Mehr Auslauf, mehr Labels – mehr Tierwohl?
"Fleisch und Eier aus tierfreundlicher Label-Produktion sind bei den Konsumenten immer beliebter", lautet das Fazit einer neuen Umfrage des Schweizer Tierschutz STS. Das sei ein positiver Trend. Aber Tierschutzverbesserungen und ihre ökonomische Verwertung sind nichts Neues, das hat Tradition. Für die Tiere selbst hat sich dadurch aber nichts Grundlegendes verändert, meint Martin Pätzold. Ganz anders sieht das Hansuli Huber, Geschäftsführer des STS. In seiner Antwort auf Pätzold begründet er, weshalb die Formel "mehr Auslauf, mehr Labels, mehr Tierwohl" für ihn durchaus zutrifft.
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„Fleisch und Eier aus tierfreundlicher Label-Produktion sind bei den Konsumenten immer beliebter“, so das Fazit einer Umfrage des Schweizer Tierschutz (STS). Die Verbraucher fragen bei Fleisch und Eiern verstärkt nach Produkten, deren Herstellung sich besonderer Tierschutzstandards rühmt. Mutterkuhhaltung oder Auslauf sind die Schlagworte.
Ein positiver Trend, heisst es. Aber Tierschutzverbesserungen und ihre ökonomische Verwertung als Werbung sind nichts Neues. Das hat Tradition, doch für die Tiere hat sich bisher nichts grundlegend verändert.
Die Käfige werden ausgetauscht, die Tiere bleiben
Gerade bei Eiern gilt die Schweiz als Vorbild, sind die herkömmlichen Legebatterien doch bereits seit 1992 verboten, während Österreich und Deutschland erst 2009 und 2010 nachgezogen haben und der Rest Europas sich das Jahr 2012 als Ziel gesetzt hat. Dabei haben Länder wie Spanien, in denen die Eierproduktion immer noch zu über 90 Prozent durch Legebatterien erfolgt, inzwischen signalisiert, dass sie die Umstellung in diesem Zeitraum nicht schaffen werden.
1992 war vor fast 20 Jahren. Doch was hat sich grundsätzlich geändert?
Das Kernproblem am Eikonsum sind nicht die Quadratzentimeterzahlen der Käfige, auch nicht, ob es viele kleine Käfige sind oder ein grosser (auch die „Freilandhaltung“ endet am Zaun), sondern die Tatsache, dass die Hühner eingesperrt und getötet werden.
Nach 18 Monaten hat eine Henne, die als weibliches Küken geboren wurde, ausgedient, obwohl sie 12 Jahre alt werden könnte. War es ein männliches Küken, liegt seine Lebenserwartung bei wenigen Stunden. Die Labels jedoch bewerben nur „Freilandhaltung“, ein Label für „tierfreundlich vergaste Küken“ findet sich bisher auf keiner Eierpackung.
Tierfreundliche Produkte und der Konsum
Manche Tierschützer stimmen daher zu, dass das langfristige Ziel ein Ende der Tiernutzung sein muss. Zugleich sind sie der Ansicht, dass Reformen – wie das Verbot der Legebatterien – ein Schritt in die richtige Richtung seien.
Ein Fortschritt hin zu weniger Tiernutzung ist mit diesem „Reformismus“ bisher allerdings nicht eingetreten. Die Anzahl der Legehennen ist seit 1992 nach einem kurzen Einknicken unverändert geblieben, für den Pro-Kopf-Konsum von Eiern gilt dasselbe. Ein Ende des Systems ist bei solchen Zahlen nicht in Sicht.
Die Kritiker des Reformismus, die den Abolitionismus vertreten und für die Abschaffung (engl. abolition) der Tiernutzung eintreten, führen dies darauf zurück, dass den Verbrauchern durch solche Tierschutzverbesserungen ein gutes Gewissen beschert wird: Wenn Tiere ordentlich gehalten werden, was unter anderem durch die Labels vermittelt wird, könne man die Produkte doch bedenkenlos essen.
Aber zumindest leiden die Tiere weniger, wenn sie „artgerecht“ gehalten werden, so eine weit verbreitete Reaktion auf diesen Vorwurf.
Doch geht diese Rechnung auf? Nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Massenmedien berichteten bereits darüber, dass die alternativen Haltungsformen nicht das Gelbe vom Ei sind. Sie gewähren den Tieren zwar einige Bedürfnisse, schneiden in anderen Bereichen aber schlechter ab.
Aufgrund der grossen Gruppen ist es für die Hennen z.B. schwerer, eine Hackordnung aufzubauen; dadurch kommt es verstärkt zu Konflikten, die in Kannibalismus enden können. Durch die schlechteren hygienischen Bedingungen (das stärkere Ausgesetztsein des eigenen Kots und die Ektoparasiten im Freiland), die Infektionsgefahr durch die offenen Wunden (die auch Folge des Kannibalismus sind) und die höhere Ammoniakkonzentration, die die Atemwege angreifen, treten einige Krankheiten häufiger auf und verbreiten sich, wenn sie ansteckend sind, in den grossen Gruppen schneller. Die Streberate von Alternativhaltungen ist höher als bei konventionellen.
