16
Interview

„Tierschutz gehört in die Politik!“

Für 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung sei Tierschutz ein wichtiges Anliegen. Aber ist es deswegen schon ein politisch dringliches Thema? Die 2010 gegründete Tierpartei Schweiz (TPS) meint ja. Und will bereits diesen Oktober ins Parlament. tier-im-fokus.ch (tif) hat mit dem TPS-Kandidaten Fredy Züger über Ziele, Strategien und Chancen seiner Partei gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Für 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung sei Tierschutz ein wichtiges Anliegen. Aber ist es deswegen schon ein politisch dringliches Thema? Die grossen Tierschutzvereinigungen geben sich hierzulande jedenfalls parteipolitisch neutral, und das ganz bewusst. Für Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz STS ist der Tierschutz in erster Linie ein gesellschaftliches Problem und nicht eine Sache von links oder rechts: „Die Politik und der Staat alleine können es im Tierschutz nicht richten“, sagt Huber. Deshalb sei es wichtig, tierschützerische Massnahmen auch auf den Markt und das Konsumverhalten der Bevölkerung zu konzentrieren.

Das sehen die ExponentInnen der 2010 gegründeten Tierpartei Schweiz (TPS) anders. Für sie gehört der Tierschutz unbedingt ins Parlament: „Es braucht offensichtlich einen Wandel in der Politik. Es darf nicht sein, dass die Steuergelder weiterhin für die finanziellen Interessen kleiner Berufsgruppen verschwendet werden und gleichzeitig damit die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung aufs Spiel gesetzt wird“, sagt Renato Pichler, TPS-Vizepräsident und zugleich Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus (SVV).

Dass ein parteipolitisches Gegengewicht notwendig ist, um die Stellung der Tiere zu verbessern, ist auch die Meinung von TPS-Vorstandsmitglied Fredy Züger. Er ist einer der KandidatInnen, die diesen Oktober in den Kantonen Bern, Zürich, Solothurn und Luzern bei den Nationalratswahlen antreten werden. Die Chancen für den einen oder anderen Sitz seien zwar gering, aber intakt: Die inzwischen 800 Mitglieder zählende Partei benötigt im Kanton Bern 3 Prozent der Stimmen, im Kanton Zürich etwas über 2 Prozent.

Doch wieso eigentlich braucht es eine solche Partei, welches sind ihre Ziele und wie will man sie umsetzen? tier-im-fokus.ch (tif) hat sich mit Fredy Züger zu einem Gespräch getroffen.

Fredy Züger

TIER IM FOKUS: Herr Züger, wieso brauchen wir eine Tierpartei Schweiz (TPS)? Immerhin haben wir eines der besten Tierschutzgesetze der Welt, heisst es immer wieder…
FREDY ZÜGER: Das mag auf unsere Haustiere zutreffen, die Katzen und Hunde. Bei den Nutztieren sieht das schon anders aus. Die meisten Leute wissen nicht, wie die industrielle Tierproduktion funktioniert, sonst würden sie wohl kein Fleisch mehr essen, keine Milch trinken und auch keine Eier konsumieren. Es ist unsere Aufgabe, bei der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass es trotz Tierschutzgesetze immer noch Probleme gibt.

Wäre es da nicht besser, auf bereits gewählte ParlamentarierInnen anderer Parteien zu wirken?
Für die bestehenden Parteien ist der Tierschutz nur ein Thema nebst vielen. Das gilt auch für linke und grüne Parteien. Sie sind der Sache gegenüber zwar aufgeschlossener. Doch haben sie andere Anliegen, mit denen sie an die Öffentlichkeit gehen. Dass sie sich noch mit Tierschutz befassen, wird so gar nicht wahrgenommen. Genau das wollen wir ändern. Die Bevölkerung soll wissen, dass es eine Partei gibt, die den Fokus auf den Tierschutz legt – und die daran erinnert, dass Tiere nicht einfach nur eine Sache sind, ein Nahrungsmittel. Bei der Fülle der Themen, die andere Parteien auf ihrer Agenda haben, geht das leicht verloren.

Eine andere Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, besteht darin, mit Infoarbeit und Kampagnen die VertreterInnen aus der Wirtschaft für den Tierschutz zu gewinnen.
Das stimmt. Und wir haben in der Schweiz ja bereits Organisationen mit sehr viel Geld, die das hochprofessionell machen. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder politische Entscheide, die für den Tierschutz schlecht sind – wie etwa die Ablehnung des Pelzimportverbotes oder die Abschaffung des Stacheldrahtverbotes. Da braucht es ein parteipolitisches Gegengewicht.

Ihre Partei will sich, wie Sie sagen, über das Thema Tierschutz profilieren. Nun fällt auf, dass viele der TPS-Vorstandsmitglieder und NationalratskandidatInnen gar nicht vom Fach sind. Wo holt sich diese Spezialpartei ihr Spezialwissen?
Wir haben einige Kontakte und können so vom Know-how anderer Organisationen profitieren. Aber natürlich würden wir es begrüssen, wenn Fachleute bei unserer Partei mitmachen. Bisher sind sie vorsichtig, ich denke, sie warten noch ab, in welche Richtung sich die Partei entwickelt. Was wir zwar schade finden, aber verstehen können.

