«End the Cage Age»: Die Bürgerinitiative und ihre Bedeutung für die Initiative gegen Massentierhaltung
1.397.113 validierte Unterschriften wurden für die Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» in der ganzen Europäischen Union gesammelt. Nun gab die Europäische Kommission grünes Licht für eine neue Gesetzesgrundlage.
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Im Sommer vor zwei Jahren waren sie nicht zu übersehen: In dutzenden von kleinen und grösseren europäischen Städten hatten Tierschutzorganisationen ihre Stände aufgebaut, um in einem letzten Effort noch möglichst viele Unterschriften für die sogenannte Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» zu sammeln. 170 Tierschutzorganisationen hatten sich für die Sammlung der Unterschriften der Europäischen Bürgerinitiative von Compassion in World Farming (CIWF) angeschlossen, welche diese im Herbst 2018 lanciert hatte. Léopoldine Charbonneaux, Hauptverantwortliche bei CIWF für die Initiative erklärte am 21. Januar 2019:
«La cage est le symbole de l’élevage intensif et l’une de ses pires pratiques. Il est grand temps d’y mettre fin. D’autres méthodes existent. Encourageons les tous ensemble, en signant cette ICE contre les cages, en réduisant nos consommations et choisissant des produits plus respectueux des animaux, de notre santé et de notre planète.»
Europäische Bürgerinitiativen haben im Gegensatz zu Volksinitiativen oder Gesetzesreferenden in der Schweiz keinen verpflichtenden Charakter. Aufgrund der sehr restriktiven Bedingungen (mindestens 1’000’000 validierte Unterschriften aus mindestens sieben verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, lediglich sechs solcher Initiativen waren bisher erfolgreich) und der grossen Publizität dieser Bürgerinitiativen ist es der Europäischen Kommission politisch kaum möglich, diese zu ignorieren. Die Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» wurde am 8. Oktober 2019 anlässlich einer grossen Veranstaltung auf dem inmitten der EU-Institutionen gelegenen Rond-Point Schuman symbolisch der Europäischen Kommission übergeben.
Text der Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age»Hunderte Millionen von Nutztieren in der EU werden für den größten Teil ihres Lebens in Käfigen gehalten. Das verursacht großes Leid. Wir fordern die Europäische Kommission auf, diese unmenschliche Behandlung von Nutztieren zu beenden. Käfighaltung fügt jedes Jahr einer enormen Zahl von Nutztieren großes Leid zu. Käfighaltung ist grausam und unnötig, da eine tiergerechtere Haltung ohne Käfige rentabel möglich ist. Die Kommission wird daher ersucht, Rechtsvorschriften vorzuschlagen, wonach Folgendes verboten wird:
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Am 10. Juni 2021 diskutierte das Europäische Parlament die Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» im Plenum und verabschiedete überdeutlich mit 558 zu 37 Stimmen eine Resolution. Diese Resolution fordert die Kommission dazu auf «dafür zu sorgen, dass die Forderungen, die in der Europäischen Bürgerinitiative „Schluss mit der Käfighaltung“ erhoben werden […] ordnungsgemäß umgesetzt werden». Aufsehenerregend und für den Fortlauf dieser Initiative wesentlich ist die parteiübergreifende Unterstützung dieser Initiative. Denn obwohl es der Europäischen Kommission obliegt, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, muss dieser danach auch vom Europäischen Parlament gutgeheissen werden.
Klares Bekenntnis der Kommission
Mit diesem klaren Votum aus dem Europäische Parlament war es der Europäischen Kommission kaum mehr möglich, der Initiative im Grundsatz nicht ebenfalls zuzustimmen. Die zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides erklärte denn auch am 30. Juni 2021:
«Unser Ziel steht fest: Die schrittweise Beendigung der Käfighaltung landwirtschaftlicher Nutztiere wird Teil unserer Maßnahmen im Rahmen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ sein und zu nachhaltigeren Agrar- und Lebensmittelsystemen führen.»