Mit anderen Worten: In alternativen Haltungsformen leiden die Tiere anders, aber nicht zwangsläufig weniger. Hinzu kommt: Die Legeleistung ist geringer, d.h. es werden mehr Tiere für Erzeugung der gleichen Menge an Eiern „verbraucht“. Und für jedes zusätzliche Huhn stirbt ein männliches Küken mehr.
Die Leid-Rechnung wäre also selbst bei sinkendem Konsum bestenfalls ein Nullsummenspiel, bei gleichbleibendem Konsum ist sie negativ.
Mehr Labels oder mehr Bewusstsein?
Tierfreundlich gelabelte Produkte erfüllen den Kundenwunsch, dem gewohnten Tierproduktkonsum mit ruhigen Gewissen nachgehen zu können.
Es wundert keineswegs, dass die gleiche Umfrage des STS ergeben hat, dass zwar Supermärkte den Trend nach tierfreundlichen Produkten aufgreifen, die Gastronomie aber nicht. Ein schon zubereitetes Essen einzukaufen, lässt die Frage, wo die Tierprodukte herkamen, nicht aufkommen. Man isst ein Omelett; dass dort Eier enthalten sind, weiss man, aber es gelangt nicht zu Bewusstsein. Diese verarbeiteten Eier werden zum grössten Teil importiert, stammen daher meist aus Käfighaltungen.
Im Supermarkt sieht das anders aus, aber nur geringfügig. Denn indem der Kundenwunsch nach Tierschutz über die Bescheinigung durch Tierschutz-Labels erfüllt wird, wird die eigentliche Frage ausgespart: Muss man dieses Produkt kaufen? Muss man Eier oder Fleisch essen, muss man Milch trinken? Heissen die einzigen Alternativen: entweder tierfreundlich gelabeltes oder aber konventionelles Produkt? Oder gibt es noch eine andere, oft gar nicht erwähnte Lösung?
Der Verbraucher hat die Macht, um das Wissen muss er sich selbst kümmern. Damit er am Ende die richtigen Antworten findet, müssen am Anfang die richtigen Fragen stehen.
© 2011 Martin Pätzold
Lesen Sie auch die Antwort von Hansuli Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutz STS, auf Pätzolds Artikel:
„Mehr Auslauf, mehr Labels – mehr Tierwohl!“
Martin Pätzold ist bei der Tierrechtsinitiative Maqi aktiv und studiert zurzeit an der Freien Universität Berlin.
4 Kommentare
Hallo Martin.
Wie vieles ist auch die Frage der grünen Wiese resp.der Frage was eine Verbesserung wie so oft im Leben eine Sache der Perspektive. Die Faktoren die du anfügst ist eine menschliche Sichtweise. Wenn man das Huhn nach ihrer Sichtweise fragen würde ob es sein kurzes und zweifelsfrei erbärmliches Leben in einer Bodenhaltungsform oder auf einer „grünen Wiese“ verbringen möchte, wären wir uns glaube ich schnell einig wie sich das Huhn entscheiden würde. Dem sind hygienische Ergebnisse und eine ökonomische angehauchte Leidrechnung, mit Verlaub, wahrscheinlich scheissegal.
Von daher ist der Beitrag von Beat, so man bereit ist ihn in seinem Sinne interpretieren, durchaus ein richtiger Ansatz.
Nicht für ungut, Beat, aber du scheinst den Artikel nicht gelesen zu haben. Ich habe deutlich herausgestellt, dass (1) augenscheinliche Verbesserungen (bei dir: „auf der Wiesen laufen“) tatsächlich wenig bis keine Verbesserungen darstellen, wenn man alle Faktoren, die sich ändern, einbezieht, und vor allem (2) dass diese Reformen dazu dienen, Tierausbeutung akzeptbaler zu machen. Wenn man die Abschaffung aller Tierausbeutung vor Augen hat, was ein Tierrechtler wohl haben sollte, ist das das letzte, was dabei förderlich ist.
Beat,
natürlich ist jede Verbesserung zu unterstützen. Ein Problem entsteht allerdings, wenn ein gutes Gewissen einen weiteren Denkprozess verhindert.
Die „Nutztiere“ leben hier und jetzt. Und in absehbarer Zeit wird sich das nicht ändern.
Es ist ein wesentlicher Unterschied ob das „Nutztier“ sogenannt artgerecht gehalten wird oder nicht. Es ist z.B. für das jetzt lebende Huhn ein riesiger Unterschied ob es auf der Wiese frei herumgackern kann oder ob es in einer erdrückend engen Halle (Bodenhaltung) dahinvegetiern muss. Darum: jede Verbesserung ist zu unterstützen; alles andere ist theoretisches Gesäusel. Ich z.B. unterstütze Kagfreiland, bin aber selber Veganer. (Uebrigens: es gibt immer mehr Kagfreilandmitglieder, die Vegetarier/innen sind.)