Wäre es denn mit Blick auf die Wahlen nicht wichtig gewesen, sich vorgängig gut zu vernetzen?
Sicher, aber dazu hat es in dieser kurzen Zeit einfach nicht gereicht. Man muss bedenken: Die TPS gibt es erst seit 2010, der jetzige Vorstand hat sich im April dieses Jahr gebildet. Aber es wird bestimmt ein Ziel der nächsten Jahre sein, Arbeitsgruppen zu bilden, um möglichst viele Tierschutz-ExpertInnen in unsere Partei zu integrieren.

Die TPS betont nach aussen immer wieder, sie sei gemässigt. Schaut man sich das Positionspapier genauer an, gibt es da aber durchaus „radikale“ Forderungen. Zum Beispiel verlangt Ihre Partei die Abschaffung aller Tierversuche…
Richtig. Wir denken, dass Tierversuche sinnlos sind, weil es entweder Alternativen gibt oder weil die Resultate nicht auf den Menschen übertragbar sind. Das sehen die meisten Leute so: Sie sind der Vivisektion gegenüber negativ eingestellt, sind nicht einverstanden mit dem, was da abläuft. Mit anderen Worten: Dieses Thema ist – wie auch die Sache mit den Pelzen – mehrheitsfähig. Das ist beim Fleischkonsum anders. Würden wir ihn verbieten wollen, hätten wir 95 Prozent der Bevölkerung gegen uns, wir würden nie und nimmer eine Mehrheit finden.

Heisst das nun, dass die Ernährungsfrage für die TPS keine politische Angelegenheit ist?
Wir setzen uns ja auch für Nutztiere ein, und da ist die Ernährung ganz klar ein Thema. Im Übrigen sind viele der TPS-Vorstandsmitglieder VegetarierInnen. Nur wollen wir uns nicht schon am Anfang auf die Äste lassen und von den Leuten fordern, kein Fleisch mehr zu essen. Denn dann sind wir genau an dem Punkt, wo man uns in eine „radikale“ Ecke drängen kann. Man würde uns nicht mehr ernst nehmen, niemand würde mit uns Listenverbindungen eingehen wollen, wir könnten gar nicht ins Parlament einziehen – und hätten also nichts erreicht! Wir müssen schrittweise vorgehen.

Konkret?
Man muss sich zum Beispiel die Schlachtmethoden genauer anschauen. Es ist bekannt, dass die Methode mit den Bolzenschüssen nicht sauber funktioniert, viele Tiere werden unzureichend betäubt. Natürlich ist es eine Realität, dass Tiere geschlachtet werden, daran kann auch die Tierpartei nichts ändern. Es muss aber ausgeschlossen werden, dass diese Tiere noch lange leiden müssen. Das ist ein erster Schritt.

Aber in welche Richtung? Man könnte genauso gut sagen: Werden sie „human“ geschlachtet, beruhigt das bloss unser schlechtes Gewissen und wir lassen weiter für unseren Gaumenkitzel Tiere töten…
Wie gesagt, das ist ein erster Schritt. Nach und nach wird es darum gehen, die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht normal sein kann, dermassen viel Fleisch zu konsumieren. Das haben wir auch in den Statuten und in unserem Positionspapier so festgehalten: Es geht zuerst einmal um eine tiergerechte Produktion, in einem zweiten Schritt sollen Alternativprodukte gefördert, vielleicht sogar subventioniert werden. Wir müssen einfach weg von dieser industriellen Tierproduktion, die einzig auf den Profit schaut und im Tier nur noch eine Handelsware sieht. Das muss aufhören.

Nun ist „tiergerecht“ oder „artgerecht“ ein ziemlich schillerndes Etikett, dem sich auch die Tierindustrie gerne bedient. Was versteht denn die Tierpartei darunter?
Auch das muss man im Rahmen einer Politik der kleinen Schritte sehen! Zunächst weg von der Massenproduktion hin zu einer Landwirtschaft, die unter biologischen Bedingungen produziert. Obschon – aber das ist jetzt meine persönliche Meinung – auch „Bio“ nicht immer ein Garant ist. Was den Lebenszyklus eines Tieres angeht, ist es bei Bio wohl ein wenig besser, im Grossen und Ganzen ist der Endeffekt aber derselbe: Es geht auch dort um Profit, und auch dort landen die Tiere in der Metzgerei. Kommt hinzu, dass inzwischen jeder sein eigenes Bio-Label hat und niemand mehr weiss, wofür es eigentlich steht. Auch das wird ein Thema der TPS sein: Es braucht einheitliche Labels mit klaren Richtlinien.

Tatsächlich gibt es innerhalb Ihrer Partei bezüglich „tiergerechter Haltung“ unterschiedliche Auffassungen. Daniel Schild, der für die TPS in den Nationalrat will, sagte kürzlich, ihm sei die Anbildehaltung von Rindern „nicht unbedingt“ ein Dorn im Auge.
Auch wir waren über diese Aussage alles andere als erfreut und wir werden uns demnächst öffentlich davon distanzieren. Das ist natürlich nicht, was die Tierpartei fordert.

