Wenn es schwer ist, die Menschen davon zu überzeugen, dass es allen Tieren gut ginge, dann wird gesagt, es sei vielleicht nicht perfekt, aber es sei immerhin besser als woanders, besser als in der Vergangenheit und es würde in Zukunft noch besser werden. In der Schweiz heisst es immer wieder, hierzulande gelten viel strengere Gesetze als in anderen Ländern. Ausserdem seien Sonderprogramme aktiv, d.h. dass z.B. 50 Prozent der Schweine «Auslauf» hätten oder die meisten Hühner in «besonders tierfreundlicher Stallhaltung» leben. Wie so ein Auslauf genau aussieht und dass die paar zusätzlichen Quadratmeter weit davon entfernt sind, den Schweinen natürliche Verhaltensweisen wie das Wühlen oder ein Ausleben ihrer Neugier zu ermöglichen, wird natürlich nicht gesagt. Auch ein paar Sitzmöglichkeiten machen aus einer Halle für Tausende von Hühnern, wo 17 Hühner sich auf einem Quadratmeter drängen, keinen «artgerechten» Lebensraum. Auch Tierschutz- und Marketingkampagnen können dazu beitragen, die Idee zu stützen, die Tierhaltung sei auf fortwährendem Verbesserungskurs und den Tieren würde es immer besser gehen – obwohl sich tatsächlich an den Grundbedingungen ihrer Ausbeutung so gut wie nichts ändert. [7] Aber das Versprechen soll die KritikerInnen beruhigen: «Regt euch nicht auf, wir arbeiten daran.»Der Tierindustrie vertrauen
Damit die geschönten Darstellungen, die Mythen und Versprechungen überzeugen können, ist eines besonders wichtig: Vertrauen. Die KonsumentInnen dürfen in der Fleischwirtschaft keine dunkle böse Industrie sehen, sondern eine Branche, der sie vertrauen können. Deshalb wird so viel von Transparenz geredet. Und deshalb gibt es zunehmend Programme, die die KonsumentInnen in direkten Austausch mit den TierhalterInnen bringen sollen. Gesponsert von Lidl nahmen im April 2016 über 300 Bauern an der «Stallvisite» teil und luden Menschen auf ihre Höfe ein. Die Idee: Sympathische TierhalterInnen führen durch aufgeräumte Ställe und reden über Tierwohl. Nicht vermittelt wird dabei, dass es in Wirklichkeit nicht immer so aussieht, und auch dass eine Praxis, die von netten Leuten vertreten wird, nicht unbedingt richtig ist – und wie es den Tieren wirklich geht, fragt niemand. Darauf würde es keine unabhängige Antwort geben. [8][9]Verzerrte Bilder berichtigen
In Anbetracht dieser Image-Massnahmen kann man nicht davon sprechen, dass die Menschen beim Fleischkauf ihre ureigensten Wünsche frei ausdrücken. Die Petition von Tier im Fokus (TIF) setzt hier an: Sie will die verzerrten Bilder berichtigen und den beschönigten Darstellungen der Tierwirtschaft ein bisschen Realität entgegen setzen. Es wäre sehr interessant zu sehen, wie sich das Kaufverhalten verändert, wenn die geforderten Fotos auf den Fleischverpackungen abgedruckt würden. Die VerbraucherInnen würden in ihren Entscheidungen etwas freier sein, könnten sie doch sehen, was sie mit ihrem Kauf unterstützen. Damit wäre noch lange nicht alles gut – denn die Tiere blieben noch immer unfrei. Sie können nicht entscheiden, ob sie mit oder ohne «Auslauf» oder ganz anders leben wollen – z.B. auf einem Lebenshof, wo sie nicht nach ein paar Wochen oder Monaten umgebracht werden. Es ist wohl ziemlich klar, wofür sie sich entscheiden würden, wenn sie könnten. Das sollte eigentlich auf den Fleischverpackungen ebenfalls draufstehen. Friederike Schmitz ist Philosophin und arbeitet beim Portal www.agrarlobby.de mit.Unsere Petition gegen Etikettenschwindel fordert realistische Fotos auf allen Fleischpackungen. Jetzt unterzeichnen! >> www.tier-im-fokus.ch/fleischpackung
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