In ihrer ausführlichen formellen Mitteilung vom 30. Juni 2021 verpflichtet sich die Europäische Kommission, bis Ende 2023 einen Legislativvorschlag vorzulegen, um die Verwendung von Käfigsystemen für alle in der Initiative genannten Tiere schrittweise zu beenden und schliesslich zu verbieten. Der Kommissionsvorschlag betrifft insbesondere Tiere, die bereits von den Rechtsvorschriften erfasst sind (Legehennen, Sauen und Kälber) sowie weitere in der Initiative genannte Tiere (Kaninchen, Junghennen, Masthähnchen, Legetiere, Wachteln, Enten und Gänse).
Zur Umsetzung der Initiative wird die Europäische Kommission spätestens im ersten Quartal 2022 eine öffentliche Konsultation einleiten, und bis Ende 2022 eine Folgenabschätzung zur Bestimmung eines angemessenen Übergangzeitraums durchführen. Der Legislativvorschlag wird sich auch auf wissenschaftliche Gutachten stützen. Der formelle Gesetzesvorschlag sollte 2023 vorliegen.
Bedeutung für die Initiative gegen Massentierhaltung
Auch wenn die Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» nicht so weit geht wie die Initiative gegen Massentierhaltung, ist diese für die Schweiz vielbedeutend. Der Bundesrat hat diese bekanntlich am 19. Mai 2021 abgelehnt. In seiner Botschaft ans Parlament schreibt er unter anderem: «Unter der Annahme, dass die Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln konstant bleibt, könnten die Preise für einheimische und importierte landwirtschaftliche Lebensmittel tierischer Herkunft steigen, was Anreize schaffen würde, vermehrt direkt im grenznahen Ausland einzukaufen.»
Der Bundesrat spielt damit auf einen sensiblen Punkt bei der Schweizer Bevölkerung ab, denn diesem ist das eigene Portemonnaie doch immer sehr nahe. Der Bundesrat blendet in seiner Botschaft jedoch Entwicklungen im Ausland aus; mit keinem Wort werden die Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» oder andere Entwicklungen erwähnt. Dieses Versäumnis ist schwerwiegend und lässt ihn die falschen Schlüsse ziehen. Wenn die Schweiz die Initiative gegen Massentierhaltung annimmt und umsetzt während die EU die Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» umsetzt, werden die Tierwohlstandards gleichzeitig erhöht. Mit der gleichzeitigen Anpassung der Tierwohlstandards würden die Anreize nicht verändert und die Schweizer Landwirte würden keine Marktanteile ans Ausland verlieren.
Die Initiative gegen Massentierhaltung wird Anfang September 2021 erstmals in der zuständigen Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates diskutiert. Den Mitgliedern ist zu empfehlen, sich nicht nur auf die Botschaft des Bundesrates zu stützen, sondern für ihre Meinungsbildung auch die Entwicklungen in der Europäischen Union zu berücksichtigen.
1 Kommentar
„Käfighaltung fügt jedes Jahr einer enormen Zahl von Nutztieren großes Leid zu. Käfighaltung ist grausam und unnötig, da eine tiergerechtere Haltung ohne Käfige rentabel möglich ist.“
Das ist genau das Problem solcher Initiativen. Sie verleiten die Leute dazu zu glauben, dass der Begriff „tiergerechte Haltung“ kein Oxymoron sei. Als Tierrechtler sollte man sich aber davor hüten, den Eindruck zu erwecken, dass alles andere als die vollständige Abschaffung der sogenannten „Nutztierhaltung“ auch nur im Entferntesten akzeptabel sei.
„Der Bundesrat blendet in seiner Botschaft jedoch Entwicklungen im Ausland aus; mit keinem Wort werden die Europäische Bürgerinitiative «End the Cage Age» oder andere Entwicklungen erwähnt.“
Dies sind keine Entwicklungen, sondern lediglich Neumanifestationen des status quo: Dass Tierschützer und Tierfreunde der Ansicht sind, Tierausbeutung sei vertretbar, solange sie unter „ethischen“ Bedingungen stattfinde. Zu erklären, dass und wieso dies nicht der Fall ist, obliegt uns Tierrechtlern/Veganern. Wenn wir es nicht tun, macht es niemand.