Trotzdem, könnte das auch ein Zeichen dafür sein, dass die TPS einfach noch nicht bereit ist für die grosse politische Bühne?
Wir konnten mit unseren Mitteln nur einen rudimentären Wahlkampf führen. Und das mit einer Gruppe von Leuten, die rasch zusammengesetzt werden musste. Das ist sicher nicht optimal, und es stimmt: Zum jetzigen Zeitpunkt kommen die Parlamentswahlen für uns zwei Jahre zu früh. Aber wir sind noch eine junge Partei und werden aus unseren Fehlern lernen.

Die Tierpartei Schweiz (TPS) wurde Ende Juli 2010 in Zürich gegründet. Präsident der TPS ist Thomas Märki, als Vizepräsident amtet Renato Pichler von der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus (SVV). Getreu dem Motto „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, dass leben will“ (Albert Schweitzer) bekennt sich die Partei gemäss Positionspapier zu einer ethischen, auf Nachhaltigkeit und Respekt gegenüber allem Leben basierenden Grundhaltung. Nach eigenen Angaben zählt die TPS bisher um die 800 Mitglieder.

Beteilige dich an der Diskussion

6 Kommentare

Daniel Schild
vor 12 Jahre

Hallo zusammen. Besucht den Stand von der Tierpartei in Bern. 24.09.2011 ab 10.00 Uhr und 01.10.2011 gleiche Zeit. Wir sind bei der Heiliggeistkirche.
Mirjam und ich und alle Helfer freuen sich

Beat Stocker
vor 12 Jahre

Fredy, ich bin ja voll und ganz einverstanden was Du schreibst, so gehe auch ich vor. Aber wenn
man den Vegetarismus (als Fernziel) ins Programm nimmt muss das nicht heissen, dass man ihn die ganze Zeit predigt.

Fredy Züger
vor 12 Jahre

Hallo Beat, keine Angst. Dafür sind Renato und ich im Vorstand. Nur eine rein vegane Partei macht derzeit keinen Sinn. Wir würden nicht mal in die Nähe eines Sitzes kommen. Politik ist Lobbying und Taktik. Sich mit Maximalforderung gleich mal ins Abseits zu stellen kann ja nicht das Ziel sein oder ? Würdest Du ehrlicherweise wohl kaum anderst machen ? Schön wenn Du uns Deine Stimme geben würdest 🙂

Beat Stocker
vor 12 Jahre

Wenn die TPS das wunderschöne Zitat von Albert Schweitzer ernst nehmen würde, müsste in ihrem Parteiprogramm zumindest der Vegetarismus als Fernziel stehen (dann müsste man den Leuten das Fleischessen nicht verbieten, sondern sie dorthin lenken).
Beat

Tierpartei
vor 12 Jahre

Hallo Corina

Es ist schön, dass Sie eine sehr aufmerksame Leserin unserer Webseite sind. Gerne beantworte ich Ihnen auch die Frage, weshalb der Beitrag von Herrn Züger gekürzt wurde.

Wir haben oben erwähnten Beitrag angepasst, da der Umstand, dass er sich seit einigen Monaten vegan ernährt und sein diesbezügliches Wohlbefinden nichts mit der Beantwortung der Frage zu tun hat, weshalb er bei der Tierpartei mitmache.

Zudem schreiben wir auch bei keinen anderen Kandidierenden, wie sie sich ernähren, da dies kein Kriterium für eine Vereins-Mitgliedschaft oder das persönliche Engagement innerhalb der TPS und innerhalb der Politik als solches ist.

Ich hoffe, Ihre Frage damit zufriedenstellend beantwortet zu haben.

Mit freundlichem Gruss
Thomas Märki, Tierpartei Schweiz (TPS)

Ähnliche Beiträge

Unser Menu für die Festtage
Weiterlesen

Unser Menu für die Festtage

Weiterlesen
Die Stimme der Tiere
Weiterlesen

Die Stimme der Tiere

Weiterlesen
Grün, Rot, Vegan: Die Parteien der Schweiz kochen auf
Weiterlesen

Grün, Rot, Vegan: Die Parteien der Schweiz kochen auf

Weiterlesen
Der Tierschutz steckt in der Krise – was nun?
Weiterlesen

Der Tierschutz steckt in der Krise – was nun?

Weiterlesen
One animal, one vote? Eine kleine Einführung in die Tierpolitik
Weiterlesen

One animal, one vote? Eine kleine Einführung in die Tierpolitik

Weiterlesen
Vegan Barometer 2022
Weiterlesen

Vegan Barometer 2022

Weiterlesen
Comment se présente le mouvement végane ?
Weiterlesen

Comment se présente le mouvement végane ?

Weiterlesen
Wie tickt die vegane Community?
Weiterlesen

Wie tickt die vegane Community?

Weiterlesen
Tierschutzmeldung
Weiterlesen

Tierschutzmeldung

Weiterlesen